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In der Garage Novo lebt Ettores Bugattis Traum bis heute fort

Die Garage Novo ist ein einzigartiger Ort: Schon drei Generationen lang wird diese perfekt erhaltene Bugatti-Werkstatt im Geiste der glanzvollen Ära von Ettore und des Grand Prix geführt. Classic Driver hat die Familie Novo besucht.

Man betritt die Garage Novo und fühlt sich in das Jahr 1950 zurückversetzt, als Großvater Henri diesen Ort schuf. Eigentlich hat sich seitdem nichts wirklich verändert: Es dreht sich alles weiter um Handwerk und um Wissen, das von Vater zu Sohn weitergegeben wird, begleitet vom Duft alten Schmieröls und den traditionellen Werkzeugen, die eingesetzt werden, um die kostbaren Autos zu warten und zu reparieren. In dieser historischen Werkstatt sind wir mit zwei Novo-Generationen, Vater Jean und Sohn Frederic, zu einem Gespräch verabredet.

Was ist Ihre früheste Erinnerung an Autos?

Jean Novo: Als ich sieben oder acht Jahre alt war, setzte mich mein Vater auf seine Knie, um die Bugattis in der Garage zu fahren. Er sah nach den Pedalen, ich kümmerte mich um die Lenkung!

Fred Novo: Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, aber ich erinnere mich an einen Ausflug mit meinem Großvater zur Rennstrecke von Montlhéry, die nur wenige Kilometer von der Garage entfernt liegt.

Jean, erzählen Sie uns doch die Geschichte von Ihrem Vater Henri Novo.

Als er 14 Jahre alt war, lebte er mit seiner Familie in sehr bescheidenen Verhältnissen. Eines Tages hörte er den Radau eines Autos, das rasend schnell durch die Straßen fuhr. Er drehte sich um und entdeckte, dass es ein Bugatti war. In dem Augenblick war ihm schlagartig klar, dass er mit diesen Autos zu tun haben wollte. Er ging zur Garage Teillac, einem der wichtigsten Bugatti-Händler in Paris, bekam eine einwöchige Probezeit und konnte dort noch am gleichen Tag mit der Arbeit beginnen. Er blieb dann viele Jahre dort.

Wie war die Arbeit in der Garage Teillac? Was machte Henri dort?

Mein Vater hatte ein echtes Talent für Mechanik. Er hatte eine rasche Auffassungsgabe und durfte in kürzester Zeit selbstständig an den Fahrzeugen arbeiten. Er machte seine Sache so gut, dass ihn der Werkstattleiter bald zum Grand Prix schickte, um Kunden zu unterstützen, die an Wochenenden Rennen fuhren. Es war eine harte Zeit, weil er sieben Tage die Woche arbeitete, ohne, dass sich jemand über die Arbeitsstunden Gedanken machte. Manchmal bekamen Kundenfahrzeuge schon während des Trainings ein Problem und wenn dann mein Vater seinen Chef in Paris anrief, bekam er immer das Gleiche zu hören: "Finden Sie eine Lösung, damit Monsieur Soundso das Rennen fahren kann, wenn nicht, brauchen Sie am Montag auch nicht mehr zur Arbeit erscheinen." Das war schon knallhart, nur die Leidenschaft zählte.

Was ist dann passiert? Wie kam es, dass Ihr Vater dann sein eigenes Geschäft gegründet hat?

Er verließ die Garage Teillac und arbeitete dann noch für einige andere Werkstätten. Nach dem Krieg war er in einer Bugatti-Lancia-Werkstatt beschäftigt, die sich gleichzeitig um Simcas und einige andere populäre Marken kümmerte. Mein Vater wollte dort aber weg, weil er keine Lust für Reparaturen an diesen anderen Autos verspürte, zumal es auch immer weniger Bugattis gab. Aber die Firma hatte eine riesige Menge an Bugatti-Ersatzteilen und bot sie meinem Vater zum Verkauf als Grundstock für sein eigenes Unternehmen an. Mein Vater hatte dafür nicht sofort die Mittel zur Hand, und als er eine Woche später mit dem Geld zurückkehrte, war alles einfach weggeworfen worden. Das war der Dank für die Arbeit meines Vaters!

Im Jahr 1950 gründete er seine erste eigene Garage in Montrouge bei Paris, später zog er um nach Vitry-sur-Seine nahe den Vororten. Ein paar Jahre später musste er die Werkstatt räumen, weil verschiedene städtische Verwaltungen den Raum für ihre Gebäude brauchten. Also siedelte er sich 1968 mit der Werkstatt schließlich in Montlhéry an (wo wir auch heute noch sind). Hier hat er mit uns noch bis Mitte der 1990er Jahre zusammengearbeitet.

Wie sehen Sie das Lebenswerk von Henri Novo?

Jean: Er leistete Unglaubliches und arbeitete engagiert, um so viele Bugattis wie nur möglich zu bewahren. Dafür müssen wir ihm dankbar sein. Außerdem war er ein echter Self-Made-Man, den ein angeborenes Gefühl für Technik und Leidenschaft auszeichnete. Für ihn war es so, als hätte das Bugatti-Werk nie die Tore geschlossen. Er sprach von der "Maison Bugatti" im Präsens, zum Beispiel: "Wie kann das Maison nur so ein Teil bauen?" Man hatte den Eindruck, er wolle gleich in Molsheim mit Vorschlägen zur Verbesserung von Komponenten anrufen, selbst 30 Jahre nach Ende der Fabrikation. Für ihn war "La Marque" immer noch am Leben.

Fred: Mein Großvater bewahrte viele Autos, entweder, in dem er sie für Besitzer wartete oder, weil er sie zu einer Zeit kaufen konnte, in denen ein Bugatti als alt und wertlos galt. In der Autoszene gibt es wenige, die Vergleichbares geleistet haben.

Jean, wie kam es zur Zusammenarbeit mit Henri?

Von frühester Jugend an war ich bei ihm in der Werkstatt und habe stundenlang Ventile geschliffen. Rasch habe ich gelernt, ihm bei der Instandsetzung der kompletten Motoren zu helfen. Als ich 16 war, hat er mir dann meinen ersten Bugatti geschenkt. Ich besitze ihn immer noch, er steht in der Garage: ein Typ 38A mit einer Karosserie von Lavocat et Marsaud. Ich habe auch mal für ein anderes Geschäft gearbeitet, aber es war für mich nicht der richtige Ort und so bin ich 1982/83 hierher zurückgekehrt.

Wie beurteilen Sie die Marke Bugatti?

Ich habe große Begeisterung für die Marke. Wer einmal am Steuer eines Bugatti saß, kommt nicht mehr davon los.

Wie laufen die Geschäfte?

Na ja, schwierig war es immer. Es ist nicht leicht einen Gewinn zu erzielen, wenn das Geschäftsmodell die Leidenschaft ist, aber ich bedaure auch nichts. Wir besitzen engagierte und interessante Kunden, die neugierig unsere Arbeit begleiten und beispielsweise auch wissen wollen, wie jedes Teil hergestellt wird.

Wie kamen Sie zur Garage Novo, Fred?

Ich habe zunächst nicht so viel Zeit in der Werkstatt verbracht, wie mein Vater, eigentlich erst als Teenager. Zunächst habe ich woanders für ein Jahr als technischer Verkäufer für Drucktechnik gearbeitet. Aber ich war damit ziemlich unglücklich, also habe ich gekündigt und begann, in der Familienwerkstatt mit meinem Vater und Großvater zusammenzuarbeiten. Und da bin ich bis heute.

Aber Sie wussten nicht viel über Autos und Motoren?

Stimmt! Ich musste eine Menge lernen, aber ich hatte auch die besten Lehrer. Durch mein Studium wusste ich einiges über "Metall" und konnte mit Werkzeugmaschinen wie Fräsen und Drehbänken arbeiten.

Warum haben Sie nicht gleich in der Werkstatt gearbeitet?

Wissen Sie, ich hatte dieses Bild von meinem Großvater und Vater, die stets sehr viel arbeiteten, aber dabei wenig verdienten. Ich wusste, dass es ein fordernder Beruf ist. Ich teilte auch nicht diese große Leidenschaft, vielleicht, weil sie dauernd zu tun hatten und wir kaum Zeit hatten, bei Rallyes dabei zu sein. Aber bei der Jubiläumsrallye zu Ettore Bugattis 100. Geburtstag waren wir alle drei als Mechaniker dabei – eine tolle Erfahrung.

Wie würden Sie Interesse heute beschreiben?

Meine Begeisterung für diese Art Arbeit kam sehr spät. Sie entwickelte sich allmählich und heute fühlt sich alles ganz selbstverständlich an. Ich mag Autos mit einer starken Persönlichkeit.

Wie würden Sie die Automobile von Bugatti charakterisieren?

Sie haben zugleich positive Qualitäten, aber auch Fehler. Erfreulicherweise überwiegt Ersteres. Es ist die Mischung aus Beidem, die ein ausgewogenes Fahrzeug mit großer Persönlichkeit ausmacht.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Vor einigen Jahren, als noch weniger Verkehr auf den Straßen war, konnten wir direkt mit den Autos zu unseren Pariser Kunden fahren. Einmal habe ich einen Typ 57 Ventoux abgeholt - ausgezeichneter Motor, gutes Chassis, aber immer noch ein großes, schweres Fahrzeug, das sich nicht schnell fahren ließ. Plötzlich bemerkte ich im Rückspiegel ein Auto, das sich schnell näherte. Weil damals viele Fahrzeuge von der Straße weggekidnappt wurden, beschleunigte ich und fuhr den 57er, wie es sich eigentlich gehörte. Das andere Auto wurde im Spiegel immer kleiner, aber dann kam es näher, immer schneller. Voraus waren etliche Kreisel und da ich nicht einen Überfall riskieren wollte, gab ich einfach in jeder Kurve, jedem Kreisverkehr richtig Gas. Der 57 fühlte sich fantastisch an. Aber das andere Auto ließ nicht locker. Ich kam endlich in unserem Dorf an, aber die Ampel sprang auf rot und so musste ich anhalten – und beten. Der Typ kam neben mir zum stehen und rollte sein Fenster herunter: "Hey, Fred, du fährst diesen 57er wie deinen 35er. Du bist verrückt. Aber es hat Spaß gemacht, an dir dranzubleiben. " Es war kein anderer, als der Formel-1-Rennfahrer Jean-Pierre Beltoise.

Wie denken Sie über Ihren Vater?

Ich habe enormen Respekt vor ihm. Im Alter von 76 Jahren arbeitet er nach wie vor schnell und effizient. Beeindruckend!

Und wie sehen Sie Ihre eigene Arbeit?

Ich bin immer noch mit Feuer dabei. Es gibt keine Ersatzteile mehr, man muss die Fahrzeuge auf die Art und Weise pflegen und reparieren, die den Arbeiten der letzten 30 bis 40 Jahre keine Gewalt antut, manchmal unter Einsatz von Techniken aus den 60ern und 70ern. Wenn also ein Bugatti zum ersten Mal bei uns in der Werkstatt auftaucht, wissen wir nie vorher, was erledigt werden muss. Aber wenn er zum Kunden zurückgekehrt, dann mit dieser Novo-Handschrift. Das ist wie ein Gütesiegel. Bei unseren geschätzten Kollegen von Rondoni in Südfrankreich herrscht dieselbe Haltung: Besondere Automobile verdienen exzellenten Service.

Welcher ist für Sie beide der Bugatti schlechthin?

Jean und Fred: Entweder der Typ 35 oder der Typ 44. Ein gut gewarteter Typ 44 eignet sich auch hervorragend für Rennen.

Und der ultimative Bugatti?

Jean und Fred: Keine Frage, der Typ 59. Henri hat sich in den 1950er Jahren lange um einen gekümmert. So einen würden wir gerne wieder in der Werkstatt betreuen dürfen.

Also nicht der Typ 45/47 mit dem H-Motor?

Das wäre für uns beide wohl eher der amüsanteste Bugatti. Von Ettores vielen Versuchen ist der schon der merkwürdigste. Aber irgendwie ist auch dieses Modell ein ultimatives Werk.

Ihr Traumauto?

Jean: Der Ferrari 250 SWB. Das Heck ist wunderschön und die Melodie des Motors ist grandios.

Fred: Der Delage 15 S8 1500 Grand Prix, den wir hier regelmäßig betreuen. Das Triebwerk ist toll, der Wagen lässt sich auch sehr gut fahren.

Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2015

 

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