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Young, rich and wild – Autoexzesse im England der 80er-Jahre

Eine deregulierte Londoner City, PS-gewaltige Supersportwagen und Geschichten über Privatrennen auf der neu eröffneten Ringautobahn M25. Die späten 80er-Jahre waren eine Zeit, in der für britische Yuppies alles möglich schien...

Wenn man an ein Stück Asphalt denkt, das eine Schleife zieht, um sich am Ende wieder mit sich selbst zu verbinden, denkt man automatisch an eine Rennstrecke. Doch als am 29. Oktober 1986 Margret Thatcher offiziell die Londoner Ringautobahn M25, auch „London Orbital“  eröffnete, bin ich sicher, dass sie daran am wenigsten gedacht haben dürfte. Doch die Yuppies, die in der City of London hart arbeiteten und spielten, war sonnenklar, was die M25 für sie sein würde: eine 188 Kilometer lange Rennstrecke.

Jeder hat schon einmal von mystisch ausgeschmückten Storys gehört, die von Treffen spät in der Nacht erzählten. Doch bis heute war es fast unmöglich jemanden zu finden, der sich vorwagte und auf den Wahrheitsgehalt solcher Gerüchte, die auch ausgiebig im Internet die Runde machen, einzugehen. Damals war ich sieben Jahre alt, und es war mein Bruder, der mir von geheimen Autobahnrennen berichtete. Wie die des „Severn Bridge Club“, der von London aus startete und denjenigen zum Sieger kürte, der als Erster mit einer abgestempelten Quittung für die Überquerung des River Severn in Wales zurückgekehrt war. Poster mit Ferrari Testarossa, Lamborghini Countach und Porsche 911 Turbo schmückten die Wand meines Zimmers.

Mein einziger persönlicher Referenzpunkt waren die Carrera Sport Track Days, die gewöhnlich an Bank Holiday Wochenenden auf dem Kurs von Goodwood abliefen. Organisiert wurden sie von Mike Pullen von Carrera Sport, einem Lamborghini Spezialisten aus West Sussex.

Aber lassen Sie uns zunächst über die sagenumwobenen „Rennen“ rund um die M25 sprechen. Mir wurde vom einem Gentleman berichtet, der die Ringautobahn an einem Abend mit einem Porsche 911 GT2 in rund 45 Minuten umrundet haben soll. Soviel ich weiß, gilt das bis heute als „Rundenrekord“. Doch da heute eine Verbesserung dieser Zeit völlig außer Frage steht, wenden wir uns lieber Geschichten aus der Frühzeit der M25 zu.

Sie wurde nur zwei Tage nach dem „Big Bang“ eröffnet, als die City of London dereguliert wurde, um so New York als Finanzmetropole Nummer Eins Konkurrenz machen zu können. Der explorierende Handel ließ London an seinen europäischen Konkurrenten vorbeiziehen und die internationalen Banken kamen in Scharen. Die fetten Jahre brachen an und das Gefühl des Moments war, dass nun alles möglich war.

Unser erster Anlaufpunkt ist eine Kopie der Times von Samstag, 2. Juli 1988. Ein sehr junger Boris Johnson berichtet über Pläne für ein Rennen mit dem Titel „The First London Cannonball Run“. Die Wahrheit ist: Als Boris das spitz bekommen hatte, hatten sich die Zeiten schon geändert. Fast ein Jahr nach Eröffnung der M25 erlebte London am 19. Oktober 1987 mit dem „Schwarzen Montag“ den ersten Börsenkrach nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Werte von Autos gingen ebenso in den Keller wie satte City-Boni.

1986 und ‘87 liefen die Dinge noch deutlich stärker unter dem Radar ab. Nur sehr wenige Leute in der City wussten von diesen Vorgängen, der Kreis der Eingeweihten blieb sehr klein. Ich sprach mit zehn Leuten, die in den späten Achtzigern in der Stadt arbeiteten und nur zwei hatten etwas davon aufgeschnappt. Doch innerhalb der Auto Community machten Gerüchte trotzdem schnell die Runde. Damals gab es nur eine Raststätte auf der M25, in South Mimms, am nördlichen Rand in Hertfordshire. Ein prädestinierter Start- und Zielpunkt, mit einer Atempause nur an der Mautstation für den Dartford Tunnel – man musste dort nur seine Fahrspur sorgfältig wählen, um nicht zu viel Zeit zu verlieren!

Einige Leute werden Ihnen erzählen, dass es ein „First one back“-Event war, doch spricht man mit wirklichen Zeitzeugen, wird deutlich, dass es in der überwiegenden Zahl der Fälle kein streng gezeiteter Wettbewerb war. Vielmehr galt jede Zeit unter einer Stunde als richtig gut. Um das zu erreichen, musste man einen Schnitt von 188 km/h erreichen! Jeder, der jemals auf einer langen Reise seine Durchschnittsgeschwindigkeit beobachtet hat, weiß, wie verdammt schwer es ist, sie hoch zu halten. In einer Zeit, in der die vorherrschende Stimmung im Land Unbesiegbarkeit versprühte, kann man sich aber leicht vorzustellen, wie sich die Möchtegern-Mansells an heißen Sommerabenden mit solchen Vollgas-Fahrten rund um die M25 ihre persönlichen Highlights schufen.

Wer damals in der City arbeitete, ging mit seiner ersten Bonuszahlung nicht selten zum VW-Händler Alan Day Volkswagen, um sich dort einen Golf GTI 16V zu kaufen. Für die Baby Banker war der GTI die erste Sprosse auf der automobilen Leiter. Von da an ging es weiter aufwärts zum Porsche 911, und dann in Richtung italienischer Exoten.

Während der Jahre 1988 und ’89 erschienen in der Enfield Gazette Kleinanzeigen für den „M25 Club“. Die Geschichten aus der City waren in einen größeren Kreis von Autofans durchgesickert, die sich nun daran machten, es selbst zu versuchen.

„Ich habe es in den späten Achtzigern mit Vollgas in einem Dreiliter-Capri gemacht“, erzählte mir einer meiner Freunde beim Mittagessen. „Aber wir nahmen die Zeit nur für uns, es war kein Rennen im engeren Sinne.“

Ein anderer meldete sich zu Wort: „Ich hatte den ersten Escort Cosworth im Vereinigten Königreich, und am Tag der Auslieferung ging ich damit sofort auf eine Runde mit Freunden – so schnell es ging.“ Doch nun waren wir in den frühen 90ern, und die Blitzer waren angekommen. 1991 wurde die erste Radarkamera auf der M40 installiert – und erfasste schon nach 40 Minuten 400 Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Tage illegaler Hochgeschwindigkeitsfahrten waren dann bald auch auf der M25 vorbei.

Das war der Punkt, an dem die Carrera Sport Trackdays auf den Plan traten. Alle, die an der Börse konsequent der „buy the dip“-Strategie gefolgt waren (Anleger kaufen Aktien bei Kursrückschlägen, um günstigere Einstiegskurse zu erhalten) oder ihre Bonuszahlungen gut angelegt hatten, fuhren ja noch immer in ihren Supercars herum. Und solch ein Trackday bot die ideale Gelegenheit, ihr Spielzeug auszuführen.

Da ich als Kind Goodwood regelmäßig besuchte, war ich mit den Spielregeln für Trackdays und Sprintrennen vertraut. Doch ich erinnere mich, wie an einen heißen Bank Holiday im August die Hölle losbrach. Goodwood war damals weitaus entspannter; die Strecke bestand ja aus nicht viel mehr als den verfallenden Überreste der Piste aus den glorreichen Sechzigerjahren. Die erst noch darauf wartete, dass sie der Duke of Richmond aus dem Dornröschenschlaf erweckte und zu einem globalen Hotspot des historischen Motorsports machen würde.

Der Tag begann zunächst noch sehr gesittet. Ich erinnere mich, elf Lamborghini Countach gezählt zu haben. Der Platz war gut gefüllt, denn es hatte sich herumgesprochen, dass man bei einem Ausflug nach Goodwood einige wirklich sehr aufregende Sportwagen zu sehen bekäme. Kurz nach dem Lunch und bei glühender Hitze drehte sich ein Ferrari 308 GT4 in der Schikane und krachte in einen Reifenstapel. Beim Einschlag fiel das Nummernschild ab, um darunter ein anderes Kennzeichen ans Tageslicht zu befördern – es waren also einige sehr interessante Charaktere unterwegs!

Ein Typ lieh seinen brandneuen Lamborghini Diablo einem Freund; der zerbeulte ihn und aus der freundlichen Geste wurde ruckzuck eine hitzige Diskussion. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch das Warten in der Schlange vor der Boxenausfahrt ignoriert; manche fuhren einfach dran vorbei und direkt auf die Piste. Jegliche Disziplin und Ordnung ging verloren. Für mich als Youngster war das ein toller Anblick, die damit verbundene Gefahr war mit nicht bewusst.

Die Exzesse und das Ignorieren der Gefahr dieser jungen und wohlhabenden Sportwagenbesitzer der 80er- und 90er-Jahre fasziniert mich bis heute. Völlig undenkbar, dass sich so etwas heute noch zutragen könnte.

Weil er in den 80er- und 90er-Jahren nahe Goodwood aufwuchs, war unser Managing Editor Tim Hutton fasziniert von den damals an jedem Wochenende auf britischen Straßen anzutreffenden Supersportwagen. Die Fotos zu diesem Artikel sind von ihm, damals 7 Jahre alt, und seinem Bruder Charlie, damals 15. Aufgenommen wurden sie auf einem der berühmten Carrera Sport Track Days in Goodwood.