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VW Golf R: Eisgolfen in Tirol

Wir sind in Ellmau, Tirol. Die Temperatur beträgt minus 4 Grad Celsius, leichter Schneefall und Nebel behindert die Sicht auf das 2.344 Meter hohe Bergpanorama Wilder Kaiser. Die Straßen sind stark vereist. Dank Allradantrieb, 18-Zoll Winterbereifung und 270 PS mit Sechsgang-DSG-Getriebe fühlen wir uns dennoch überlegener und sicherer, als je zuvor in einem Golf.

Die neuste Topversion des VW Golfs heißt nun schlicht „R“ und trägt als Herzstück keinen Sechszylinder mehr unter der Haube wie seine Vorfahren R32 und VR6. Im Schneetreiben stehen seine Vorfahren in romantischer Bergkulisse vor mir, inklusive des Rallye Golfs G60. Würde man die zwei Sechszylinder-Stammväter des Golf R zum Leben erwecken, müsste man wohl ein „Vorsicht Lawinengefahr!“-Schild aufstellen, denn mit dem bassigen Moll-Blubbern eines Sechszylinders kann der neue Golf R zumindest beim Anlassen nicht mehr dienen. Das ist jedoch das Einzige, was man am neuen „Über-Golf“ vermissen könnte. In punkto Leistung, Verbrauch, Sicherheit und Agilität vermag dem neuen Golf kein Serienwagen dieser Klasse das Wasser zu reichen, auch kein Vorfahre aus der Volkswagen-Familie.

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Der Golf R kann mit einem Zweiliter-Vierzylinder Direkteinspritzer mit Turboaufladung begeistern, der dem Herzstück seiner Konzernbrüder Audi S3 und Audi TTS entspricht. Dieser knackige Turbomotor leistet 270 PS, und damit fünf Pferdestärken mehr als der Scirocco R. Spätestens die Fahrleistungen bekehren jeden Sechszylinder-Fan: 5,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Dies dank 270 PS und 350 Newtonmeter Drehmoment, die konstant zwischen 2.500 und 5.000 /min entwickelt werden. Darüber hinaus eine elektronisch abgeregelte Topspeed von 250 km/h. Und jetzt kommt der Clou: Trotz der enormen Leistung verbraucht der permanent allradgetriebene Golf R mit DSG nur noch 8,4 Liter auf 100 Kilometer, vorausgesetzt natürlich, der Bleifuß wird gezügelt eingesetzt. Mit diesem Verbrauchswert und einer C02-Emission von 195g/km muss der Wagen kaum einen Vergleich mit seinen Blue-Motion-Brüdern und Mitbewerbern scheuen, und nimmt Gegnern schneller Autos das Umweltargument aus den Segeln. Wobei durch einen Rennfahrerstil à la „Striezel“ Stuck der Verbrauch leicht verdoppelt werden kann.

Zurück nach Ellmau: Mit einem Fünkchen Wehmut verlasse ich den Parkplatz und lasse die aufgereihten Golf R-Generationen-Modelle inklusive der Sechszylinder-Motoren hinter mir. Jetzt heißt es, den neuen Golf R und seinen Vierzylinder-Turbomotor auf Herz und Nieren zu testen. Dazu bin ich mit Rennfahrer-Legende Hans-Joachim Stuck und seinem Volkswagen Motorsport-Kollegen Dieter Depping verabredet. Der Ort unseres Treffens ist eine präparierte Eispiste, besser gesagt: Ein professioneller Eispisten-Rundkurs, auf dem jährlich Eisrennen stattfinden. Adrenalin habe ich schon die ganze Zeit im Blut, denn das Klangspektrum der mittig montierten, doppelflutigen Abgasanlage bietet Rennfeeling, vor allem wenn unter bissigen Schaltvorgängen ein sonorer „Flopp-Ton“, untermalt von Auspuffgrollen, ertönt. Das erinnert mich wahrhaft an den Zwischengas-Schaltvorgang des aktuellen BMW M3 mit DKG-Gebtriebe. Wobei mir auf Anhieb mein Teenager-Traumwagen einfällt: Der BWM M3 (Modell E36), der tatsächlich die gleichen Beschleunigungswerte wie der aktuelle Golf R mit 270 PS erreicht, jedoch 321 PS dafür benötigt.

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Bevor ich jedoch selbst die Eispiste unsicher machen darf, heißt es Reifenwechseln. Ich steige vom blauen Golf R in „Striezel“ Stucks roten Golf R um – einziger Unterschied ist die Bereifung mit Spikes und, dass sofort nach dem Einstieg das elektronische Stabilisierungsprogramm ausgeschaltet sowie die elektronische Fahrdynamikregelung DCC von „Comfort“ über „Normal“ auf „Sport“ gestellt wird. Damit passt sich die Kennlinie der Servolenkung und die Dämpfung des Fahrwerks der sportlichen Fahrsituation an. Nun legt Stuck los und zeigt allen, was für einen mächtigen Schub der Reihen-Vierzylinder über seine Abgasturboaufladung erzeugen kann.

Der Ladedruck steigt währenddessen auf bis zu 1,2 bar an, weshalb sowohl die Kolben als auch der Zylinderblock gegenüber schwächeren TSI-Motoren des Volkswagenkonzerns verstärkt wurden. Der permanente Allrandantrieb, genannt 4Motion, und die 270 PS bringen das Fahrzeug an beeindruckende Grenzbereiche. Die Weiterentwicklung des 4Motion-Antriebs zeigt im Vergleich zur Vorgänger-Generation des R32 deutliche Fortschritte: Es bedarf nun keiner Drehzahlunterschiede mehr zwischen Vorder- und Hinterachse, um die in einem Ölbad laufende Haldex-Kupplung zu aktivieren. In den Kurvenfahrten genieße ich den Blick in Fahrtrichtung durch die Beifahrerscheibe, während Rennfahrer Stuck mit einem Lächeln im Auge erklärt, dass er nie zuvor einen stärkeren Golf gefahren ist. Die Spikes sorgen auf der Eispiste für soviel Grip, dass Stuck zum Ausbrechen des Fahrzeugs sein ganzes Talent spielen lassen muss.

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Danach steige ich mit zitternden Knien und einem großen Lächeln im Gesicht aus und erhole mich auf dem Parkplatz, bevor ich selbst auf die Eispiste mit Stuck als Co-Pilot geschickt werde. Währenddessen begutachte ich in aller Ruhe das Design des neuen Golf R. Der böse Scheinwerferblick, die riesigen Lufteinlässe im Frontspoiler, kombiniert mit LED-Leuchten und einem Dachspoiler, verleihen dem Golf eine äußerst sportliche Erscheinung, die jedoch dezent bleibt und keinesfalls mit einem Fahrzeug beim Wörthersee-Treffen zu vergleichen ist. Hinter den 18-Zoll R-Felgen kommt eine an die Leistung angepasste 17-Zoll-Bremsanlage mit schwarz lackierten Bremssätteln und R-Logo zum Vorschein. Auch im Interieur kommen neben der bekannt funktionalen Golf-Bedienung sportliche R-Logos und ein spezielles Lenkraddesign mit Klavierlack und R-Emblem zum Einsatz.

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Der Golf R ist der stärkste Golf aller Zeiten und vereint Leistung und Angriffslust in bewährter Volkswagen-Manier. Qualitativ ist die Power, das Fahrverhalten, die Qualität und Optik des Golf R überzeugend. Ob jedoch dieses Nischenprodukt zum hohen Grundpreis ab 36.400 Euro seinen Sechszylinder-Ahnen und S3-Konkurrenten im Verkauf das Wasser reichen kann, bleibt abzuwarten.

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Text, Video & Fotos: Tassilo C. Speler


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