Volkswagen legt eine frische Blutspur im Revier der kompakten Sportcoupés. Die Fährte wittert bereits der neue Volkswagen Scirocco, der Ende August auf Beutezug gehen wird. Der blutjunge Nachwuchs einer bekannten Spezies gilt schon jetzt als Werwolf unter den Wölfen. Classic Driver ist der Spur gefolgt und hat sich dem Scirocco als leichte Beute gestellt.
Die Spur führt nach Setubal, nahe Lissabon (Portugal). Hier wird der neue Scirocco gebaut. Hier fließen Emotionen, Fleiß und Hoffnungen in das neue Sportcoupé. Das kommuniziert nicht nur die Konzernbelegschaft, auch auf den Straßen wird der Hoffnungsträger mit Stolz gefeiert. Volkswagen bringt zunächst den Scirocco TSI mit 160 PS starkem 1,4 Liter Vierzylinder-Turbomotor und den Scirocco 2.0 TSI mit 200 Pferdestärken, bekannt aus dem Golf GTI, auf den Markt. Beide Motoren sind dank Direkteinspritzung und Turboaufladung hoch effizient und markieren die Topvarianten unter den Benzinmotoren. Später sollen noch ein Einstiegsbenziner mit 122 PS für preisgünstige 21.750 Euro und zwei Dieselmotoren mit 140 und 170 PS folgen. Mit diesem Angebot wittern die Wolfsburger fette Beute im Revier der kompakten Sportwagen – nicht zu Unrecht.
Ich begegne dem neuen Scirocco in den Bergen, hoch über dem azurblauen Flussdelta des Rio Tejo. Mit geducktem Haupt, gespannten Sehnen und scharfem Blick lauert der Scirocco 2.0 TSI auf Beute. Er ist nicht allein. Zur Seite steht ihm der Urvater aller Scirocco, der von 1974 bis 1981 gebaut wurde. Dieser wirkt gegen den wilden Jungwolf wie ein treues Schoßhündchen. Wer ihn nicht kennt, wird die Blutsverwandtschaft der beiden Räuber wohl nur am Brandzeichen des Züchters erkennen oder – in diesem Fall – an der identischen Färbung. Das klassische Giftgrün, damals unter den Lackierungen als Viperngrünmetallic gelistet, wirkt wie eine Warnung. Vorsicht, giftig!
So aggressiv und konsequent hat man Volkswagen selten gesehen. Der Scirocco ist kein tiefer gelegter Golf, sondern ein eigenständiger Sportwagen. Echt Italienisch? Ja, aber nach deutschem Präzisionsverfahren entwickelt und mit entsprechender Technik ausgestattet. Seinen aggressiven Auftritt verdankt der Scirocco vor allem seinen kraftvollen Proportionen: Die tiefe Front, das breite Heck und die flache Dachlinie – so konsequent flach, dass für die Schaniere der Heckklappe Wölbungen ausgeformt wurden – pressen den Scirocco förmlich auf die Straße. Dazu entwarf die Volkswagen-Designabteilung feine Details wie die keilförmigen Frontscheinwerfer, Leichtmetallräder im Turbinendesign und markant geformte Rückspiegel. Keine Frage, schon optisch wird der neue Scirocco in seiner 25 Jahre jungen Kernzielgruppe für schlaflose Nächte sorgen.
Auch ich sehe mich mit 29 Jahren als potentielle Beute des Wolfsburgers und opfere mich wagemutig für einen ersten Kontakt. Mit einem heiseren Knurren erweckt der 2,0 Liter Vierzylinder aus dem Schlaf. Das ergonomische Lederlenkrad, bekannt aus dem Golf GTI, wirkt wie das Präzisionswerkzeug eines Meisters. Es scheint zu sagen: Du hast es geschafft, du bist ein Meisterfahrer, du darfst mich führen. Im DSG-Sportprogramm und eingeschaltetem Sportmodus der Dämpferregulierung (DCC) treibe ich den Räuber über die rauschenden Ströme des Rio Tejo und des Atlantiks. Nach beherztem Gasstoß holt er tief Luft. Erst bei 7000/min. endet die Hetzjagd mit einem lauten Knurren, während das DSG in die nächste Fahrstufe schaltet. In 7,1 Sekunden jagt der Scirocco 2.0 TSI (DSG) von 0 auf 100 km/h und weiter bis maximal 233 km/h. Auf der berühmten Ponte Vasco da Gama überquere ich den Meerbusen, das optionale Glasdach des Scirocco durchflutet den Innenraum mit Licht und vermittelt ein Gefühl von Freiheit. Der Wolf braucht Auslauf. Ich auch. Zeit für eine Bergetappe.
Zwischen den Felsen des Parque Natural da Arrabida liegt das Jagdrevier des Scirocco. Auf der kurvenreichen Strecke bewähren sich der im Vergleich zum Golf tiefere Schwerpunkt, die breitere Spur und das straffere Fahrwerk. Die Vorderachse zieht das Coupé symmetrisch entlang der Fahrbahnmarkierung. Der Wolf weicht nicht von seiner Fährte, krallt sich in den Asphalt und stürmt schnaufend den Berg hinauf. Er hat frische Beute gewittert. Die Beute bin ich.
Auf einem Plateau über der Bucht von Setubal weiche ich dem Räuber und schaue ihm aus sicherer Entfernung noch einmal tief in die Augen, ehe ich seinem Großvater begegne. Dieser empfängt mich zahm und freundlich. Er basiert auf dem Ur-Scirocco von 1974, trägt jedoch den Zusatz „GT“. Der Scirocco GT kam 1978 auf den Markt. Ausgestattet mit der damals stärksten Maschine, ein 1,6 Liter Vierzylinder mit 85 PS, ist der GT das Pendant zum heutigen Scirocco 2.0 TSI. Die sportbegeisterte Kundschaft musste damals 12.915 DM (6.603 €) zahlen, heute kostet die Topversion mindestens 25.550 €. Die Zeiten haben sich geändert – wird mir bewusst, als ich auf den leuchtend grünen Sportstühlen Platz nehme. Gegen das korpulent ausgestatte Cockpit des neuen Scirocco wirkt die spartanische Inneneinrichtung wie ein Gerippe. Nein, diesen alten Wolf werde ich nicht hetzen, man soll dem Alter schließlich mit Respekt begegnen.
Fazit: Bei unserem ersten Kontakt hat sich der neue Scirocco als potenter Räuber im Revier der Sportcoupés gezeigt. Er ist ein cooler Wolfsburger, der auf den ersten Blick gefällt und mit inneren Werten wie Technik und Ausstattung glänzt. Der günstige Anschaffungspreis wird der Konkurrenz die Beute streitig machen. Ob der sportliche Charakter des Scirocco in Verbindung mit den kleinen Einstiegsmotoren zur Fassade schrumpft, wird sich zeigen. Der kraftvolle Scirocco 2.0 TSI geht ab 29. August 2008 auf Beutefang. Ich stelle mich freiwillig.
Technische Daten und Preise:
1.4 TSI: 122 PS / 9,7 s / 200 km/h / 6,1 Liter / 21.750 Euro
1.4 TSI: 160 PS / 8,0 s / 217 km/h / 6,5 Liter / 23.300 Euro
2.0 TSI: 200 PS / 7,2 s / 235 km/h / 7,7 Liter / 25.500 Euro
2.0 TDI: 140 PS / 9,3 s / 207 km/h / 5,4 Liter / 25.300 Euro
2.0 TDI: 170 PS / keine weiteren Angaben
Volkswagen hat zum Kultklassiker Scirocco ein Buch veröffentlicht. Das Buch „Scirocco.“ beschreibt die Entstehung der klassischen Baureihen von 1974 bis 1992 mit technischen Daten, Fotografien und Hintergrundinformationen. Classic Driver verlost 5 Exemplare dieses Buches.
Die Gewinner der Verlosung sind:
Stefan K. aus München
Christoph B.
Tassilo C. S. aus Leipzig
Martin H. aus Brande, DK
Udo K. aus Großheubach
Robert R. aus Wien
Wir wünschen den fünf Gewinnern viel Freude bei der Lektüre!
Text & Fotos: Jan-Christian Richter
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