Direkt zum Inhalt

Magazin

Seat 1200 Sport Bocanegra: Schwarze Schnauze

Er ist giftgrün, mutig geschnitten und hat eine schwarze Schnauze. Als andere Hersteller noch von Sportversionen träumten, schickte Seat mit seinem Bocanegra einen echten Hingucker auf die Straßen. Nicht sonderlich schön, aber ein charismatischer Exot – und mittlerweile äußerst rar.

Seat und Volkswagen gehören erst seit 1986 zusammen. Seit der Markengründung im Jahr 1950 war der spanische Autohersteller aus Martorell nahe Barcelona eigenständig und produzierte bevorzugt in Lizenzbauweise Fiat-Modelle in mehr oder weniger eigenem Design. Kaum ein Seat war jedoch auffälliger als der Seat 1200 Sport und das Topmodell 1430 Sport. Technisch basierten die beiden auf den Fiat-Modellen 124 / 127 / 128, waren mit ihnen jedoch nicht baugleich. Vielmehr war der 1200 Sport ein 2+2sitziges Kompaktklasse-Coupé mit eigenständigem Design aus eigener Seat-Entwicklung. Charakterisch war die schwarze Kunststofffront, die Kühlergrill, Scheinwerfer und Blinker beheimatete. Er gab den beiden Modellen die Bezeichnung „Bocanegra“ – schwarzer Mund. Der Bocanegra ist ein automobiles Kind de bunten 70er Jahre. Das merkt man auch an den Lackierungen. Besonders begehrt waren in Spanien die Farben braunmetallic, hellblaumetallic, rot und blau. Am schärfsten sieht die schwarze Front des Bocanegra jedoch in Verbindung mit gelb und giftgrün aus.

Seat 1200 Sport Bocanegra: Schwarze Schnauze Seat 1200 Sport Bocanegra: Schwarze Schnauze

Angetrieben wurde der Seat 1200 Bocanegra von einem 1,2 Liter großen Vierzylinder mit 67 PS. Bei dem gerade einmal 800 Kilogramm schweren Fronttriebler allemal genug Leistung, um mit ihm flott unterwegs zu sein. Die Höchstgeschwindigkeit von knapp 160 km/h erscheint dabei jedoch bereits ab Tempo 120 wie ein Ritt auf einer Kanonenkugel. Das Fahrwerk des 3,67 Meter langen Bocanegra ist schwammig und wenig straff; zusammen mit den dünnen 145er Pneus eine gefährliche Mischung. Noch wilder ging es beim Topmodell zu. Den Bocanegra gab es auch mit einem 1,4-Liter-Triebwerk. Der 1430er leistete 77 PS und 165 km/h Spitze. Eindrucksvoller als die Mehrleistung von zehn Pferdestärken war jedoch der geringere Verbrauch, den Seat stolz mit 7,5 Litern Benzin auf 100 Kilometern angab, während der 1200 S 8,8 Liter verbrauchte. Mit einem knapp 30 Liter großen Tank waren mit beiden Spaniern jedoch keine großen Sprünge zu machen.

Im Innenraum blicken die Insassen auf den Plastikcharme der 70er Jahre. Bei den Hauptuhren für Tempo und Drehzahl wird die Verwandtschaft zum italienischen Fiat-Konzern ebenso deutlich wie am immerhin lederummantelten Lenkrad, dem knochigen Schaltknüppel und den drei Zusatzanzeigen für Uhrzeit, Wassertemperaturen und Öldruck. Das war es aber auch schon mit der Sportlichkeit des Interieurs, denn weder der braune Flockvelours der Innenausstattung, noch der Zuschnitt der Sitze selbst lässt einen davon träumen, dass es sich bei dem Bocanegra um eine Sportversion handelt. Immerhin die Instrumente sollen einem dynamischen Tatendrang vorgaukeln, denn ab 120 km/h beginnt auf dem Tachometer der gelb hinterlegte Bereich, in dem der Fahrer Vorsicht walten lassen sollte. Zu Recht, denn ab diesem Tempo sollte der Pilot seine Sinne durchaus beisammen haben. Das wankmütige Fahrwerk der Mittsiebziger und wenig bissige Bremsen mahnen, gerade in Richtung Grenzbereich nicht übermütig zu werden. Der Drehzahlmesser hat jedoch jede Bodenhaftung verloren. Er verfügt zwischen 5.800 und 6.200 U/min über einen winzigen gelben Bereich. So hoch dreht der nicht einmal 1,2 Liter große Vierzylinder jedoch gar nicht. Danach geht es in den roten Drehzahlbereich, der bis 8.000 Touren läuft.

Seat 1200 Sport Bocanegra: Schwarze Schnauze Seat 1200 Sport Bocanegra: Schwarze Schnauze

Dass es sich bei dem Seat 1200 Sport um eine Sportversion handelt, ist abgesehen von der düster dreinblickenden dunklen Gesichtsmaske nicht zu erkennen. Ein Blick unter die Haube zeigt das 67 PS starke Motörchen, das den Raum unter der Motorhaube nur sporadisch ausfüllt. Keine Alufelgen, keine Servolenkung oder gar Colorglas – der Seat Bocanegra bietet seinen Insassen nur das nötigste. Immerhin gibt es eine heizbare Heckscheibe, zwei Wischergeschwindigkeiten und einen Choke zum Justieren der Zündung beim Kaltstart. Vorne lässt sich bis 1,75 Meter bequem sitzen. In der zweiten Reihe sind Taschen jedoch besser aufgehoben als Personen. Das Platzangebot ist hier genauso knapp wie die Sicherheitsvorkehrungen. Als Sonderausstattungen gab es Front- und Heckspoiler, Alufelgen, getönte Scheiben, Nebelscheinwerfer, Radio und einen rechten Außenspiegel.

Beide Sportversionen waren bei Seat keine Bestseller und wurden zunächst ausschließlich in Spanien verkauft. Vom Seat 1200 Sport liefen 11.619 Fahrzeuge vom Band; vom 1430er waren es knapp 7.800 Stück. Während der 1200 Sport bereits 1975 auf den spanischen Markt kam und bis 1979 produziert wurde, gab es den größeren Seat 1430 Sport Bocanegra von 1977 bis 1979. Der Seat 1430 wurde Ende der 70er Jahre jedoch auch ins Ausland, unter anderem nach Belgien, Holland und Deutschland exportiert. Seltene Modelle sind jedoch fast ausschließlich in Spanien zu finden. In Deutschland gibt es nur eine Handvoll Fahrzeuge. Da die Karosserie-Gleichteile mit den Fiat-Brüdern fehlen, ist es um die Ersatzteilsituation nicht zum besten bestellt. Insbesondere die schwarze Schnauze ist vom Teilemarkt völlig verschwunden.

Text: Stefan Grundhoff
Fotos: Press-Inform / Seat


ClassicInside - Der Classic Driver Newsletter
Jetzt kostenlos abonnieren!