Stuttgart-Zuffenhausen im Frühjahr 2004. Ich stehe vor einer endlos scheinenden Reihe freundlicher Scheinwerferaugen, die mich interessiert zu mustern scheinen. Ich betrachte den schwarzen, schweren Schlüssel in meiner Hand und drücke den Knopf mit dem Entriegelungs-Symbol. Aus der Anonymität des Testwagen-Parkplatzes blinkt mich ein gewaltiger, dunkelblauer Porsche Cayenne an. „Sechs Zylinder, 250 PS, 310 Newtonmeter“ - kurz lasse ich mir die Basisdaten durch den Kopf gehen, dann ziehe ich auch schon am Griff der Fahrertür und steige hoch hinauf, in das beigefarbene Cockpit. Ich ziehe die Tür hinter mir zu, genieße einen Moment lang die Ruhe und mache mir dann ein erstes Bild.
Der Innenraum ist – was Farbgebung, Design und Aufteilung angeht – von bestechender Klarheit und Eleganz. Etwas weniger Plastik hätte zwar nicht geschadet, aber irgendwo müssen die enormen Konzerngewinne ja generiert werden. Die großen Rundinstrumente, das zentrale Multifunktionsdisplay, die ergonomischen Knöpfe und Schalter kennt man bereits aus den 911er-Modellen und auch zu den stärker motorisierten Cayenne-Modellen, die in Reihe und Glied auf dem Parkplatz stehen, ist kaum ein Unterschied auszumachen. Ein wenig irritiert die manuelle Sechsgang-Schaltung, die man bei einem Automobil dieser Größe eigentlich nicht erwarten würde.
Nun denn - Schlüssel rein, starten und den Klang des Motors begutachten. Das 3,2 Liter-Aggregat kommt eigentlich von Volkswagen, genauer gesagt aus dem Touareg, und wurde bei Porsche mit 30 zusätzlichen PS auf Sportlichkeit getrimmt. Für einen VW-Fahrer mag sich der Motor rassig anhören, wer aber einmal mit dem Gaspedal eines Porsche 911 Carrera 4S oder eines 911 Turbo spielen durfte, wartet im kleinen Cayenne vergeblich auf die Gänsehaut am Unterarm.
Langsam rolle ich aus dem Werkstor auf die Hauptstraße und nutze zwei Grünphasen, um den Vorwärtsdrang des Sechszylinders am Stuttgarter Pragsattel ein erstes Mal zu testen. Für die 2,16 Tonnen Lebendgewicht, mit denen sich der Cayenne V6 herumschlagen muss, wirken die 250 Pferdestärken unter der Fronthaube nun überraschend potent. An der nächsten roten Ampel gebe ich mein Tagesziel in das Navigationssystem ein und lasse mich durch den Feierabendverkehr zur Autobahn geleiten.
Mit der Agilität eines Sportwagen – so scheint es mir jedenfalls – ziehe ich auf die angenehm leere Bahn, direkt auf die linke Spur und drücke das Gaspedal durch. Die Strecke ist frei und so schalte ich hoch, bis der sechste Gang erreicht ist und die Tachonadel bei 205 km/h verweilt. Laut Fahrzeugbrief ist zwar Tempo 214 möglich, jedoch nicht mit Winterreifen. Souverän gleite ich an winzig wirkenden Limousinen und Cabriolets vorbei. Die hohe Sitzposition ist – gerade bei schneller Fahrt – sehr angenehm. Und mit eingeschalteter Frontbeleuchtung hat der Porsche Cayenne ein Abonnement auf eine freie linke Spur.
Nach rund zwei Stunden Fahrt erreiche ich bei Freiburg den Fuß des Schwarzwaldes und mein Ziel, die Traditions-Bergstrecke Schauinsland. Mühelos lenke ich den großen Cayenne durch steile Serpentinenkurven, zu einer Seite immer den nebligen Abgrund und die riesigen, schneebedeckten Tannen vor Augen. Im unteren Drehmomentbereich ist der Sechszylinder allerdings nur mäßig agil und häufiges Runterschalten ist gefragt. Bei 700 Höhenmetern durchbrechen wir die Wolkendecke. Angeregt von der Sonne und dem winterlichen Panorama trete ich das Gaspedal nochmals durch, beobachte die Bewegung des Drehzahlmessers und finde nun auch Gefallen am Dröhnen des Sechszylinders. Rund 30 Kurven und 200 Höhenmeter später ist der Gipfel des Schauinsland erreicht.
Zwischen zwei Tannenschonungen springt mir ein schmaler, verschneiter Weg ins Auge. Ich reiße das Steuer herum, trete die Bremse und der Wagen taucht ein in die Dunkelheit der verschneiten Nadelbäume. Automatisch springen die Xenon-Scheinwerfer an und ich habe beste Sicht auf einen steilen, verschneiten Forstweg, der mir als Teststrecke für einen Geländewagen als ideal erscheint. Dank den diversen Sicherheitssystemen wie dem Traktionsmanagement PTM, das die Kraft - je nach Situation – auf die entsprechenden Räder verteilt, werde ich auf beim Anblick des Gefälles und der tiefen Furchen im frischen Schnee nicht unruhig. Ich schalte in den Low Range Modus und erhöhe die Bodenfreiheit, in dem ich die Federung auf Geländeniveau schalte.
Bis zu 45 % Steigung meistert der Cayenne in dieser Gelände-Einstellung – so steht es jedenfalls im Board-Buch. Ich nehme den Fuß von der Kupplung und lasse den riesigen Wagen über einige große Äste rollen, die ehrfürchtig knacken. Ermutigt gebe ich Gas und rutsche prompt in eine tiefe Schneeverwehung, komme jedoch nicht zum Stehen und nähere mich mit steigender Geschwindigkeit einer bedrohlich wirkenden Tannenfamilie. Ich versuche gegen zu lenken, gebe leicht Gas und bin zu meiner Verwunderung wieder auf festem Untergrund. Das Spiel wiederholt sich über den gesamten Waldweg noch einige Male. Egal ob Baumstümpfe, Schlaglöcher oder extreme Steigung – der Cayenne lenkt sich leicht wie in einem Videospiel und ich muss dank der Motor-Bremsmoment-Unterstützung PHC nicht einmal selbst bremsen.
Unten angekommen drehe ich den Wagen um 180 Grad und trete den Rückweg nach oben an. Wie ein urzeitliches Tier kriecht der Cayenne nun in Zeitlupe zwischen den Tannen hindurch. Ich bilde mir ein, zu fühlen, wie unter mir das Getriebe arbeitet und die Motorkraft von einem Rad aufs nächste balanciert. Eisige Tannenzweige schlagen gegen die Fenster, Nebel zieht auf und es beginnt, leicht zu schneien. Dann sind wir auf einmal wieder an der Wegeinfahrt angekommen. Ich schalte die Geländeeinstellungen wieder aus und biege auf die Straße, um dem Cayenne eine kurze Ruhepause zu gönnen.
Bei Schwarzwälder Kirschtorte und einer heißen Tasse Kaffee schaue ich durch die Eissterne am Fenster des Berggasthofs, hinaus auf den Parkplatz. Da steht er - groß und verschneit. Im Grunde meines Herzens bin ich zufrieden mit meinem Porsche dort draußen. Gut, eine manuelle Schaltung macht in einem derart großen Geländewagen mit verhältnismäßig wenig Motorkraft kaum Sinn. Und auch das erhoffte Porsche-Feeling und die traditionelle schwäbische Sportlichkeit wollen sich nicht so richtig einstellen. Wer allerdings auf der Suche nach einer komfortablen, gut verarbeiteten und äußerst zuverlässigen Alternative zu X5, M-Klasse und Touareg ist, sollte sich den Porsche Cayenne V6 einmal aus der Nähe anschauen – denn einen eindrucksvolleren Geländewagen als den Cayenne wird man unter 50.000 Euro wohl nirgends finden.
Ich nehme einen letzten Schluck Kaffee, begutachte den schweren, schwarzen Schlüssel auf der rot-weiss-karierten Tischdecke und versuche unruhig, die Bedienung zu erspähen. „Schnell bezahlen und raus in den Wagen“, denke ich mir - der Waldweg hat es mir zu sehr angetan...
Text & Fotos: Jan Baedeker