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Magazin

Porsche Cayenne Turbo S (955)



Vor 150 Millionen Jahren war die Welt nicht besser als heute. Auf dem Festland kämpften gewaltige Reptilien um die Gunst kommender Paläontologengenerationen und den Titel des „größten, schwersten, gewaltigsten Dinosauriers im Erdmittelalter“. Auch in den Meeren machte sich der Neoliberalismus breit: kleine Plesiosaurier wurden von großen Plesiosauriern geschluckt; alles was übrig blieb sank zu Boden und sedimentierte. Heute – einige Kontinentalverschiebungen, Eiszeiten, Wüstenbildungen und Meteoriteneinschläge später - sind die sterblichen Überreste unserer Vormieter heiß begehrt. Als Rohöl aus den tiefsten Erdschichten gebohrt, raffineriert und veredelt, wird mit den gepressten Giganten der Vorzeit der gefräßigste Gigant der Moderne genährt: das SUV. Den schnellsten, stärksten und vielleicht auch gefährlichsten Vertreter der neuen Sports-Utility-Spezies, den „Rex“ unter den geländetauglichen Geschöpfen der Erdneuzeit, den Porsche Cayenne Turbo S haben wir jetzt bei seinem Raubzug durch den urbanen Asphaltdschungel begleitet.

Porsche Cayenne Turbo S (955) Porsche Cayenne Turbo S (955)

Bereits im Februar war Classic Driver mit dem Porsche Cayenne Turbo S über die Dünen von Dubai geschossen. Unser Fazit damals: Wer die Wüste sein Zuhause nennt und zur Entspannung den privaten Erdölquellen beim Sprudeln zusieht, kommt nicht aus ohne die edelste Züchtung aus dem fernen Stuttgart. Mit brachialen 521 PS Leistung bei 5.500/min, 720 Nm zwischen 2.750 und 3.750/min, dicken Ledersesseln und einem riesigen Gepäckraum ist der Turbo S der ideale Wegbegleiter für jeden Wüstenprinzen auf Falkenjagd. Doch wie verhält sich der Dünenstürmer in den zivilisatorischen Schranken mitteleuropäischer Straßenverkehrsordnungen? Ist eine artgerechte Haltung des mächtigen Räubers in unseren Breiten überhaupt möglich?



Porsche als Erfolgsunternehmen und neuer Player im Volkswagen-Poker hat auch eine Vorbildfunktion. With great power comes great responsibility – das wusste schon Spiderman. Zudem tragen die Zuffenhausener als Schöpfer des 911, eines der vollkommensten Sportwagen der Welt, auch eine Verantwortung gegenüber der eigenen Qualität: Natürlich stimmen beim Cayenne TS die Spaltmaße – das ist nicht gemeint. Etwas fragwürdig ist viel mehr das Gesamtkonzept hinter einem 2,4-Tonnen-Koloss, dessen Bi-Turbo-V8 mit einem Leistungsplus von 71 PS und 100 Nm gegenüber dem „normalen“ Turbo schon fast die Ferrari-Fraktion ins Fadenkreuz nimmt. Entsprechend weiter aufgerüstet würde das schwere Flaggschiff irgendwann sogar dem Enzo die Show stehlen. Auch in der Geschichte der Dinosaurier gab es einen Punkt, als das Wachstum ein Ende haben musste. Die Giganten konnten ein gewisses Gewicht nicht überschreiten, sie wären trotz dem Plus an Muskelkraft zwangsläufig unter ihren Fleischmassen erstickt. An einem ähnlichen Punkt befindet sich der Cayenne: Mit dem ersten Turbo war die ideale Verteilung zwischen Masse und Kraft bereits erreicht. Jede weitere Aufrüstung steht einfach nicht mehr im Verhältnis zu seiner Beweglichkeit.

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Doch gerade der unvernünftige, brachiale, egomanische, arrogante, kaum in Worte zu fassende Vorwärtsdrang, mit dem sich der Porsche Cayenne Turbo S seinen Weg durch Innenstädte, Autobahnspuren und Kiesgruben pflügt, hat eine ganz besondere Anziehung. In erstaunlichen 5,2 Sekunden wird der stärkste aktuelle Serien-Porsche auf Tempo 100 katapultiert – mit dem zivilen Beschleunigungsverhalten eines Audi S6, mit dem er diesen Wert teilt, hat er jedoch nur wenig zu tun. Einmal an der richtigen Stelle getreten, schmeißt sich der Cayenne TS nach vorne wie ein wütendes Nilpferd – der Fahrer kann sich nur am Lenkrad festhalten, von hoch oben den Kurs korrigieren und die kleineren Verkehrsteilnehmer geschickt umschiffen. Für die passenden Übersetzung sorgt das Automatikgetriebe. Noch beeindruckender ist der Zwischensprint von 80 auf 120 km/h, vorzugsweise in einem Tunnel vollzogen: das ohrenbetäubende, gnadenlose Brüllen, mit dem der Gigant in 5,4 Sekunden beschleunigt, ist in der Automobilwelt absolut einzigartig. Leider bekommt der Fahrer in seinem schallisolierten Cockpit nicht viel von der akustischen Gewaltorgie mit – nur die panisch weichenden Vordermänner zeugen vom Angstfaktor der Abgasanlage und dem Schreckenspotenzial des monströsen Kühlergrills.

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Luftgefedert, voll klimatisiert und mit Bose-Sourround-Sound untermahlt trete ich das Gaspedal unseres tapferen Probanden etwas weiter nach unten. Ab 200 km/h weicht das animalische Ziehen und Zerren der machtvoll-gelassenen Full-Speed-Fahrt einer Luxusyacht auf ruhiger See. Bis Tempo 270 zieht der aufgeladene Achtzylinder in diesem Stil ohne Atempausen nach vorne, während sich die Tanknadel tatsächlich sichtbar nach links bewegt, dann mischt sich die elektronische Anstands-Abregelung ins Geschehen – was angesichts der Aerodynamik des Kolosses und dem Super-Plus-Verbrauch weit jenseits der 30 Liter/100 km-Grenze ausnahmsweise einmal sinnvoll erscheint. Trotzdem, das Gefühl bleibt: auf gerader Strecke würde der Cayenne Turbo S wohl ins Unendliche weiter beschleunigen. Ein roter Kreis auf weißem Grund, in seiner Mitte eine schwarze „120“ rät mir zum Tritt auf die Bremse. Die Negativbeschleunigung zieht durch den Magen, lässt das Rückenmark schwingen, so konsequent pressen sich die gewaltigen Bremsscheiben dem Vortrieb entgegen. Bei 150 km/h habe ich das Gefühl, die Tür öffnen und meinen Fuß ohne Gefahr auf den Asphalt halten zu können. Bei 120 km/h scheint es, wir fahren rückwärts. Mit einladendem Leuchten holt uns die nächste Tankstelle von der Bahn. Es wird nicht das letzte Mal sein.

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Technisch ist der Porsche Cayenne Turbo S natürlich mit allem bestückt, was in Zuffenhausen für die Geländewagensparte in den Regalen liegt: Permanenter Vierradantrieb mit Traktionsmanagement PTM, Luftfederung mit integrierter Niveauregulierung – unter anderem für die Absenkung der Karosserie im Hochgeschwindigkeitsbereich – und aktives Dämpfersystem mit Porsche Active Suspension Management, kurz PASM, das man übrigens bei Wüstenfahrten unbedingt ausschalten sollte. Da Wüsten in Mitteleuropa aber noch selten sind, beschränken sich die Anforderungen an ein SUV meist darauf, bei Vollgas auf jeder Schotterpiste die Spur zu halten und beim Besuch der eigenen Baustelle möglichst nicht vor versammelter Arbeiterschaft einzusinken. Ob eine derartige Unterforderung langfristige Auswirkungen auf die Psyche des gewaltigen Alleskönners hat, bleibt abzuwarten.

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Denn schon von vorneherein ist der Porsche Cayenne ein gespaltenes Wesen, das zwischen der wertvollen Sportwagentradition der Marke und den Anforderungen neuer Märkte seinen Platz finden muss. Der Cayenne Turbo S ist so etwas wie der Superlativ dieses Kompromisses: er ist der Sportlichste unter den SUVs, der Luxuriöseste unter den Sportwagen, der Geländetauglichste unter den Limousinen. Wer den Einstiegspreis von 117.573 Euro ins Scheckbuch schreibt, dem schenkt der Turbo S Sicherheit und Macht. Er steht am Ende der automobilen Nahrungskette, er ist der „größte, schwerste, gewaltigste“ Porsche von allen, er ist der T-Rex unserer Zeit. Und um den entscheidendsten Vorteil des Porsche Cayenne Turbo S nicht zu vergessen: Auf einmal lohnt sich das Sammeln von Bonuspunkten beim Tanken.

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Wir danken Eventlabs für die attraktive Fotolocation, den Strandkai Club in der Hamburger Hafencity.

Text: Jan Baedeker
Foto: Jan Baedeker, Miguel Martinez


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