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Magazin

Monteverdi Hai 450SS Coupé

Shark de Suisse

Text: Mathias Paulokat
Fotos: Scott Williamson

Monteverdi – eine Automobilmarke, bei der Kenner mit der Zunge schnalzen. Echte Supersportwagen kamen Anfang der siebziger Jahre nicht nur aus Italien, England oder Deutschland. Auch die Schweizer spielten in der Liga mit. Präziser und namentlich ein Schweizer: Peter Monteverdi. Sein scharfer Mittelmotor-Sportwagen Hai sorgte vor allem für eines - grandioses Aufsehen. Und das damals wie heute! Denn bei der jüngsten Automobil-Auktion von Bonhams in Paris wurde Mitte Januar 2010 der bekannte burgundrote Hai 450SS zugeschlagen: für 398.000 Euro. Anlass für uns, umgehend mit einem Klassikerbrevier nachzulegen.

Die Geschichte des Schweizers Peter Monteverdi aus Binningen in der Nähe von Basel ist die eines echten Automobil-Aficionados. Bereits in den 1950er Jahren wandelte er den familiären bodenständigen Kfz-Werkstattbetrieb in eine Markenvertretung für BMW, Ferrari und Lancia um. Doch damit nicht genug: Neben einigen über die Ortsgrenzen hinaus beachteten Karosseriearbeiten und Rennwagen-Prototypen brachte er auch britische Fahrzeuge der Marken Bentley, Jensen und Rolls-Royce unter die Eidgenossen. Mitte der 1960er Jahre verlor Monteverdi jedoch seine Ferrari-Vertriebslizenz. Für den Schweizer Anstoß genug, einen eigenen Weg zu gehen und es den Norditalienern zu zeigen. Auf seine Weise.

Der Auftakt schien verheißungsvoll: Auf dem Genfer Salon 1970 war der Monteverdi Hai 450SS der Star der Show. Paul Berger, Monteverdis Partner und jetziger Leiter des Monteverdi Museums, erinnert sich: „Der Wagen war unser Durchbruch. Die Presse umlagerte unseren Stand und an den folgenden Tagen war der Hai auf allen Titelblättern.“ Ursächlich hierfür waren gleichermaßen Design und Leistungsvermögen. Bei dem als Mittelmotor verbauten Aggregat handelte es sich um den Chrysler V8 „Hemi“, der so hieß, weil er hemisphärische Brennräume aufwies. Der 7,0-Liter Motor leistete in der amerikanischen Werksausrüstung 450 SAE PS, was der Hai in seiner Typbezeichnung aufgriff. Gebremst wurde mit Stoppern von ATE. Hinten kam eine DeDion Achse zum Einsatz, welche an ein spezielles Getriebe von ZF anflanschte. Im Messetrubel verkündete Peter Monteverdi atemberaubende Fahrleistungen: Über 290 km/h sollte der Hai laufen und in knapp unter fünf Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h sprinten. In Anbetracht der bissigen Form glaubte die Presse ihm aufs Wort, oder besser auf die Zahl, und übernahm die Leistungswerte zumeist kritiklos.

Ein mehrfaches Unikat

Bei dem von Bonhams auf der Rétromobile 2010 am 23. Januar in Paris zugeschlagenen Fahrzeug handelt es sich um das originale Fahrzeug Hai 450SS mit der Chassisnummer TNT 101 aus dem Jahr 1970. Der Bieter zahlte inklusive dem Aufgeld 398.000 Euro. Eben dieses Fahrzeug erregte nicht nur während der Auktion in Paris, sondern eben auch auf dem Genfer Salon die Aufmerksamkeit der anderen Hersteller, der Fachpresse und des Publikums. Es diente zudem als Testfahrzeug und ab 1989 als Unikat auf Concours-Veranstaltungen, einschließlich der Krone in Pebble Beach.

Bemerkenswert ist, dass der Hai 450SS nicht nur das einzig verkäufliche Unikat des Fahrzeugtyps ist, sondern auch einige Metamorphosen hinter sich hat. Denn Monteverdi wollte diesen radikalen Sportwagen vermutlich nie zur Marktreife bringen, sondern ihn vielmehr als Aushängeschild für den geplanten Serientyp 375 nutzen. Das sprach sich schnell herum und erhöhte die Begehrlichkeiten an dem 450er nur noch weiter. Und was machten die Schweizer? Sie verkauften nicht etwa, sondern modifzierten den Hai, lackierten ihn um, änderten heimlich Interieur und Anbauteile und erweckten so den Eindruck, es gäbe bereits mehrere Artgenossen. Ein Trugschluß, handelte es sich doch stets um Chassis-Nummer TNT 101 mit dem verbauten Aggregat Nr. MN 426310070471, wie auch Bonhams zu belegen weiß.

Erst 1973 schwamm sich dann tatsächlich ein zweiter Hai frei: der 450GTS. Dieses Fahrzeug wies einen gegenüber dem 450SS um sechs Zentimeter längeren Radstand auf, hatte eine Zweiton-Lackierung und wiederum geänderte Türgriffe. Das war es dann aber auch mit der zeitgenössischen Hai-Produktion. Erst in den 1980er Jahren fertigte Monteverdi noch einmal aus Restteilen zwei Nachfolgemodelle – für den eigenen Bestand. Diese drei Haie verfügen indes nicht über den Hemi-Block, sondern tragen einen Chrysler 440 Motor in der Wagenmitte. Alle drei Fahrzeuge sind heute im Eigentum des Monteverdi Museums. Wie aber kam das Original, der TNT 101, auf den Markt? Paul Berger erinnert sich: „Der Käufer war ein gewisser Karl Heinz Schuberth, der Peter Monteverdi so lange bearbeitete, dass dieser am 5. November 1971 klein beigab und verkaufte.“

Design: ein „alpines“ Kunststück

Danach soll das Fahrzeug in eher zwielichtige Garagen gestanden und sich nach zehn Jahren Besitz in Deutschland auf eine Odyssee in die USA begeben haben. Es folgte eine Restauration Anfang der 1980er Jahre und erst im Jahr 1989 die Präsentation in Pebble Beach, Kalifornien. Im Jahr 2006 wechselte der Hai an den vormaligen Eigentümer, der bereits eine Monteverdi-Sammlung besaß. Dieser beauftragte die Totalrestauration zurück in den Ausgangszustand – inklusive dem violetten Urfarbton, der direkt auf die Metallkarosse gespritzt wurde. Hierbei half eine originale Farbprobe auf dem Blechkleid, welche die Rekonstruktion der genauen Farbzusammensetzung ermöglichte.

Das Design des 450SS erinnert auffällig an den zweiten Renault Alpine. Und tatsächlich muss man aus heutiger Sicht objektiv feststellen, dass es hier wohl zu - nennen wir es einmal „wechselseitigen Inspirationen“ gekommen ist. Denn die Karosserie des Hai fertigte die Carozzeria Fissore in Savigliano. Laut Aufzeichnungen von Peter Monteverdi klar nach seinen Entwürfen. Doch diese Manufaktur hatte bereits eine Auftragsarbeit des britischen Designers Trevor Fiore angenommen: den Renault Alpine A310. Angeblich soll Monteverdi bei einem Termin in Savigliano die Pläne gesehen haben. Einwandfrei bestätigt ist dies bis heute nicht. Alleine die Ähnlichkeiten der Fahrzeuge wie der markante Schwung der Fensterlinie schüren die Vermutungen. Belassen wir es dabei, denn in jedem Fall darf das Design des schweizer Coupés als zeittypisch, in sich schlüssig und gelungen gelten. Der Hai 450SS zeigt Rasse und gleichzeitig doch eine kühle und sachliche Distanziertheit, die diesen Supersportwagen so faszinierend machen.

Das Cockpit bestach mit Zweckmäßigkeit auf hohem Materialniveau. Connolly-Leder und Klimaanlage zählten bereits 1970 zum Ausstattungsumfang. Die Restauration griff alle Details auf – bis hin zum Blaupunkt Köln Radio. Im Dezember 2007 erlebte der revitalisierte Hai dann im britischen Magazin Classic & Sports Cars seine mediale Auferstehung. Peter Monteverdi hat von alledem nichts mehr erfahren. Seine Firma konzentrierte sich eine zeitlang auf Geländewagen. Monteverdi profitierte später nach eigenen Angaben aus der Lizenz am Volvo 740, was ihm ermöglichte, Fahrzeuge aus eigener Produktion zurück zu kaufen. Er selbst blühte noch einmal in einem Motorsport-Engagement in der Formel-1 und dem Projekt Hai 650F1 auf, bevor er im Jahr 1998 verstarb. Sein legendärer Hai jedoch lebt weiter – und wie!

Datenblatt

Fahrzeugkonzept:
Coupé mit zwei Sitzen

Karosserie:
Blech auf Stahlrahmen

Motor:
7,0-Liter Chrylser V8-Hemi-Block

Max. Leistung:
390 PS

Kraftübertragung:
ZF-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb

Bremsen:
ATE-Scheibenbremsen

Länge:
4.350 mm

Breite:
1.795 mm

Höhe:
1.020 mm

Radstand:
2.620 mm

Leergewicht:
ca. 1.300 kg

Beschleunigung:
von 0 auf 100 km/h laut Werk in ca. 5 Sekunden

V-max:
zwischen 270 km/h (bestätigt) und über 290 km/h (Werksangabe)