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Mit David Browns Aston Martin DB2 durch London

Das nennt man wohl ein Automobil mit Geschichte: Der Aston Martin DB2 mit Chassisnummer LML/49/4 ist das vierte jemals gebaute Exemplar – und das zweite mit Sechszylinder-Motor. Er diente David Brown, dem großen Aston-Patriarchen und Namensgeber aller DB-Baureihen, als Transportmittel, bis er 1950 als Rennwagen bei der Targa Florio und Coppa Intereuropa in Monza zum Einsatz kam. Steve Wakefield war mit dem eindrucksvollen Wagen im Londoner Westen unterwegs.

In vielerlei Hinsicht handelt es sich bei Chassisnummer LML/49/4 um den ersten vollständigen Aston Martin DB2. Ein geschichtsträchtiges Exemplar also, das unter seinem neuen, schweizerischen Besitzer an einigen erstklassigen Veranstaltungen teilnehmen wird. Classic Driver hatte die Möglichkeit, den ungewöhnlichen Klassiker bei Nicholas Mee & Co, einer der renommiertesten Londoner Adressen für Aston Martin Heritage, für eine Ausfahrt zu entleihen. Die Stadtgrenzen durften wir zwar nicht verlassen, doch es war genügend Zeit, um den sechzig Jahre alten Aston ein wenig näher kennen zu lernen.

Zunächst seien jedoch noch einmal die Nachkriegszeit und die frühen Jahre der Marke Aston Martin unter der Führung von David Brown vor Augen gerufen. Der Ingenieur Claude Hill hatte damals eine eher zurückhaltende Sportcabrio-Version der Atom-Limousine entwickelt, die vom markeneigenen Vierzylinder-Motor angetrieben wurde: dem Two-Litre Sports oder kurz DB1. Mit dem Ankauf von Lagonda wuchs Browns Firmen-Portfolio – und der exzellente, von W.O. Bentley entwickelte 2,6 Liter DOHC-Sechszylindermotor wurde verfügbar. Das Triebwerk ermöglichte eine deutlich höhere Leistung, die es mit jener Souveränität zur Verfügung stellte, die eben nur ein Sechszylinder beherrscht.

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Im Jahr 1949 gingen beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans gleich drei von Frank Felley entworfene Aston-Coupés an den Start: Zwei Vierzylinder und eines mit dem neuen Lagonda-Motor. Wie kurz darauf auch die charakteristischen Modelle der frühen Fünfzigerjahre, trugen die Rennwagen die typischen Erkennungsmerkmale eines Aston Martin: Das Kühlergrill-Triptychon an der Front und die überraschend großen Räder, denen man heute durchaus SUV-Qualitäten bescheinigen würde. Dieser Look stand als Prototyp für die Entwicklung des Aston Martin DB Mark II hin zum DB2, wie er in den Fünfzigern entscheidend das Bild der Marke aus Feltham prägte.

Für den „Governor“ David Brown war es nur angemessen, einen dieser ersten echten Aston Martin fahren zu wollen. Also wurde ein viertes Fahrwerk mit Nummer LML/49/4 konstruiert und im April 1949 offiziell angemeldet. Das damalige Nummernschild „UMC 272“ trägt der Ur-DB2 übrigens noch heute. Obwohl es sich eigentlich um einen Werksprototypen handelte, wurde der Sportwagen als persönliches Transportmittel und Werbefahrzeug in den Dienst genommen.

Im Jahr 1950 startete Aston Martin mit dem DB2 ein umfangreiches Rennsport-Programm. Unter der Leitung der genialen John Wyer konnten die Fahrer Macklin und Abecassis in Le Mans einen sehr guten fünften Platz in der Gesamtwertung erstreiten. Auch Werkspilot Lance Macklin konnte am Steuer des von Brown übernommenen DB2, Nummer LML/49/4, mit einem vierten Platz in der Coppa Intereuropa in Monza punkten und startete kurz darauf bei der Targa Florio. In Sizilien startete der DB2 zunächst vielversprechend, nach zwei Stunden hielt er sogar gleichauf mit Ascaris Ferrari 195S, doch Regenwetter und einer der weltweit anspruchsvollsten Rundkurse erwischten den talentierten Macklin auf dem falschen Fuß. Er kam von der Straße ab, stürzte in eine Schlucht, landete auf dem Dach und musste sich aus dem Cockpit befreien, während das Benzin aus dem Tank heraussprudelte – die üblichen Fünfzigerjahre-Geschichten eben. „UMC 272“ wurde im Werk repariert, doch für eine Teilnahme bei der Mille Miglia war es bereits zu spät. Um die Reperaturkosten zu tragen, musste er sich von seinem DB2 trennen.

Februar 2010, London. Nach gut zwei Jahrzehnten in den Tiefen einer Privatsammlung und einer aufwändigen Restaurierung durch den Works Service kommt der dunkelrot lackierte DB2 wieder ans Tageslicht. Auf seinen ursprünglichen, mit Dunlop 5.50 Rennreifen bezogenen 18-Zoll-Speichenrädern verströmt der Aston Martin noch immer den leicht futuristischen Look seiner Epoche – es war die Zeit der Jet Engines, der Raketen und einem kontinuierlichen Wettrüsten zwischen Ost und West. Man stelle den englischen Fastback GT neben einen von Touring oder Pinin Farina karosserierten Alfa Romeo, Lancia oder Cisitalia – so zu sehen übrigens beim diesjährigen Concorso d’Eleganza Villa D’Este im April – um auch die Geister der steinreichen Rennfahrer, die in den frühen Fünfzigern die Szene dominierten, zum Leben zu erwecken.

Mit David Browns Aston Martin DB2 durch London Mit David Browns Aston Martin DB2 durch London

Für den Automobilisten von heute ist es derweil gar nicht so leicht, den Platz hinter dem Steuer einzunehmen. Die enorme Bodenfreiheit und die niedrige Dachlinie verlangen eine ausgeklügelte Einsteigetechnik: Zuerst den linken Fuß unter das riesige Lenkrad schieben, anschließend den Rest des Körpers seitlich auf den überraschend komfortabel gepolsterten Ledersessel schieben. Es ist eine angenehme Fahrposition, die man hier einnimmt – und im Vergleich zu einem frühen Jaguar XK ist die Rundumsicht durchaus vorhanden. Dies gilt übrigens für die meisten klassischen Aston Martin. Mille Miglia diesen Mai? Kein Problem, count me in!

Die Sechyzylinder-Maschine mit SU-Doppelvergaser (Macklin ließ für seinen Sizilien-Einsatz zunächst dreifache Weber DCOs einbauen, die allerdings nach seinem Crash wieder entfernt wurden) startet leicht und läuft stabil im Leerlauf. Einen Ferrari 166 MM im Kopf, den ich im vergangenen Jahr fahren konnte, hatte ich eine harte Kupplung und knifflige Schaltung erwartet – doch alles läuft wie geschmiert. Während die Italiener zu dieser Zeit wohl die Leistungshoheit hatten – man stelle 140 PS des Ferrari gegen rund 105 PS im Aston – ist der DB2 sicherlich das fahrerisch angenehmere Automobil. Jeder, der schon einmal mit einem DB4, DB5 oder DB6 gefahren ist, dürfte mit diesem frühen DB2 keinerlei Probleme haben.

Ist der Aston einmal in Bewegung, heißt es zunächst, sich an die Lenkung gewöhnen. Zwar hat sie ein gewisses Spiel, dennoch geht sie deutlich leichter als die Steuerungen späterer DB2-Generationen – und das ist natürlich eine Erlösung. Ich denke, man kann dafür die riesigen, schmalen Reifen verantwortlich machen – und natürlich die äußerst leichte Rennkarosserie. Es ist wirklich einfach, den Wagen in der Spur zu halten, und ich würde gerne ausprobieren, wie sich 120 km/h oder 150 km/h auf offener Straße anfühlen. Zwischen 4.000 und 5.000 Umdrehungen könnte man den Motor in genau jenem Frequenzbereich spielen, der bei modernen Klassiker-Rennen wie der Mille Miglia oder der Colorado Grand angestimmt wird. Ab 3.500/min jedenfalls zieht der Motor sauber nach vorn, die SU-Vergaser arbeiten ohne Störung – und deutlich souveräner als in einem ausschließlich für die Rennstrecke optimierten Triebwerk mit Weber-Vergasern.

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Die 12-Zoll-Trommelbremsen sind laut Werksangaben für sportliche Einsätze ausgelegt. Solange man nicht erwartet, immer sofort zum Stehen zu kommen, arbeiten sie tatsächlich wunderbar, mit angenehmem Pedaldruck. Anschnallgurte oder gar einen Überrollkäfig sucht man derweil vergeblich. So war es eben zu dieser Zeit. Nachdem ich den Aston in einer ruhigen Seitenstraße im Londoner Westen zum Halten bringe und beobachte, wie die kastanienbraun schimmernde Karosserie vorsichtig für ihren Transport in die Schweiz verpackt wird, heißt es Lebewohl sagen: Der neue Besitzer wird seinen Spaß an diesem einzigartigen Stück Geschichte haben – Hauptsache, der Wagen bleibt in Bewegung. Nur bei den Alpenpässen sollte man vorsichtig bleiben: Der DB2 hat schon eine unfreiwillige Abwärtsfahrt überlebt und benötigt sicherlich keine Auffrischung dieser Erinnerung.

Großer Dank für die Unterstützung dieser Produktion gebührt dem neuen Besitzer und dem Team von Nicholas Mee & Co. Das komplette Angebot von Nicholas Mee & Co. finden Sie zudem in unserem Automarkt.

Text & Fotos: Steve Wakefield (Übersetzt aus dem Englischen)


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