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Mercedes-Benz G 55 AMG (2)



Die Landstraße nach Stuttgart: der G 55 AMG Kompressor ist in seinem Element. Mit seinem ungestümen Vorwärtsdrang verschlingt er gierig das Asphaltband und stürmt Sindelfingen entgegen. 500 PS bei der Arbeit. Das klingt so, als hätte AMG 500 Tuba Spieler zusammen getrommelt, sie kurzerhand ihrer Instrumente entledigt und stattdessen die gleiche Anzahl Druckluftkompressoren als Blasorchester verpflichtet. Und die stoßen mit 10 bar Überdruck in die Hörner. Genauso klingt der große G, wenn er Sportwagen verbläst.

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AMG beschreibt das mit ein wenig mehr Zurückhaltung, bedient sich dabei einer weniger bildhaften Sprache: „Die Sport-Abgasanlage mit vergrößerten Rohrquerschnitten und wirkungsvoller Katalysatortechnik sorgt für geringen Abgasgegendruck und gleichzeitig niedrige Emissionswerte im Rahmen der EU-4-Abgasnorm. Zwei ovale, schräg austretende Doppelendrohre vor den Hinterrädern und der AMG-typische V8-Sound liefern deutliche visuelle und akustische Hinweise auf die motorische Potenz des G 55 AMG.“ Nett formuliert: „Visuelle und akustische Hinweise auf die motorische Potenz.“ Unbedarfte Betrachter am Straßenrand müssen unwillkürlich denken, dass es den G jetzt auch mit Nitroantrieb gibt. Das Prinzip der Explosionsbeschleunigung: „Wumms und weg!“ - Nur das wabernde Nachdonnern zeugt von der kurzzeitigen physischen Anwesenheit dieses Geländerenners.

Mercedes-Benz G 55 AMG (2) Mercedes-Benz G 55 AMG (2)

Dazu gibt es informative Hinweise aus dem AMG-Prospekt: „Für den Einsatz des AMG V8-Kompressor-Triebwerks in der G-Klasse waren umfangreiche Modifikationen und Neuentwicklungen in den Bereichen Antrieb, Fahrwerk und Bremsanlage nötig. Eine neue Ölwanne stellt die zuverlässige Versorgung mit Schmierstoff in allen Fahrzuständen sicher. Die Absenkung der Ladeluft nach dem Prinzip eines Luft-Wasser-Wärmetauschers übernehmen ein motorseitiger Ladeluftkühler und zwei Niedertemperaturkühler im Fahrzeugbug. Ein leistungsfähigerer Elektrosauglüfter hält die Kühlwassertemperaturen stets im richtigen Bereich.“ Das wollen wir testen.



Tunnelsyndrom, wo es keine Tunnel gibt



Das beschauliche Schwabenländle fliegt vorbei, verschwimmt zu einer unscharfen Kulisse aus Hügeln, Häusle und laublosen Apfelbäumle. Mein Blick verengt sich - Tunnelsyndrom, wo es keine Tunnel gibt. Ich hetze die Hügel rauf und runter, fliege mit dem G ins Tal wie ein Lichtstrahl, der durch die Stuttgarter Weinhänge bricht. 100 km/h liegen weit hinter und ein enger Kreisverkehr vor mir. Scharf trete ich in die Bremse. Und hänge im Fahrergurt. Die Luft, hüstel, sie bleibt mir weg. Unerhört.

Mercedes-Benz G 55 AMG (2) Mercedes-Benz G 55 AMG (2)

Was sagt AMG dazu? „Die gesteigerte Fahrdynamik erforderte eine komplette Überarbeitung von Fahrwerk und Bremsanlage. So ermöglicht die Kombination aus höheren Federraten an der Vorderachse und rundum neu abgestimmten Gasdruck-Stoßdämpfern eine hohe Agilität bei Mercedes-typischem Langstreckenkomfort.“ Und weiter: „Die AMG Hochleistungsbremsanlage mit groß dimensionierten, rundum innen belüfteten Scheiben verbindet Verzögerungswerte auf hohem Niveau mit präziser Dosierbarkeit und eindrucksvoller Standfestigkeit.“ Stimmt, der G steht. Wie eine Eins. Direkt vor dem Mercedes-Benz Museum in Sindelfingen. Zeit für etwas Kultur. Ein Besuch in der Ahnengalerie der Mercedes-Benz Geländewagen.

100 Jahre Allrad, 40 Jahre AMG



Denn wie bestellt feiert Mercedes-Benz in diesem Jahr den 100. Geburtstag des Allradantriebs. Es begann 1907 mit dem sogenannten „Dernburg“-Wagen. Der gleichnamige Staatssekretär aus deutschen Landen wünschte ein Erkundungsgefährt für seine Safari-Touren durch Afrika. Mercedes entwickelte einen 4,90 Meter langen Sechssitzer, der aus seinem 6,8 Liter messenden Vierzylinder gerade einmal 35 PS Leistung hervor holte. Das reichte für eine Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h und eine Steigfähigkeit von immerhin 25 Prozent. In nur vier Reisetagen legte Dernburg mit dem Wagen eine Strecke von 600 Kilometern in „Deutsch-Südwest“, dem heutigen Namibia, zurück. Das war der eigentliche Ausgangspunkt der Geländelegende.

Mercedes-Benz G 55 AMG (2) Mercedes-Benz G 55 AMG (2)

Die Mercedes-Benz G-Klasse gibt es nun auch schon seit bald 30 Jahren. 1979 stellte Mercedes-Benz den damals noch sehr karg ausgestatteten Allradler auf die Räder. Ursprünglich als reines Militärfahrzeug entwickelt, wird die G-Klasse in Graz heute noch gebaut. Und – trotz ML und GL - hoffentlich auch noch in Zukunft. Im neuen Mercedes-Benz Museum jedenfalls pflegen neben dem Jurassic Parc Film-ML zwei Exponate das Image des G als geländetauglichen und universellen Charaktertyp. Im sechsten Mythosraum parkt ein gänzlich ungewaschener 290 GD Turbodiesel direkt gegenüber Arnold Schwarzeneggers ehemaliger S-Klasse. Dieser G hat fast die ganze Welt erkundet, wühlte sich durch den Sand von Afrika, holperte über den McKenzie-Trail in Kanada, erkundete Patagonien und Chile und fuhr vom indischen Madras aus über den Himalaya nach China. Und von dort über die Seidenstraße in die Türkei und zurück nach Deutschland. Der zweite G im Stuttgarter Museum hat vermutlich zu keinem Zeitpunkt unwegsames Gelände auch nur aus der Ferne gesehen. Vor uns steht das satinweiße Papamobil, ein 230 G von 1980 mit goldfarbenen Felgen und einer hoch aufragenden Glaskanzel.

Mercedes-Benz G 55 AMG (2) Mercedes-Benz G 55 AMG (2)

Genauso wenig wie der Pabst seinen G ins Gelände getrieben haben wird, übe auch ich mich diesbezüglich in sittsamer Enthaltsamkeit. Ins Gelände wagen würde ich mich schon mit dem 55er Kraftbolzen, ein G kommt schließlich fast überall hin. Aber die noch gänzlich unbefleckten 18 Zoll AMG Leichmetallräder im Fünf-Speichen-Design mit den 285/55 R 18-Hochgeschwindigkeitsreifen und die in Wagenfarbe lackierten Kotflügelverbreiterungen halten mich von dieser Sünde ab.



Grenzerfahrung im Reich der Geländewagen

Nein, ich habe keinen Grund, an den Offroad-Eigenschaften auch dieser G-Klasse zu zweifeln. Denn dafür bürgt die technische Ausstattung mit Geländeuntersetzung, drei manuell zuschaltbaren 100-Prozent-Sperrdifferenzialen und den drei Fahrsicherheitssystemen Elektronisches Stabilitäts-Programm ESP, Elektronisches Traktionssystem 4ETS und Brems-Assistent BAS. Zahlen! Ein gutes Stichwort. Reden wir mal schnell übers Geld. Nur mal nebenbei gefragt: „Was kostet so ein Hammer-G eigentlich?“ Ganz unten in der letzten Zeile der G-Klasse Preisliste finden wir die Antwort. Inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer sind exakt 117.334 Euro fällig. Plus 150 Euro für einen vollen Tank. Dafür ist dann aber auch ein komplettes Blechorchester eingebaut und immer zur Stelle, wenn Sie den Marsch blasen wollen. Das aktuelle Einstiegsmodell, den G 320 CDI, gibt es mit kurzem Radstand für fast die Hälfte: 66.878 Euro verlangt der Händler. Dafür erhält man hier das neue 7G-Tronic Getriebe, immerhin auch schon 224 PS Leistung und eine Beschleunigung aus dem Stand auf 100 km/h in 8,8 Sekunden – bei einem Leergewicht von ebenfalls deutlich über zwei Tonnen. Vergleichen Sie das einmal mit dem Ur-Diesel G, dem 240 GD.



Zurück auf den Pfad der Tugend: die gewundene Landstraße nach Affalterbach. Mein großer Gefährte scheint den Weg zu kennen. Mit aktiviertem Tempomat eilt er schnurstracks zurück ins schwäbische Hinterland. Zurück zum Campus der Leistungselite von AMG. Was nur wenige wissen: Die Marke blickt mittlerweile auch auf eine fast 40-jährige Tradition zurück. Seit 1967 beschäftigt sich AMG mit dem Veredeln von Mercedes-Benz Fahrzeugen. Damals gründeten Hans Werner Aufrecht (A) und Erhard Melcher (M) die Technikschmiede AMG. Aufrechts Geburtsort Großaspach (G) liefert den dritten Buchstaben in der Firmenbezeichnung. ,,Ingenieurbüro, Konstruktion und Versuch zur Entwicklung von Rennmotoren“ hieß das in der alten Mühle in Burgstall angesiedelte Unternehmen offiziell. Bereits 1971 gelang den Gründern der erste große sportliche Erfolg von AMG: Völlig überraschend siegt der rote AMG Mercedes 300 SEL 6.8 mit Hans Heyer und Clemens Schickentanz in seiner Klasse beim 24-Stunden-Rennen von Spa. In der Gesamtwertung rangiert die schnelle Limousine auf Platz zwei. Heute ist ein Nachbau der legendären „roten Sau“ im Kundencenter von AMG inmitten des Werksgeländes in Affalterbach zu bewundern.

Mercedes-Benz G 55 AMG (2) Mercedes-Benz G 55 AMG (2)

Und genau dort parke ich den silbernen Schnelltransporter. Die Kolben kommen zum Stillstand. Das Triebwerk verstummt. Ich rutsche aus dem Ledersattel und werfe die Fahrertür ins Schloss. „Peng!“ Das Knallen wie bei einem Panzerwagen. Mein Blick streift noch einmal die Flanke des Wagens: Der erhabene Kompressor-Schriftzug glänzt in der Nachmittagssonne. Und der G macht sich wieder breit auf dem grauen Granit. Das helle Iridiumsilber steht ihm gut. Noch besser allerdings würde eine Lackierung in Hammerschlag passen. Fast schon ein Wunder, dass ein normaler Führerschein zum Führen dieses Fahrzeug reicht. Der G 55 AMG: er ist nicht einfach nur ein gefährlich gutes Automobil. Er zählt zu den Konstanten des Automobilbaus, ein Referenzfahrzeug seiner Klasse und sicher auch eine Grenzerfahrung im Reich der Geländewagen.



Sie haben den ersten Teil unseres Fahrberichts mit dem G 55 AMG versäumt? Sie sind nur einen Klick entfernt. steigen Sie ein – in den „Grenzgänger“. Noch mehr AMG gefällig? Lesen Sie auch unseren Fahrbericht Himmelfahrtskommando über die Mercedes-AMG Fahrzeuge S und CL 63 AMG.

Text, Fotos & Video: Mathias Paulokat


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