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Maserati Tipo 61: Der Streamliner Birdcage

Der folgende Inhalt ist ein Auszug einer Reportage von Andy Heywood aus der Januar-Ausgabe des Magazins Auto Italia.

„Wenn du den Vierzylinder zu sehr quälst und ihm auf der Geraden keine Atempause gönnst, wird es ihn in Stücke reißen.“ Der warnende Hinweis von Chuck Daigh an seinen Co-Piloten Masten Gregory vor der gefährlichen Gerade Mulsanne beim 24-Stundenrenen von Le Mans im Jahr 1960. Das Auto – ein Maserati Birdcage, bekannt als der „Streamliner“.

Bei der Geburt des Birdcage dachte noch niemand daran, dass dieses Auto jemals international im Rennsport vertreten sein würde – und schon gar nicht in Le Mans. Maserati schuf den Tipo 60 als Mitstreiter bei einheimischen Events, und beabsichtigte das Auto an solvente Privatteams zu verkaufen. Der Prototyp mit der Chassisnummer 2451 ist besonders bedeutend in der Geschichte des Streamliner, denn es handelt sich um ein und das selbe Auto. Wie es dazu kam? Es begann mit dem typischen Durcheinander bei Maserati und einem Amerikaner mit großen Plänen.

Die erste Anfrage auf einen Tipo 60 kam aus Kalifornien, jedoch sollte der Wagen dort konkurrenzfähig in einer großen und wichtigen Motorsport-Klasse sein. Also forderten die Amerikaner die italienische Sportwagenschmiede auf, den Zweiliter-Motor des Streamliner durch ein stärkeres Dreiliter-Aggregat zu ersetzen. Durch die Entwicklung der 2.890 ccm Maschine (250 PS) sowie der passenden sechs Chassis, die während 1959 bestellt wurden, entstand für die stärker motorisierte Version eine neue Typ-Bezeichnung – Tipo 61.

Maserati Tipo 61: Der Streamliner Birdcage Maserati bat Stirling Moss den Protypen bei seinem Debut im Juli 1959 vorzuführen – und Moss gewann das Rennen mit Leichtigkeit. Die Aufmerksamkeit auf den italienischen Rennwagen wuchs rasant. Im Herbst bekundete ein Mann Namens Lucky Casner sein Interesse an dem Wagen und sagte, er habe großartige Pläne. Lucky Casner sollte einmal eine der besten Kunden von Maserati werden und mit seinem Camoradi-Team im Birdcage bei den bedeutensten Rennen weltweit um den Titel kämpfen. Als Lucky Casner jedoch an jenem Septembertag in Modena eintraf, schien es, als hätte Maserati keine Fahrzeuge im Angebot. Casner testete den Prototypen im Modena Autodrome und bemerkte sofort, dass der Wagen Potenzial hatte. Daraufhin traf er sich mit Omer Orsi, dem Vorsitzenden von Maserati, in der Hoffnung, im darauf folgenden Jahr zwei Tipo 61 bei den World Sportscar Championship einsetzen zu können. Maseratis Problem war, dass die geplante Produktion des Tipo 61 für das Jahr 1959 bereits ausverkauft war, ebenso wie viele der für 1960 eingeplanten Modelle. Casner wollte aber mit seinem Team auf jeden Fall bei der Nassau Trophy im Dezember antreten. Also blieb Maserati nur die Option, das eine Reserve-Fahrzeug, den Prototypen, in einen Tipo 61 umzuwandeln. Eilig wurde der Tipo 60 mit dem großen Dreiliter-Motor ausgestattet und zu Casner nach Miami verschifft.

Ein Defekt an der hinteren Radaufhängung während der Nassau Trophy – Carroll Shelby saß am Steuer – brachte dem Team erhebliche Anlaufschwierigkeiten. Im ersten Rennen 1960 in Argentinien, holte Casner Masten Gregory ans Steuer des wiederhergestellten Tipo 61, doch wieder gab es Probleme – diesmal mit dem Antrieb. Die Chassis-Nummer 2451 trat im nächsten wichtigen Rennen in Cuba nicht mehr an. Erst beim darauf folgenden Rennen, den 12-Stunden von Sebring, traten Gregory und Shelby erneut an. Und wieder gab es schlechte Neuigkeiten. Die Ölpumpe brach auseinander und der trockengelaufene Motor zerstörte sich selbst. Erneut instandgesetzt, war als nächstes die Targa Florio vorgesehen. Maserati setzte Casner unter Druck, und rieten ihm, er solle für die Targa Florio italienischen Fahrer einsetzten. Und so saß am 8. Mai 1960 Umberto Maglioli hinter dem Steuer der Chassis-Nummer 2451. Nach der fünften Runde lag der Italiener in Führung. Dann wechselte er mit Nino Vaccarella. Vaccarella fuhr schnell und leicht wie der Wind und sicherte eine Führung zu den Zweitplatzierten auf Porsche Bonnier/Hermann von über fünf Minuten. Aber ein Desaster lag bereits in der Luft. Vaccarella wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass ein Stein ein Loch in den Kraftstofftank gerissen hatte. Als der Motor des Maserati abwürgte verlor er die Kontrolle und der Wagen fuhr in einen Graben. Glücklicherweise überlebte Nino, aber die Karosserie des Birdcage war jetzt kaum noch zu gebrauchen. Während der Camoradi Zirkus am Nurburgring tobte, wanderte die Nummer 2451 erneut defekt zu Maserati.

Alfieri hatte den Birdcage als ein Auto entwickelt, das beweglich ist, mit gewollt kurz ausgelegten vorderen und hinteren Überhängen, ideal für Bergfahrten und kurze Sprints. Aber Le Mans fordert eine andere Eigenschaft: nämlich Aerodynamik. Mit Hilfe eines Windkanals, entwickelte Alfieri einen stromlinienförmigen Körper für den Tipo 61. Dafür musste er eine sehr flache Windschutzscheibe verwenden. Das Auto behielt dabei erstaunlicherweise eine besonders kurze Front – dadurch erreicht das Auto eine höhere Endgeschwindigkeit. Für das Heck wurde eine aerodynamische Form entwickelt.

1960 wollte Casner drei Camoradi Tipo 61 in Le Mans an den Start bringen, aber scheiterte zunächst aus Mangel an Fahrern. Einen Fahrer wie Moos konnte sich Lucky derzeit nicht leisten. Der hatte gerade wieder die Camoradi am Nürburgring gewonnen und konnte sich daher teuer verkaufen. Gurney und Shelby waren angetreten, jedoch sollten am Ende seine Topfahrer Masten Gregory und Chuck Daigh heißen.

Guerrino Bertocchi war beim Rennen in Le Mans Chef-Mechaniker. Er erklärte den Fahrern, dass der Motor bei einer maximalen Drehzahl von 6.500/min durchhalten würde. Daigh argumentierte zunächst, aber respektierte schließlich die Ratschläge von Bertocchi. Gregory, der den Motor immer bis aufs äußerste geforderte hatte, stimmte ebenfalls zu und ging als Erster ins Rennen.

Nach einem langsamen Start, ging Gregory am Ende der Mulsanne-Geraden in Führung und baute diese zum zweitplatzierten Team auf Ferrari, Frere/Gendebien, aus. Der Streamliner stellte auf der Mulsanne-Geraden mit 272 km/h einen neuen Geschwindigkeits-Rekord auf. Das Auto wurde aufgetankt und Daigh war fit fürs Rennen. Als er jedoch die Box verlassen wollte, streikte der Anlasser aus – Bertocchi benötigte für die Instandsetzung über eine halbe Stunde. Daigh fiel zurück ans Ende des Feldes.

Dann begann es zu regnen. Gregory hasste den Regen und so musste Daigh hinter dem Steuer bleiben, der zu dem Zeitpunkt langsam den Anschluss ans Feld fand. Alfieris Frontscheibe gab Daigh kaum eine Chance bei dem Regen irgend etwas von der Strecke zu sehen. Er war gezwungen seinen Kopf über die Scheibe in den Fahrtwind zu strecken. Irgendwann nach Mitternacht hörte es endlich auf zu regenen und Daigh übergab das Auto an Gregory. Beim nächsten Wechsel wollte Masten seinem Teamkollegen Chuck noch einen warnenden Hinweis mit auf den Weg geben. Er rief ihm zu: „Wenn du den Vierzylinder zu sehr quälst und ihm auf der Geraden keine Atempause gönnst, wird es ihn in Stücke reißen.“ Aber Gregory war bereits auf und davon und die Nummer 2451 erreichte einmal mehr nicht das Ziel.

Der Maserati Sammler Hartmut Ibing wurde im Jahr 2000 Besitzer des Maserati Tipo 61 – dem schnellsten frontmotorisierten Birdcage, der sich immer noch in einem sehr originalen Zustand befindet. Nach einer Restauration beim Experten Steve Hart in Großbritannien, feierte das Auto sein erneutes Debüt bei den Le Mans Classic 2002. Wenn irgendein Auto die guten und schlechten Zeiten des Birdcage beschreiben kann, dann ist es mit Sicherheit der Streamliner.

Fotos: Phil Ward/Auto Italia.