
Der Lancia Stratos verdankt seinen Ikonenstatus nicht nur der glorreichen Rallye-Version – sondern auch einer kaum weniger anspruchsvollen, zivilen Variante: Der Stratos Stradale war ein wildes Biest. Und ließ sich nur von Könnern bändigen.
Im Nachhinein muss man den FIA-Funktionären danken: Ohne die strengen Homologations-Anforderungen für die Gruppe 4 der Rallye-Weltmeisterschaft WRC wäre wohl nie eine Straßenversion des Lancia Stratos entstanden. Inspiriert von Bertones Lancia Stratos Zero Concept, das 1970 den Turiner Autosalon in Aufregung versetzt hatte, ließ Lancia-Rennleiter Cesare Fiorio einen neuen, kompakten Rallye-Wagen entwickeln. Für das Styling war Bertone-Designchef Marcello Gandini verantwortlich, die technische Führung übernahmen Mike Parkes und Giampaolo Dallara. Als Triebwerk diente der quer eingebaute 2,4 Liter V6-Motor des Ferrari Dino 246 GT, die Kraftübertragung übernahm ein Fünfgang-Transaxle-Getriebe. Bereits im Herbst 1971 debütierte der feuerwehrrote Prototyp des Lancia Stratos HF – ein superfunktionaler, kurz geschnittener Mittelmotor-Sportler mit Visor-Frontscheibe und vollständig aufklappbaren Front- und Heckpartien, der kaum etwas mit der futuristischen Konzeptstudie gemein hatte.



Nachdem der Renault Alpine die Rallye-Saison 1973 dominiert hatte, konnte Lancia die FIA 1974 davon überzeugen, dass innerhalb von 12 Monaten 200 Exemplare des Stratos gebaut worden seien – und erhielt die Zulassung zur Gruppe 4. Der Einstand war ein voller Erfolg und Lancia konnte nicht nur 1974, sondern auch in den beiden darauffolgenden Jahren den Weltmeistertitel für sich beanspruchen. Unter dem Zeitdruck bei der Produktion hatte jedoch die Verarbeitungsqualität der von der FIA verlangten Straßenversion gelitten. Und auch die italienischen Streiks des Jahres 1974 hatten nicht geholfen. Umso erstaunlicher war es, was für eine einzigartige Fahrmaschine die Entwickler auf die Räder gestellt hatten.


Bis heute ist nicht final geklärt, wieviele Lancia Stratos bis zum Ende des Rallye-Engagements gebaut wurden – in der Szene geht man von knapp unter 500 Exemplaren aus. Die meisten wurden als Rallye-Version aufgebaut, der Stradale war deutlich seltener. Die Straßenversion leistete 195 PS und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 225 km/h. Wer den Stratos Stradale beherrschen wollte, musste jedoch über eine gewisse fahrerische Nonchalance verfügen: Wenn man nicht blitzschnell reagierte, verließ der kompakte Sportwagen scharfe Kurven gerne mit einem Dreher – Unfälle waren jedenfalls nicht selten. Die gute Nachricht jedoch war, dass die Aufhängung äußerst variabel angelegt war, so dass man jedes Auto auf die Bedürfnisse des Fahrers hin anpassen konnte.



Im Gegensatz zu vielen italienischen Supersportwagen der 1970er Jahre war der Lancia Stratos Stradale zudem kein unpraktisches Konzept: Die gewölbte Frontscheibe erlaubte eine exzellente Sicht nach vorn und in Kurven hinein, die Helmfächer in den Türen gaben zudem recht viel Ellenbogenfreiheit und der Stauraum war großzügig bemessen. Selbst die Belüftung war nicht zu beanstanden. Einst soll der Stradale in Deutschland für rund 15.000 Euro verkauft worden sein – heute ist ein gut erhaltenes Exemplar ein Vermögen wert. Viele der Straßenversionen wurden im Lauf der Jahre für den Rennsport umgerüstet oder verbastelt, zudem ist es wegen der spärlichen Dokumentation nicht immer leicht, Repliken auf den ersten Blick zu enttarnen. Das hier gezeigte, offensichtlich gut erhaltene Exemplar von 1976 mit nur zwei registrierten Vorbesitzern und rund 43.000 Kilometern auf dem Tacho wird im Mai von RM Auctions in Monaco versteigert. Für Sammler und geübte Fahrer eine besondere Gelegenheit.
Mehr Informationen zu diesem Lancia Stratos Stradale finden Sie unter www.rmauctions.com. Weitere Lancia Stratos finden Sie auch im Classic Driver Marktplatz.
Text: Jan Baedeker
Foto: RM Auctions