Selten wurde so viel versprochen, selten gab es so wenig zu sehen. Die 62. IAA in Frankfurt, im Vorfeld von den Medien als „Grüne Messe“ deklariert, offenbart eine Automobilindustrie im Spagat zwischen ökologischen Zukunftsvisionen und leistungsstarken PS-Gewohnheiten. An den Ständen der europäischen Hersteller kann ein nicht minder unschlüssiges Fachpublikum vom Öko-Hybriden bis zur Straßenkampfmaschine bereits die ganze Palette aktueller zwieträchtig vereinter Zerrissenheit bestaunen. Hinter den Kulissen wird währenddessen die Herrschaftsverhältnisse des europäischen Autoadels neu verhandelt.
Bisher war das Jahr 2007 ein buntes Jahr für die Automobilindustrie: Erst waren Politiker und Medien in einer grünschimmernden Welle hysterischer Empörung über die Hersteller hinweggerollt und hatten den überraschten Vorständen den Klimakiller-Stempel auf die Stirn gedrückt. Zeitgleich begann die blühende chinesische Automobilwirtschaft den westlichen Markt mit einem roten Regen aus Billigplagiaten zu überschwemmen. Für zusätzliche Verwirrung sorgte ein Kundenstamm, der einerseits die sofortige ökologische Wende forderte, aber gleichzeitig den Absatz PS-starker Luxusmodelle weiter ankurbelte. Wie man bei derartigen Rahmenbedingungen eine internationale Technologieschau bestreiten kann, zeigt bereits der Beginn unseres Messerundganges in Halle 3.0, wo der Volkswagenkonzern sich und seine Töchter präsentiert.
Während Volkswagen selbst auf die Ökologisierung der Modellpalette setzte
und bei der Pressekonferenz neben den sparsamen BlueMotion-Modellen auch die Konzeptstudie
„Up!“ – ein kleiner Cityflitzer mit Heckmotor in der Tradition des VW Käfer
– präsentierte, ging es eine Stunde später bei der Vorstellung der neuen Audi-Modelle bereits weniger sparsam zu: Der neue Audi
A4 geht in klassischer TDI- und FSI-Motorisierung an den Start und mit
dem neuen Audi
RS6 Avant – in Zahlen: 580 PS, 650 Nm, 4,6 Sekunden für den Standardsprint,
13,9 Liter auf 100 km/h – kann man zwar schneller und bequemer reisen als in manchem Flugzeug, mit Sicherheit aber keinen Öko-Blumentopf gewinnen. Weiter ging das Wettrüsten bei der anschließenden Lamborghini-Premiere.
Statt der erwarteten Leichtbauversion des Murciélago enthüllten zwei paramilitärisch gedrillte Hostessen eine 650 PS starke Extremisten-Variante des Zwölfzylinders in dramatischer Kampfjet-Optik. Trotz Combat-Ausstattung geht vom Lamborghini
Reventón kaum Gefahr für das Weltklima aus – der Fighter kostet eine Million Euro netto und ist auf nur zwanzig Exemplare limitiert. Teurer wird es dann nur noch bei Bugatti: Die VW-Vorzeigetochter hat zwar noch keine Targa-Version des Veyron im Gepäck, dafür aber eine unlackierte Variante des 16-Zylinder-und-1001-PS-Geschosses unter dem Namen „Pur
Sang“, zu deutsch etwa „Vollblut“. Fünf Exemplare des nackigen Veyron soll
es geben – Stückpreis 1,4 Millionen Euro plus Tax. Luxus-Schwester Bentley
präsentiert sich ebenfalls auf kleinem Raum mit dem Modell-Update Continental
GT Speed. Das neue, bereits langfristig ausverkaufte Reisecoupé Brooklands haben
die Engländer erst gar nicht mitgenommen.
Gegenüber in Halle 5.0 präsentiert Porsche sein aktuelles Aufgebot. sein aktuelles Aufgebot. Wendelin Wiedeking gab sich bei der Pressekonferenz kämpferisch, lobte die Nachhaltigkeit interner Entwicklungsarbeit und gab mit einem teilverglasten Forschungs-Prototyp des kommenden Cayenne Hybrid tiefe Einblicke in die technische Zukunft der Marke. Mit der aktuellen Serie geben sich die Stuttgarter aber gewohnt leistungsbewusst: Neben einem resozialisierten – sprich: tiefergelegten - Cayenne GTS
stehen vor allem das neue 911
Turbo Cabrio und der neue 911
GT2 für den sportlichen Markenanspruch Beispiel. Ob die Firma ihre Selbstständigkeit auch bei den zu erwartenden härteren EU-Abgasvorschriften aufrechterhalten kann, ist allerdings ungewiss: Sollten die Familien Porsche und Piëch tatsächlich weitere Anteile kaufen und so Hauptanteilseigner am VW-Konzern werden, könnten die leistungsstarken Stuttgarter Sportwagen auch ins begrünte Volkswagen-Portfolio integriert und somit vor den Kohlendioxid-Durchschnittsvorgaben aus Brüssel gerettet werden. Ob Porsche also den Panamera auf der kommenden IAA 2009 in einer Halle mit Audi und Co präsentiert, wird gerade hinter den Kulissen verhandelt.
Um neben der omnipräsenten Volkswagen-Dynastie zu bestehen, haben sich BMW und Mercedes-Benz für die Frankfurter Messe wahre Schaupaläste errichten lassen. Im futuristischen Pavillon der Münchener wird unter dem Motto „Efficient Dynamics“ der Blick auf die Hybrid-Zukunft gelenkt. Der BMW
X6 – ein voluminöses „Sports Active Coupé“ – wurde sowohl mit Benzin- als auch mit Hybridantrieb präsentiert. Noch ist das Allround-Modell ein Konzept, Vorstand Norbert Reithofer versprach aber eine schnelle Serienumsetzung. Abseits der Hybrid- und Wasserstoff-Zone im Untergeschoss zeigen die Bayern dann eine Etage weiter oben, wofür man sie weltweit verehrt: Die klassische Freude am Fahren verspricht vor allem der neue 420 PS starke BMW
M3. Ähnlich gespalten ist die Lage bei Mercedes: Im Untergeschoss der Festhalle präsentierte ein Baumgeister-Ballett die neuen, umweltfreundlicheren Bluetec-Modelle mit und ohne Hybrid. Als Gast aus einer besseren Zukunft wurde zudem das etwas eigenwillige – böser gesagt: auf den letzten Drücker entworfene – Limousinen-Getüm F
700 willkommen geheißen. Das Forschungsfahrzeug wird von einem sogenannten Diesotto-Motor angetrieben, der nur die positiven Eigenschaften von Diesel- und Benzintriebwerken verbindet.
Auf der oberen Etage findet man keine Spur mehr von Blättern und Zweigen, stattdessen entfaltet sich die volle Leistungspackung aus dem Kraftstudio Affalterbach – etwa das brachiale C-Klassen-Derivat C
63 AMG oder die Zwölfzylinder-Züchtungen auf Basis von S-Klasse und
CL, allesamt in unschuldigem Weißlack getarnt. Von der Klimadiskussion wenig
beeindruckt zeigte sich die Tuner-Halle: Unter dem Kampfnamen „Bullit“ haben die Bottroper Ballistiker von Brabus die neue C-Klasse aufgerüstet
– das Geschoss erreicht mit 730 PS Leistung eine Vmax jenseits von 360 km/h! Nebenan
bei Mansory war vor allem an der Optik geschraubt worden: Die Rolls-Royce-Phantom-Verherrlichung
„Conquistador“ und der Abgesang auf den Aston Martin Vanquish S
– beide in ungewöhnlicher Schwarz-Weiß-Musterung – sollte man nicht verpassen. Drastisches
gibt es auch an Bob Forstners BF-Performance-Stand zu sehen: Neben aufgebrezelten
Lamborghini-Modellen hat der Stuttgarter als einzige offizielle Deutschlandvertretung
auch den neuesten Pagani Zonda im Programm.
Geradezu ernüchtert durchstreift man anschließend die Halle 3.1: Aston-Martin
zeigt auf einem spartanisch möblierten Stand den beeindruckend schönen DBS
und die beiden neuen vom Rennsport inspirierten Modelle V8
Vantage N400 und DB9 LM. bietet sich anschließend die Möglichkeit zum Erstkontakt mit der neuen, drastisch überarbeiteten Limousine
XF.
Für einen attraktiven Abschluss des Messerundganges empfiehlt sich natürlich noch ein Besuch in Halle 6.0: Ferrari präsentiert dort das neue Leichtbau-Geschoss
F430
Scuderia in himmelblau und rot, dazu einen eierschalenfarbenen F430
Spider und den F599 in Asphaltgrau; nebenan bei Maserati wird
der neue GranTursimo
und die GTS-Sportversion
des Quattroporte gefeiert. Die meisten Schaulustigen sieht man jedoch an den Ständen von Fiat, Lancia und Alfa Romeo – ob der Ansturm den Automobilen selbst oder eher der geschickten Inszenierung spärlich verhüllter italienischer Grazien auf spiegelnden Bodenplatten zu verdanken ist, sei dahingestellt. Die pure Vernunft, sie darf wohl auch in diesem Jahr noch nicht siegen.
Text: Jan Baedeker
Fotos: Nanette Schärf, Jan Baedeker
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