Tage des Donners trifft Picknick im Grünen: Auch 2011 versammelten sich zum Goodwood Festival of Speed die Lauten, Schnellen und Hochmotorisierten, um es beim legendären Hillclimb glühen zu lassen. Ein Erlebnisbericht.
Charles Henry Gordon-Lennox, Earl of March and Kinrara, 10. Duke of Richmond, 10. Duke of Lennox and 5. Duke of Gordon lädt zwei Mal im Jahr die komplette Autowelt auf sein Latifundium. Wenn Sommergäste kommen, nennt sich die Veranstaltung Festival of Speed. Im Herbst folgt das Revival. Das Festival ist wohl die schnellste Gartenparty der Welt und seit dem Wegfall der britischen Autoshow auch die spektakulärste „Messe“, die auf diesem Planeten stattfindet. Der Adelige mit dem „Estate“, das größer ist als das Bundesland Bremen, ist als Auto-Aficionado Lord March so gut vernetzt, dass Hersteller bereitwillig alle Klassiker-Lager räumen und vom Serienhersteller bis hin zu den Formel-1-Ställen alle erscheinen, um auf der kurzen „Hill Climb“ nahe Goodwood House die Luft brennen zu lassen. Und geschätzte 150.000 Briten und internationale Besucher goutierten auch im Jahr 2011 wieder einmal die Tatsache, dass Adel verpflichtet.
Die Ruhe trügt. Um sieben Uhr morgens ist rund um Goodwood noch alles im Lot. Der Verkehr fließt, auch wenn er es für einen Samstagmorgen schon sehr kräftig tut. Selbst der Radiostation BBC 1 ist das eine Verkehrsmeldung wert. Kleine Staus lacht jeder weg, der auf dem Weg nach Goodwood ist. Parken kann ein jeder, streng strukturiert in Planung und Ablauf, auf dem weitläufigen Areal von Lord March. Und zwar so, wie es die Briten mögen, die – so der Eindruck ¬– ihr halbes Leben in der Warteschlange verbringen. Warten, bis einer der Ordner demonstrativ auf einen Piloten zeigt, um ihn dann millimetergenau einzuweisen. Am Circuit, der eigentlich nur eine 1,8 Kilometer lange Gerade mit wenigen Kurven ist, die jeweils hin und her befahren wird, herrscht noch frühmorgendliche Ruhe. Die diversen Shops mit „organic food“ (damit generiert der Lord einen Teil seines Einkommens), Lachs und Champagner, aber auch die Coffee-2-go-Abteilungen liegen noch im Halbkoma. Das Personal hingegen ist hellwach und auf Stand-by für den Ansturm der hungrigen und durstigen Massen.
Über dem idyllischen Landgut steigt gemächlich die Sommersonne auf, verkürzt die Schatten. In den Gesang, den die Vögel in den Bäumen anstimmen, mischt sich nur ganz selten das heisere Bellen eines großvolumigen Motors. It’s Goodwood Time. Das „Festival“ beginnt so gemütlich wie sich die englische Landschaft mit Bäumen, Büschen, Schotterwegen und endlosen Grasflächen gibt. Um halb neun morgens wirkt es so, als hätte der Lord ein paar vermögende und autoverrückte Freunde zum Brunch geladen. Hier ein Rolls-Royce Phantom II Boat-Tail Tourer, da ein Eagle Speedster, ein Abarth 1500 Biposto, ein Jowett Jupiter, ein Guyson E 12, allesamt so auf dem Rasen verteilt, als sei man bei laufendem Motor aus dem Fahrzeug gesprungen, um in jugendlicher Freude Lord March zu begrüßen. Dann plötzlich: hüstelnde Achtzylinder, krakelende Zehn- und Zwölfzylinder, die bald wieder ersterben. Und das leise Surren von Elektromobilen. Während die Supercars auslaufen, um die müden Motoren zu erwärmen, haben sich Tausende Zuschauer auf den Rasen geschlichen. Das Festival ist noch nicht im vollem Gange, aber mindestens schon im dritten Gang. Gefühlte 4,8 Terabyte Digitalfotos werden ab jetzt pro Stunde in kleine Kameras und Smart Phones gespeichert.
Von Vorkriegs-Formel-Autos, Nachkriegs-GP-Modellen, aktuellen GT3-Boliden über Indy-Car-Rennern bis hin zu DTM- und WTTC-Fahrzeugen brennt alles, was Rang und Namen hat oder hatte über die kurze Piste. Eine Liste mit den „Entries“ umfasst schlanke 76 Seiten. Die Zuschauer am Rande lieben das Spektakel. Zwar wird hier bei weitem nicht im Renntempo gefahren, denn die Start-Ziel-Gerade ist von massiven Bäumen umsäumt. Aber wenn den Piloten danach ist, nehmen sie sich Zeit für Burn-outs und Donuts oder Stoppies oder Wheelies bei den Bikern. Ein Nissan Juke wird – dafür gibt es Standing Ovation – auf zwei Rädern über den Parcours getrieben. Neu ist dem Volk am Rande die anstehende Elektro-Mobilität. Surren Tesla, Survolt, Ampera und Konsorten über den Grid, mag das noch so spektakulär aussehen: es fehlt der Sound. Knallt hinter den E-Mobilen eine Viper über den Asphalt, geht die Stimmung sofort wieder in Richtung „burn z rubber“.
Mit den Vorkriegs-Racern zieht eine Wolke hochoktaniger Abgase um den Parcours. Legenden auf Rädern, pilotiert von legendären Rennfahrern wie etwa Sir John Surtees. Da gerät sogar der Streckensprecher ins Schwärmen: „Ladies and Gentlemen, John Surtees is on his way. Now what a legend!“ Dieser bislang einzige Weltmeister auf Motorrad und im Grand-Prix-Zirkus ist Legende zum Anfassen. Im Paddock und vor dem Black Rock Driver’s Club, oder, wie im Falle der Formel-1-Teams, an den kleinen Boxen auf braun zertretenem Rasen. Der Australier Mark Webber vom Red-Bull Team steht brav für Schnappschüsse mit den Ehefrauen oder Freundinnen der Besucher zur Verfügung, Lewis Hamilton hat ein Heimspiel, Klaus Ludwig hat Hunger, Hans-Joachim Stuck freut sich darauf, das Siegerauto seines Vaters fahren zu dürfen. Alles und alle eine große Familie. Mit ebenso großer Disziplin und Gelassenheit. Die Gerüstbrücken über die Strecke werden geduldig im Einbahnstraßensystem genutzt, die Marshalls geben die Strecke für Fotos und Querungen frei, sobald die Boliden im Paddock sind. Niemand drängelt, es ist ein gleichmäßiges, flanierendes Kopf-an-Kopf-Rennen der 150.000.
Mit einem infernalischen Knall melden sich gegen 11.30 Uhr die Red Arrows oberhalb des Parcours. Spektakuläre Stunts und Flugdemonstrationen, untermalt mit den britischen Nationalfarben. Dazu gibt es mindestens 120.000 gereckte Hälse und eben so viele Kameras, die im Video-Modus versuchen, das Himmelsgestürme festzuhalten. Was könnte im Anschluss besser passen als den Catwalk für die Formel 1 zu öffnen? Dichtes Gedränge, zuckende Arme, die Kameras hoch halten. Die Herren lassen sich auch nicht lange bitten: Ohrenbetäubend der Lärm, wenn sie auf die Piste brennen und dabei reichlich Gummi auf den Asphalt malen. Und das Volk jubelt. Das Crescendo der Formel-1-Motoren deutet pegeltechnisch denn auch den Höhepunkt vor der Mittagspause an.
Außerhalb des In-Fields und der Boxengassen geht die Show indes weiter: Von Audi und BMW über Chevrolet, Ford – die feiern in Goodwood 100-jährigen Geburtstag – Jaguar, Mercedes, Nissan, Porsche, Seat, Skoda und den Tunern Alpina und Brabus ist hier jeder mit seinen aktuellen Modellen vertreten. Ob elektrisch, hybridgetrieben oder mit Verbrennern, die Show ist hier Messe mit Informationen und der Option, alle Autos auch einmal in Sitzprobe zu testen. Drum herum gesellen sich kleinere Aktionen und Attraktionen wie etwa die weltbesten BMX-Fahrer, ein Harley-Davidson-Veredler oder auch eine Firma, die alte Jaguar C-Types verkauft. Und der Einsatz der „Heritage“-Fahrzeuge auf der Rennstrecke zeigt, wo die Firmen herkommen. Alte, analoge Rennwagen, die den Piloten viel Muskelarbeit abverlangen. Fun-tastisch.
Am Nachmittag fahren die Teams wieder ihre „batches“. Sportwagen auf dem kurzen Strip, Rallye-Fahrzeuge auf dem kleinen Rundkurs inklusive Sprunghügel zum Teil zeitgleich mit den Straßenrennern. Was bei den antiken Römern Brot und Spiele bedeuteten, ist in Goodwood eine wunderbare Melange aus Hochoktan, Hochdrehzahl und Hochstimmung beim Publikum. Das angenehme Sommerwetter, die langen Fußwege an der Strecke, das eine oder andere Getränk sorgen dafür, dass die Beine schwer werden. Engländer sind in diesem Falle unproblematisch. Wer nicht mit dem Kauf eines „Telegraph“ gleichzeitig die Picknickdecke erhalten hat, der setzt sich gerade da hin, wo er mag. Wie auf dem Brueghel-Bild „Bauernhochzeit“ verteilen sich stehende, sitzende und liegende Menschen auf der weiten Fläche. Das Goodwood-House und die Nebengebäude aus Naturstein halten Wacht, eine moderne Autoskulptur ist als Devotionalie mittenmang in das schnellste Sommerfest hinein gestellt.
Wenn um 19 Uhr alle Rennmotoren schlafen und sich die Sommersonne auf die Wiesen und Felder senkt, beginnt die Völkerwanderung erneut. Zu Tausenden pilgern die Zuschauer, rotgesichtig und müde zu ihren Parkplätzen. Das „Gentlemen, start your engines“ des frühen Morgens hallt noch ein wenig nach, wenn die Kolonne auf die kleinen Landstraßen strebt. Auch hier herrscht typische britische Disziplin und Rücksichtnahme. Ordner ordnen, Fahrer fahren. Und wenn nicht, verharren sie entspannt im Stau. Der ist dann wiederum dem BBC 1 eine kleine Meldung bei den Verkehrsnachrichten wert. Das 18. Festival of Speed hat seinem Namen wieder alle Ehre gemacht. Spaß am Speed bei den Heroen der PS-Branche, Spaß am Festival bei den Besuchern.
Weitere Informationen unter: goodwood.co.uk
Text: JPR/BKV
Fotos: Roger Dixon