Der Genfer Salon ist traditionell die Messe der Supersportwagen, Designstudien und automobilen Skurrilitäten. Entsprechend viel Spektakuläres gibt es auch in diesem Jahr zu entdecken. Das Premieren-Programm der großen deutschen Hersteller wirkt derweilen etwas farb- und phantasielos.
Um es vorweg zu sagen: Wer in Genf auf die Neuerfindung des Rades hoffte, wird enttäuscht. Die echten Überraschungen, die großen neuen Trends, die wirklichen Antriebsalternativen mit konkretem Release Date gibt es trotz allgemeinem Aufschwung nicht zu vermelden. Interessante Neuheiten findet man dennoch – vor allem bei den Sportwagen ist wieder Bewegung im Spiel. Und auch die kleinen Designstudios und Manufakturen präsentieren sich am Lac Léman durchaus kreativ. Während zeitgleich bei der Fashion Week in Paris die Modetrends bereits für die nächste Herbst-Winter-Saison defilieren, wird man jedoch die meisten Genfer Studien nicht so schnell auf der Straße wiedersehen. Überraschend zurückhaltend präsentieren sich derweil die großen deutschen Konzerne – wohl, um auf der IAA im September die Katzen gleich Rudelweise aus dem Sack lassen zu können.



Der Volkswagen-Konzern mit seinen zehn Untermarken hatte schon am Vorabend der Messe einen Ausblick auf die Modellneuheiten gegeben. In den Messehallen dominieren die Wolfsburger allein schon durch die schiere Größe ihrer Stände, während das Premieren-Feuerwerk etwas sparsamer ausfällt als gewohnt. VW zeigt seit langer Zeit wieder ein Golf Cabrio sowie die Neuauflage der Microbus-Studie von 2001. Ob der Neo-Bulli gebaut wird, steht nicht fest. Audi gewährt mit dem A3-Stufenheck-Concept einen Ausblick auf den Ausbau der Modellfamilie, der vor allem für den amerikanischen Markt relevant sein dürfte. Der Audi Q5 Hybrid Quattro, der A8 L Security und der bereits in Detroit gezeigte RS 3 Sportback sind die weiteren Hingucker im bekannt-geschmeidigen Portfolio. Beim Standnachbarn Porsche gibt es ebenfalls leichte Kost: Mit dem Panamera Hybrid ziehen die Stuttgarter ihre CO2-Bilanz nach oben, die massentaugliche 911 Black Edition soll ein letztes Mal die Verkäufe der 997-Baureihe ankurbeln, bevor im September in Frankfurt der Nachfolger debütiert.



Auch bei den emotionalen Vorzeigemarken des Konzerns geht es bedächtig zu: Bentley hatte vor Kurzem einen Geschwindigkeitsrekord auf der zugefrorenen Ostsee aufgestellt, passend dazu wurde ein limitiertes Sondermodell des Continental Supersports Convertible präsentiert. Momentan konzentriert man sich in Crewe wohl auf die Markteinführung des neuen Continental GTs. Bei Bugatti hat man sich gar die üblichen Sondereditionen gespart und präsentiert weiterhin die Veyron-Varianten Grand Sport und Super Sport. Umso spektakulärer fällt dagegen die Weltpremiere des neuen Lamborghini Aventador LP700-4 aus: Der neu entwickelte, 700 PS starke Zwölfzylinder-Sportwagen aus Sant’ Agata dürfte mit seinem Leichtbau-Konzept und innovativer Technik noch für einigen Wirbel sorgen. Beim Design beschreitet Lamborghini allerdings keine neuen Wege – ein bisschen Reventòn hier, ein wenig Gallardo dort, man bleibt beim bewährten geometrischen Rasiermesser-Look.



Die Herausforderer des Aventador stehen nur einige Meter entfernt: Die norditalienische Manufaktur Pagani zeigt das neue, 700 PS starke Zwölfzylinder-Modell Huayra, eine etwas überladen wirkende Komposition mit viel Sichtcarbon, dramatischen Flügeltüren und einem barock-surrealistischen Kampfjet-Cockpit. Sinn für Humor beweist dagegen die schwedische Ausnahme-Marke Koenigsegg, die ihren 1.115 PS starken und rund 418 km/h schnellen Agera R mit einer passenden Dachbox für den anschließenden Skiurlaub am Mont Blanc präsentiert. Bei der Carrozzeria Touring Superleggera in Mailand hat man in den vergangenen Monaten an einem neuen Look für die deutsche Sportwagenmarke Gumpert gearbeitet. In Genf ist der neue Tornante als statisches Modell mit klassischen Mittelmotor-Proportionen und klarer Linienführung zu sehen, das sich vor den Kleinserien-Konkurrenten von Pagani und Koenigsegg sicherlich nicht zu verstecken braucht.



Zufriedene Gesichter auch am Stand von Giorgetto Giugiaro: Seit dem Einstieg von VW dürften die Finanzprobleme des italienischen Designstudios gelöst sein – zum Dank gibt es zwei etwas uninspirierte VW-Studien namens Tex und Go. Wenn Italdesign wieder vorne mitmischen will, sollte man sich schleunigst von den seit den 1990er-Jahren eingefahrenen Stilroutinen lossagen. Auch Bertone, im vergangenen Jahr mit dem futuristischen Alfa Pandion Concept am Puls der Zeit, blickt zurück und nimmt mit der Jaguar-Studie B99 jenen barocken Look wieder auf, von dem sich Jaguar gerade so deutlich distanziert hat. Wasser auf die Mühlen der Traditionalisten, sicherlich, doch als Kunden wird man Coventry mit dieser Studie nicht gewinnen. Jaguar selbst besinnt sich in diesem Jahr auf den 50. Geburtstag des E-Types und zeigt in Genf eine neue Performance-Version des XKR. Dass der Sportwagen nun endlich die 300-km/h-Marke knackt, dürfte bei der Konkurrenz jedoch nur für müdes Lächeln sorgen.



Bei Aston Martin ist man derweil stolz auf das neue Brückenmodell zwischen DB9 und DBS, den Virage. Während Amateure schon in den letzten Jahren Probleme hatten, die Modelle der Briten zu unterscheiden, wird es nun selbst für Profis schwierig. Dennoch macht der neue Zwölfzylinder eine gute Figur – und knapp 500 PS Leistung versprechen zudem ein äußerst sportliches Frühjahrserwachen. Den exzentrischen Gegenpol zur Stangenware von Aston Martin findet man einige Schritte weiter am Stand von Morgan: Die Briten haben ihren spleenigen Threewheeler neu aufgelegt und wie einen Royal-Air-Force-Bomber aus dem 2. Weltkrieg lackiert. Ein echter Hingucker, den man tatsächlich kaufen und fahren kann – die Preise beginnen bei rund 25.000 Pfund. Im frühen Experimentalstadium befindet sich dagegen der neueste Rolls-Royce: Die britische Königsmanufaktur hat die Phantom-Limousine erstmals mit einem Elektromotor ausgestattet und sammelt nun Kunden-Feedback.



Die bayerische Muttermarke BMW nutzt den Genfer Salon, um mit der Studie Vision ConnectedDrive auf die Markenpläne zur automobilen Vernetzung aufmerksam zu machen und das neue 6er Cabrio zu bewerben. Zum jüngst präsentierten Elektro-Label BMW i und den zwei für 2012 angekündigten Modellen gab es keine weiteren Informationen. Dafür zeigte die Kleinwagen-Tochter Mini das Rocketman Concept, mit dem sich die Designer wieder dem Kompaktformat des Classic Mini annähern. Ob und wann der Mini in Serie geht, ist nicht gewiss. Auch Konkurrent Smart begnügte sich mit der Präsentation einer Designstudie, dem offenen ForSpeed, während am Stand von Mercedes-Benz der neue SLK und das neue C-Klasse Coupé enthüllt wurden. Der SLS Roadster soll wohl erst auf der IAA das Licht der Welt erblicken.



Gleich zwei Hingucker dagegen beim Fiat-Konzern: Zum einen präsentierte Ferrari den neuen FF, einen 2+2-Sitzer im Shooting-Brake-Zuschnitt und das erste Allrad-Modell aus Maranello. Bei Alfa Romeo gibt es überraschenderweise ein neues, nur 850 Kilogramm leichtes Sportwagen-Konzept zu bewundern: Der kompakte 4C könnte als Coupé und Cabrio den aktuellen Alfa Spider ablösen. Maserati setzte dagegen auf bewährte Muster und zeigte nun auch das GranCabrio in der etablierten Sport-Variante.



Die „Goldene Himbeere“ für die größte Fehlleistung der Messe dürfte dagegen an die Konzernschwester Lancia gehen – das verzweifelte Rebadging der aktuellen Chrysler-Palette mit dem italienischen Traditionslogo dürfte nicht nur die wenigen eigefleischten Lancisti, sondern auch den europäischen Kundenstamm von Chrysler verschrecken. Nominiert in der Kategorie „Wiederkehr mit Komplikationen“ wäre auch das De Tomaso Deauville Concept, ein unförmiges SUV-Getüm ohne jegliche Beziehung zu den legendären Sportwagen der italienischen Traditionsmarke. Angesichts derartiger Missgriffe wirken die hochgezüchteten Anabolika-Spielzeuge am Stand des bayerisch-persischen Tuners Mansory schon fast wieder charmant.
Text: Jan Baedeker
Fotos: Nanette Schärf