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Ferrari Lusso, 275 GTS und Daytona (2)


Mit geöffnetem Verdeck kommt beim 275 GTS die sportlich-elegante Linienführung der Pininfarina-Karosserie besonders zur Geltung.

Die Modelle 275 GTB als Berlinetta und das Schwestermodell 275 GTS als Spider wurden nur zwei Jahre nach dem Produktionsstart des Lusso 1964 auf dem Pariser Autosalon präsentiert. Überraschenderweise teilt der Spider kein einziges Teil der von Pininfarina gezeichneten, wunderschönen Karosserie mit der Berlinetta. Dagegen stimmen die technischen Komponenten unter dem Blech natürlich überein.

Die erfolgreiche Weiterentwicklung bei Ferrari vom Lusso zum 275 GTS demonstrieren allein schon die technischen Daten: der 12-Zylindermotor verfügt nun über 3286 ccm, aus denen er bei 7600 Umdrehungen pro Minute 260 PS (später 280 PS) schöpft. Die auf 77 mm vergrößerte Bohrung brachte diese Hubraumvergrößerung bei gleich kurzem Hub mit sich. Schon auf den ersten Kilometern lässt sich der Hubraum- und Leistungsgewinn deutlich spüren. Der Motor reagiert noch spontaner auf Gaspedalbewegungen und dreht williger hoch. Die auf 40 mm Drosselklappendurchmesser vergrößerten drei Weber Doppelfallstrom-Vergaser haben an dieser Spontanität natürlich zusammen mit den sportlicheren Steuerzeiten der beiden Nockenwellen ebenfalls ihren Anteil. Und die besonders auf Landstraßen besseren Abstufungen des nun mit fünf Gängen ausgestatteten Getriebes machen das Fahren mit dem 275 GT Spider zum wahren Vergnügen.


Der Colombo-V12 erzeugt im 250 GT 250 PS, im 275 GTS anfangs 260, später 280 PS und zeichnet sich durch einen weichen Lauf sowie Drehfreudigkeit aus.

Beim 275 GTS wurde zur besseren Gewichtsverteilung das Getriebe mit dem hinteren Differenzial zu einer Transaxle-Einheit zusammengefasst. Der Antrieb zum hinten liegenden Getriebe erfolgt über eine relativ dünne, immer mit der Motordrehzahl rotierenden Welle mit einem Zwischenlager. Die starre Achse von der vorn liegenden Kupplung zur hinteren Transaxle-Einheit haben viele Besitzer später mit Gelenken modifiziert und so die Vibrationen aus der Antriebseinheit deutlich reduziert.

Die Hinterräder werden hier an doppelten Querlenkern geführt und über Schraubenfedern abgefedert. Diese unabhängige Hinterradaufhängung wurde von den Formel-Rennwagen übernommen und brachte ein deutlich besseres Handling auf unebenen Strassen mit sich. Interessanterweise schrumpfte der Felgendurchmesser von 15 Zoll beim Lusso auf 14 Zoll beim 275 GTS, obwohl schon in den 60-er Jahren 15 Zoll Räder Sportlichkeit signalisierten. Dennoch beeindruckt der 275 GTS mit seiner sehr agilen Straßenlage, bei der die Eigenlenkcharakteristik bis in den Grenzbereich untersteuernd ausgelegt ist. Die leichtgängige Lenkung hilft bei der Kurshaltung, wie auch schon beim Lusso. Selbst im Stand lässt sich das Lenkrad mit dem schmalen Holzkranz ohne Anstrengung drehen. Die Präzision der mit einer Schnecke arbeitenden Lenkgetriebe kommt aber prinzipbedingt an diejenige moderner Zahnstangenlenkungen nicht heran. Ferrari-Fahrer mussten allerdings bei den Zwölfzylinder-Modellen noch bis zum 512 BB auf dieses exakte Lenkgetriebe warten, während der Dino 246 GT/GTS schon ab seiner Vorstellung 1969 mit einer sehr präzisen und leichtgängigen Zahnstangenlenkung ausgestattet war.

Auch der Innenraum des 275 GTS strahlt eine sportliche Atmosphäre aus. Die beiden mit Leder bezogenen Einzelsitze halten mit ihrer gerundeten Rückenlehne auch bei höheren Querbeschleunigungen den Körper fest. Und die beiden großen Rundinstrumente für Drehzahl und Geschwindigkeit liegen unter einer Hutze direkt im Blickfeld des Fahrers.


Im 275 GTS informieren die großen Rundinstrumente den Fahrer wieder direkt im Blickfeld durch den relativ großen Lenkradkranz.

Motorcharakteristik, Fahrverhalten und Innraumgestaltung spiegeln die Ausrichtung des 275 GTS als sportliches Modell wider. Und die äußere Linienführung von Pininfarina macht diesen Ferrari zu einem der schönsten Exemplare, das zum Mythos Ferrari seinen Beitrag geleistet hat.

Insgesamt baute Ferrari nur 200 Exemplare dieses bildschönen zweisitzigen Spiders, was ihn zu einem raren und damit wertvollen Sammlerstück macht. Umso erfreulicher, dass Rudolf Schraml seinen 275 GTS regelmäßig bei Oldtimer-Rallies einsetzt – und das mit beeindruckendem Erfolg.

Das Berlinetta-Modell 275 GTB/4 erfuhr zwischen 1966 und 1968 noch eine leistungsmäßige Aufwertung durch die Verwendung von Zylinderköpfen mit jeweils zwei obenliegenden Nockenwellen. Mit sechs Doppelfallstromvergasern erzeugte der Colombo-Motor in seiner höchsten Leistungsstufe 300 PS bei 8000 U/min. Damit waren die mechanischen Grenzen des Ventiltriebs mit zwei Ventilen pro Zylinder endgültig erreicht.

Den dritten Teil der Reportage lesen Sie in der kommenden Woche auf Classic Driver…

Text: Ing. Jürgen Stockmar
Bilder: Dipl. Ing. Rudolf Schraml


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