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Ferrari 275 (2)

Die erste Serie der Berlinettas hatte einen kurzen Überhang vorne mit einer großen Kühleröffnung. Bei hohen Geschwindigkeiten zeigte das Auto einen relativ starken Auftrieb an der Vorderachse und wurde daher instabil. Ferrari änderte die Frontpartie, die nach vorne verlängert und tiefergezogen wurde – die Serie 2, auch als „Longnose“ bezeichnet, war geboren. Die Weiterentwicklung der Autos wurde damals noch stark von den Erfahrungen im praktischen Gebrauch beeinflusst. Wenig später wurde auch die Transaxle-Einheit verändert und Motor samt Getriebe wurden mit einem starren Verbindungsrohr (Torque-Tube) gekoppelt, in dem die Transaxlewelle lief. Damit war die perfekte Lösung für dieses Antriebsprinzip gefunden - wie sie später auch von Porsche in den Typen 924, 944 und 928 übernommen wurde. Vibrationen und Verspannungen gehörten somit der Vergangenheit an. Beim Spider blieb übrigens bis zum Ende seiner Bauzeit die Version mit offener Transaxlewelle im Einsatz.

Einen Quantensprung gab es dann 1967 mit der Einführung des Ferrari 275 GTB/4: Erstmals in einem Serien-Ferrari wurden Zylinderköpfe mit je zwei obenliegenden Nockenwellen verwendet, insgesamt vier Stück – daher die Typenbezeichnung. Damit wurde einerseits eine Leistungssteigerung auf 300 PS (bei 3,3 l Hubraum!) erzielt und die Drehfreude des Motors nochmals gesteigert. Ein gut eingestellter Motor eines GTB/4 spricht dermaßen agil auf jede Bewegung des Gaspedals an, dass es eine wahre Freude ist und man hat den Eindruck, er würde nie zu drehen aufhören. Die Grenzen für Serienmotoren mit nur zwei Ventilen pro Zylinder waren damit erreicht. Die 4-Nockenwellenmotoren sind auch mit einer Trockensumpfschmierung ausgestattet. Heute gehören die 275 GTB/4 zu den gesuchtesten Serien-Ferrari, da sie perfekt die Charakteristika der Rennsportwagen der 60er Jahre mit denen der klassischen Ferrari in sich vereinen.

An sich wäre damit die Typengeschichte der Ferrari 275 abgeschlossen – wenn es nicht Luigi Chinetti in den USA gegeben hätte. Dieser forderte für die betuchte Klientel in Kalifornien eine offene Version des 275 GTB/4. Mit dem Segen aus Maranello wurden bei Scaglietti insgesamt zehn offene GTB/4 gebaut die heute auch als „NART Spider“ bezeichnet werden. Damit wurde eines der schönsten Cabrios aller Zeiten geschaffen, das perfekt die sportliche Aggressivität der Berlinetta mit der Leichtigkeit eines Roadster verbindet. Leider sind die echten NART Spider mit zehn Stück so rar und daher gesucht, dass sie heute in fast unerschwinglichen Preisdimensionen gehandelt werden. Später wurden dann von verschiedenen Karosseriefirmen weitere GTB im Stile des NART Spider umgebaut, die aber im Wert lange nicht an das Original herankommen. Hier ist bei Angeboten also eine genaue Prüfung nötig.

Insgesamt bieten die Ferrari vom Typ 275 bei aller technischen Verwandtschaft ganz unterschiedliche Charakteristika. Die Berlinettas der 1. und 2. Serie mit zwei obenliegenden Nockenwellen sind die perfektionierten Nachfolger der klassischen Ferrari. Mit dem Leistungsplus aus dem 3,3 l Motor, der unabhängigen Hinterachse und dem 5-Gang Getriebe sind sie diesen aber in vielen Belangen überlegen und bieten somit klassisches Ferrari-Feeling auf höchster Stufe. Der Spider 275 GTS verfügt über die gleiche Technik und ist nach dem raren Spider California SWB der erste offene Serien-Ferrari mit dem kurzen Radstand von 2,4 m – was ihm einen zusätzlichen Handlingvorteil im Vergleich zu seinen Vorgängern, den Cabriolets der Serie 1 und 2, bringt. Er ist somit eine perfekte Kombination aus sportlicher Technik und elegantem Styling – das ideale Cabrio für Ferrari Liebhaber. Und mit nur 200 gebauten Exemplaren auch der seltenste 275er. Die Krönung der Baureihe stellt aber eindeutig der 275 GTB/4 dar. Mit seinem drehzahlfreudigen Motor, der dank der 12-Zylinder auch im unteren Bereich über ein gutes Durchzugsvermögen verfügt, macht er den 275 GT zu einem echten Hochleistungssportwagen. Viele Liebhaber stellen heute den 275 GTB/4 in seinen Allroundeigenschaften über den Nachfolgetyp 365 GTB/4 Daytona, der primär mit der Urgewalt seines 4,4 l Motors beeindruckt, dem aber die Leichtigkeit des 275 doch etwas abgeht.

Neben den oben beschriebenen Serienversionen gab es sowohl vom GTB als auch vom GTB/4 noch eine kleine Anzahl von Competizione-Modellen mit Aluminium-Karosserie und 6-Vergasermotoren, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre auch im Rennsport erfolgreich waren. Beispielhaft sind dafür die Erfolge in Le Mans: 1965 Klassensieg in der GT-Klasse und 3. Platz im Gesamtklassement, 1966 Klassensieg in der GT – Klasse und Platz 8 im Gesamtklassement. Auch dies ist ein Beweis für die perfekte Konzeption des 275er. Neben den Wettbewerbsversionen wurden auch insgesamt 63 Stück der Serienautos mit Alu-Karosserie ausgeliefert.

Aufgrund ihrer beeindruckenden Allroundeigenschaften werden die 275er Modelle heute auch gerne bei Oldtimerrallyes eingesetzt und sind dort auch immer wieder erfolgreich. Der Argentinier Sucari gewann mit seinem 275 GTB/4 dreimal in Serie die Tour Auto, eine der anspruchsvollsten Oldtimerrallyes in Europa. Und in Österreich und dem angrenzenden Ausland zeigen der 275 GTB/2 von Heinz Leitner und der 275 GTS des Autors immer wieder die Zuverlässigkeit dieser Baureihe. Die Qualitäten des 275 haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Preise von wirklich guten Exemplaren stark gestiegen sind und sich für die GTB/4 oder die raren Competizione-Versionen mit Aluminium Karosserie um bis zu 50 % erhöht haben. Für viele Liebhaber sind sie damit leider unerschwinglich geworden. Umso schöner, dass diese Autos auch heute noch gefahren werden und man sie zumindest bei den großen Rallyes bewundern kann.

Text & Fotos: Rudolf Schraml


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