Ein Stadtflitzer von Aston Martin auf Basis des Toyota IQ? Vor wenigen Monaten hätte man für diese Idee einen Vorladung zur medizinisch-psychologischen Untersuchung erhalten. Nun könnte aus der psychedelischen Vision tatsächlich Realität werden. Automobildesigner Chris Hrabalek hat sich den Cygnet für Classic Driver angesehen – und scheint uns ein wenig verliebt!
Um das schon einmal klar zu stellen: Der Aston Martin Cygnet ist eine phantastische Konzeptstudie! Wenn Sie meine Meinung nicht teilen oder daran zweifeln, dass wir hier einen der brilliantesten Meilensteine der jüngsten Automobilgeschichte vor uns sehen: Nicht weiterlesen! Sie würden es zutiefst bereuen.
In der Geschichte des Automobils gibt es nur einige wenige Produkte, die radikal genug waren, um diesen vielleicht konservativsten, sicherlich aber komplexesten Fachbereich des Industriedesigns von Grund auf zu revolutionieren. Der Ford Model T, der erste Mini, der Smart Fortwo und sogar der Segway haben eines gemeinsam, nämlich die perfekte Symbiose von nachhaltiger Ingenieurskunst, visionärem Design und intelligenter Produktionslogik. Die Enthüllung des Smart auf der Pariser Motorshow im Herbst 1998 ist mittlerweile mehr als zehn Jahre her – doch unter den tausenden neuen Modellen von hunderten von Herstellern, die seitdem auf den Markt getrieben wurden, war in der Zwischenzeit erst ein einziges Automobil, das es konzeptionell mit dem Stuttgarter Original aufnehmen könnte: der Toyota iQ.
Warum die Toyota Motor Corporation nicht den Mumm hatte, den iQ von ersten Tag an unter dem Lexus-Emblem zu vermarkten, ist mir schleierhaft. Schiere Größe – oder in diesem Fall ihre Abwesenheit – ist längst kein Kriterium mehr für die Bewertung von Luxus. Ganz im Gegenteil: Denn auf der einen Seite versprechen die High-Class-Hersteller ihren Kunden die ganz große Freiheit, während sich die Metropolen-Fahrt und Parkplatzsuche am Steuer eines Bentley Arnage, Rolls-Royce Phantom oder Maybach 62 während der Rush-Hour doch recht unfrei anfühlen kann. Nun könnte man freilich argumentieren, dass Hyper-Luxus-Limousinen natürgemäß nur mit Chauffeur gefahren werden sollten. Doch dann wiederum stellt sich die Frage, warum man in diesem Preisbereich eine solche Einschränkung weiterhin akzeptieren sollte, auch im Hinblick auf das magische Fahrerlebnis, das einem auf der Rückbank eines Phantom doch leider entgeht.
Angesichts dieser Luxus-Mäkeleien ist es erfrischend zu sehen, wie Aston Martin einen neuen Weg beschreitet – und vor allem den Mut zu Visionen zeigt. Nach der Kritik am Aston Martin DBS und anfänglichen Zweifeln am One-77 scheint die Marke nun mit dem Aston Martin Cygnet ins Schwarze getroffen zu haben! Die von Ulrich Bez genutzte Metapher des „exklusiven Beiboots für die Luxusyacht“ ist so vielversprechend wie die Ankündigung, den „Tender“ nur an bestehende Kunden von Aston Martin zu verkaufen. Kann man sich ein besseres, sympathischeres Statussymbol vorstellen? Wer im Sommer 2009 durch die nobleren Stadtteile dieser Welt fährt, kann bestätigen: In den gekiesten Auffahrten der allermeisten Multi-Millionen-Dollar-Anwesen steht neben der Ultra-Luxus-Limousine oder dem High-End-Sportwagen auch ein kleiner Stadtflitzer – meist für die bessere Hälfte, aber oft auch für den Hausherren selbst.
Aber ist dieser Look wirklich ernst gemeint? Es wäre unfair, den Aston Martin Cygnet zum jetzigen Zeitpunkt einer kritischen Designanalyse zu unterziehen, zumal die Aufgabenstellung dem Designchef Marek Reichmann praktisch kreative Handschellen angelegt hatte. Für stilistische Flexibilität bietet ein Toyota iQ natürlich nicht viel Spielraum. Es würde mich wundern, wenn Marek mehr als zwei Millimeter von der Karosserie des Basiswagens abweichen durfte. Anstatt diesen professionell ausgeführten Stilvorschlag mit Spitzfindigkeiten vom Tisch zu wischen, sollte man sich lieber zurücklehnen und die nächste Entwicklungsstufe abwarten – oder noch besser: Den Aston Martin Cygnet in der Realität kennen lernen.
Der Aston Martin Cygnet ist – wie bereits gesagt – ein beeindruckendes Produkt. Er ist originell, mutig, clever und bietet der Marke eine realistische Lösung, um die brusthaarigen V8- und V12-Supersportwagen auch unter strengeren EU-Flotten-Emissionsgrenzwerten, die andere Marken wie Lamborghini oder Bentley durch ihre sparsamen Konzerngeschwister abfedern, weiter zu verkaufen. Zudem bin ich mehr als sicher, dass ein großer Teil der Kundschaft bereits danach giert, die „Emotional Control Unit“ des Cygnet in der Hosentasche spazieren zu führen. Und wer weiß: Vielleicht sind auch einige Interessenten bereit, für den Zugang zu dieser neuen, sinnvollen, nachhaltigen Form des automobilen Luxus auch einen Aston Martin V8 Vantage zu erstehen. Den Verkaufszahlen würde es jedenfalls nicht schaden.
Chris Hrabalek wurde 1977 in Wien geboren und ist heute als Automobildesigner und strategischer Berater für verschiedene europäische Hersteller tätig. Internationales Aufsehen erregte Hrabalek auf dem Genfer Salon 2005 mit einer Neuinterpretation des Lancia Stratos, die er als Mitbegründer des Designstudios Fenomenon initiiert und gestaltet hatte.
Text: Chris Hrabalek
Fotos: Aston Martin
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