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Carroll’s Wild Things

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Zum 50. Geburtstag von Carroll Shelbys infernalischer AC Cobra hat Michael Köckritz für sein preisgekröntes Auto-Kultur-Magazin ramp eine wilde Fotostrecke inszenieren lassen. Wir zeigen die Geschichte als exklusiven Auszug aus dem neuen Heft.

Nüchterne Industriehalle in der Nähe von Aachen. Vollgestopft mit Classic Cars. In der Mitte der Halle, zwischen grauen Wänden, nackten Kabelsträngen, drei Models und dem Fotografen, stehen über acht Millionen Euro, eher ungleich verteilt auf grade mal vier Automobile, obwohl der eine oder andere Auktionator bei den Bonhams und Christie’s dieser Welt den Gesamtbetrag – Augenbraue deutlich gehoben – wohl eher als »understated« bezeichnen würde. Shelbys. Vier Stück. Mächtige Boliden aus einer Zeit, in denen noch Blei im Benzin war, ein Airbag was zum Blasen und Stabilitätskontrolle etwas, das man nach ein paar Bourbons auf dem Nachhauseweg gut gebrauchen konnte. Mit schweinedicken Reifen und Lenkrädern, die mit festem Leder umwickelt waren und nicht mit unaussprechlich schickem Zeug wie Alpaca. Am besten gleich ganz aus Holz. Mit gigantischen, polierten Ansaugtrompeten auf Vergasern, die weder elektronisch, noch anderswie einspritzten, sondern Benzin ganz simpel mit Luft vermischten. Acht Zylinder, die einen so gewaltigen Krach machen und mit einem Hubraum ausgestattet sind, dass es einem Sherman Panzer recht mulmig werden könnte. »American Muscle Cars halt«, sagt Peter Raumann, Oberpriester im Tempel der coolen Cars, der auf die Shelbys aufpasst, sie restauriert und pflegt. »Die ersten, eigentlich.« Womöglich auch die besten: Ein Mustang TransAm aus dem Jahr 1968 mit mächtigen 525 PS unter der scharlachroten Haube. Eine ’64er Cobra 289 TT Racer und ein unlackierter, in purem Leichtmetall glänzender 289 S, ein reines Showcar, ehemals gebaut und gold lackiert für die New Yorker Autoausstellung 1962.

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Und dann steht da noch ein 1965 Shelby Daytona Coupe, mit handfesten 380 PS, in tiefstem Blau mit weißen Streifen, einem farblich unterteilten Hintern mit der Nummer 12 genau da, gebaut, um bei der damaligen Marken-Weltmeisterschaft, einer Serie von 1000-km-Langstreckenrennen, gegen die übermächtigen Porsches und Ferraris anzutreten. Einer von gerade mal sechs Daytona Coupes, sagt der Herr Raumann andächtig, die jemals gebaut wurden. »Dabei war das Projekt der Coupés damals bei Shelby nicht ganz unumstritten, um es vornehm auszudrücken«, erzählt mir Peter Brock, ein charmant-knitzer Amerikaner, in Las Vegas lebend, dem man trotz des silbernen Haupthaars seine 75 Jahre nicht ansieht und der – tatsächlich – das Daytona Coupe auf dem Gewissen hat, wie einige andere Klassiker auch, den Vorläufer der Stingray Corvette zum Beispiel. Der lustige Peter, das muss man wissen, arbeitete lange Jahre als Entwickler und Designer für Carroll Shelby, für jene texanische Motorsport-Legende, aus deren Stall die drei mächtigen Cobras und der brutale Mustang stammen. »Alle dachten, ich spinne, als ich mit meinem Konzept für das Coupé kam.« Die Cobras davor seien fahrende Ziegelsteine gewesen, erinnert sich Mister Brock, gewaltige Power und handfestes Gewicht, aber mit der Aerodynamik wäre es nicht weit her gewesen. »Ich war damals der Jungspund bei Shelby, so um die zwanzig Jahre alt, der Neuling, das Greenhorn. Und dann komme ich daher mit diesem radikalen Entwurf für ein abgeschnittenes Autoheck, das aussieht wie ein halber Brotlaib.« So hätten sie das nie gemacht, das sähe gar nicht aus wie die Autos des Erzfeinds Ferrari, hätten sie alle gegrinst. Allerdings war den Kollegen das Lachen schnell vergangen, als Brocks Project Car auf der Rennstrecke von Riverside vor den Toren Los Angeles auf Anhieb allen bisherigen Cobras pro Runde drei Sekunden abnahm. Das wäre ziemlich überzeugend gewesen, lächelt Brock. Shelby, für seinen Teil, war genügend überzeugt, um in nur drei Wochen die Coupés für das Daytona Continental Rennen fertigstellen zu lassen.

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»Bis zu diesem Zeitpunkt hieß der Wagen nur ›Brock’s Coupe‹«, erinnert sich der Designer/Ingenieur. »Danach war es nur noch das ›Daytona Coupe‹. Wir bauten das erste Coupé in unserem Shop in Venice, Kalifornien. Die restlichen fünf entstanden alle in der Carrozeria Gran Sport in Modena.« Carroll Shelby sei recht glücklich gewesen, fügt er hinzu. Das sollte sich schnell ändern, als beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans ein Stein den Ölkühler des führenden Coupés zerstörte, und die Fahrer den weidwunden Renner ins Ziel schleppen mussten. Doch trotz des verölten Le MansEinstiegs zählt das Daytona Coupe bis heute zu den großen Erfolgen des Carroll Shelby. Auch der Mustang TransAm, die Rennversion des legendären GT350, in der Halle des deutschen Peters war ein motorsportlicher Volltreffer, obwohl die formidablen Dinger fast unfahrbar waren. 1968 belegte der amerikanische Muskelprotz Platz 4 hinter drei hoch favorisierten Porsche 908. Und trotzdem markierte der TransAm das Endeeiner Ära für Shelby. Seit ziemlich genau fünfzig Jahren baut der texanische Querkopf Carroll Shelby sowohl an diversen ACs und Fords herum, als auch an seinem eigenen Mythos. Der ehemalige Air Force-Pilot war schon früh motorsport-technisch vorbelastet – sein erstes »speeding ticket« erhielt er im reifen Alter von 12 mit dem Wagen seines Vaters (unerlaubt), und er fuhr Ende der 50er Jahre zwei Saisonen lang (erlaubt) in der Formel 1. Dazwischen lag ein etwas verunglückter Karriereschritt als LKW-Fahrer und Hühnerfarmer in Texas, der im Bankrott endete, weil Shelby schon im zweiten Jahr die Hühner krepierten.

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Währenddessen hatte Shelby aber schon Rennsport-Blut geleckt. Sein erstes Rennen gewann er – im chicken-shit verdreckten Blaumann – auf einem geliehenen MG-TC. Ein Sieg in Le Mans auf Aston Martin und weitere Erfolge auf Maseratis und Ferraris kamen dazu, bei der Carrera Panamericana krachte er seinen Austin-Healey in einen mexikanischen Lastwagen. Indianer fanden den Schwerverletzten und pflegten ihn gesund, was den harten Texas-Boy aber nicht hinderte, etwas später in Sebring anzutreten, den Arm in der selbst konstruierten Plastikschlinge, die verletzte Hand mit Klebeband am Lenkrad festgezerrt. Als der an einem angeborenen Herzleiden erkrankte Shelby sich selbst während seiner Rennen zunehmend mit Nitroglyzerin-Pillen bei Bewusstsein halten musste (eine beängstigende Vorstellung, nicht nur für die Konkurrenz!), beendete er 1959 seine Fahrerkarriere und begann, seine eigenen Rennwagen zu bauen, was ihn letztendlich zu dem machte, was er heute ist und immer bleiben wird – eine wahre amerikanische Motorsport-Legende. Das ging ganz schnell, eigentlich.Zwei Jahre nach seinem Start als Racing-Konstrukteur überredet Shelby Charles Hurlock, den Besitzer eines englischen Autobauers namens AC Motors, ihm einen AC Ace in die USA zu verfrachten, erstmal umsonst natürlich, erbettelt einen 221 cubic-inch V8 von Ford, den er in den britischen Roadster installiert und gründet seine Firma Shelby-American in Venice, Kalifornien. Die Finanzierung des Unternehmens bereitet dem stets klammen Shelby allerdings Schwierigkeiten, weshalb die erste Cobra mit der Fahrgestellnummer CSX 2000 im März 1962 erst in New York ausgestellt wird und danach an mehrere Motorjournalisten zu Probefahrten ausgeliehen wird, jedes Mal in einer anderen Wagenfarbe, um der Öffentlichkeit eine bereits laufende Produktion vorzugaukeln.

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Carroll Shelby ein texanisches Schlitzohr zu nennen, ist für viele seiner Geschäftspartner eine höfliche Untertreibung. »Der Mann konnte Autos bauen, kein Zweifel«, sagte einer seiner frühen Finanziers einer US-Autozeitschrift. »Aber du hattest immer das Gefühl, dass er dich übers Ohr haut. Bis heute weiß ich nicht, ob ich damit recht hatte.« Ein ehemaliger Ford-Manager, immerhin leitender Angestellter in einer Firma, die mit Shelby große Erfolge einfuhr, erinnert sich an den Tag, als der Texaner seinen Ruhestand verkündete. »Wir öffneten alle Champagner-Flaschen, die wir in die Finger bekommen konnten. Für uns war das wie Weihnachten und Thanksgiving an einem Tag.« Peter Brock, Shelbys erster bezahlter Angestellter, lacht, als ich ihm das Zitat vorlese. »Carroll als ›colorful character‹ zu bezeichnen, wäre eine treffende Art, ihn zu beschreiben. Wenn du einmal geschäftlich mit ihm zu tun hattest, würdest du das kaum ein zweites Mal tun. Aber wenn du für ihn gearbeitet hast, war er der Größte! Carroll ist in seiner Art einzigartig, ein sehr komplexer Mensch und der größte Salesman, den ich jemals kennengelernt habe. Er konnte seine Mitarbeiter begeistern und gleichzeitig mit Managern umgehen. Er fühlte sich in seiner Werkstatt ebenso zuhause wie in Vorstandssitzungen.« Peter erklärt sich Shelbys – nennen wir es mal – Ehrgeiz mit dem natürlichen Instinkt eines Rennfahrers. »Es war nicht nur wichtig für ihn, dass er gewinnt. Er wollte fast noch mehr, dass sein Gegner verliert.«

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Hemmings, das große amerikanische Automagazin, verglich Shelby einmal mit einem »snake oil salesman«, ziemlich nahe dran an einem Schwindler. Gerüchte besagen zum Beispiel, dass Shelby der Markenname ›Cobra‹ nicht einfach im Traum erschien, wie er selber immer wieder behauptete, sondern dass er die ›Cobra‹ erst von Autobauer Powel Crosley klaute, und dann später, als der sich beklagte, für 1 US-Dollar abkaufte. Ein Jahr danach erlag Crosley einem Herzanfall. In der Tat versuchte Shelby alles zu Geld zu machen, was nicht festgenagelt war. Heute noch sind in einschlägigen US-Shops unter dem Listing »Carroll Shelby Modern Vintage Collection« nicht nur die üblichen Hütchen und T-Shirts mit dem Motto »Vom Hühnerfarmer zum Rennfahrer« zu haben, sondern auch ›distressed‹ »Grease Monkey«-Jacken und ein Shelby-Deodorant mit dem trefflichen Namen »Pit Stop«. In Walmart Läden in den USA laufen Shelbys Chili-Konservendosen wie geschnitten Brot, heute allerdings unter der Regie des Nahrungsmittelriesen Kraft. Eine luxuriöse Segelyacht, gebaut von Donzi Marine in Florida, lief unter dem Namen Donzi Shelby 22 GT vom Stapel, und an Saab, Gott hab die Schweden selig, verkaufte er bis ins Jahr 1987 Alu-Felgen, die zugegebenermaßen heute unter Saab-Enthusiasten Liebhaberpreise erzielen.

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Anfang der Sechzigerjahre stand Ferrari kurz vor dem Konkurs und folglich auch zum Verkauf. Ein gewisser Henry Ford II sah die Chance, seinen Traum vom Sieg in Le Mans durch den Kauf der Sportwagenmarke zu verwirklichen. Aber der chauvinistische Commandatore ließ den reichen Ami recht unhöflich abblitzen. Wutentbrannt gab Ford seinen Ingenieuren den Auftrag, dem » … italienischen Arschloch in den Hintern zu treten« und ließ einen eigenen Rennwagen entwickeln, der die Ferraris auf der Strecke nicht nur demütigen könnte, sondern auch in der Lage war, die Ferraris bei ihrem traditionellem Heimspiel, den 24-Stunden von LeMans, deutlich zu schlagen. Geld spiele dabei keine Rolle. Henrys Racheplan hatte allerdings einen kleinen Fehler – der aus dem Wutanfall entstandene Ford GT40 war eine Null. Erstmal. »Und so kam Ford auf den kleinen Garagisten Shelby«, erinnert sich Peter Brock an 1964, jenem Jahr, an dem Shelbys Geldsorgen endlich vorbei waren. Ford bot Shelby an, die GT40s zu überarbeiten und das offizielle Rennteam zu leiten. Oft genug hätte der Texaner ja gezeigt, dass man sehr wohl mit Ford-Motoren siegen könne, sowohl mit den Cobras als auch mit seinen Mustangs. Das funktionierte dann auch ganz toll. Viermal hintereinander, von 1966 bis 1969, schlugen die GT40s unter Shelby die Ferraris in den Quatre-Vingts-Heures, und 1965 kam der erste Mustang GT350 Fastback auf den Markt, der seinen Namen nicht etwa aufgrund des Hubraums erhielt, sondern weil ein von der Ford-Marketing Division genervter Shelby einen Mitarbeiter anwies, die Distanz vom Schreibtisch zur Garagenwand zu messen. »Dreihundertfünfzig Zoll«, war die geflissentliche Antwort. »Okay«, entschied Shelby, »that’s what we call it then.«

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1970 hatte Ford wohl genug vom Shelby-Engagement und kündigte die Zusammenarbeit auf. Shelby entwickelte danach für Dodge – und für viel Geld – einige skurrile Sondermodelle wie den Dodge Omni und gar einen Dodge Van, war aber auch an der Entwicklung der Viper beteiligt, die für viele Enthusiasten in den USA den Platz der Cobras einnahm. Als Ford 1984 dann einen »Anniversary Mustang GT350« vorstellte, verklagte Shelby den alten Arbeitgeber. Shelbys Anwälte hatten auch weiterhin alle Hände voll zu tun, als Shelby Ende der Achtzigerjahre die Cobras wieder auflegen wollte, aber herausfand, dass einige clevere Geschäftsleute in den USA und in Südafrika schon auf die Idee gekommen waren. Zehn Jahre später erhielt Shelby nach einem katastrophalen Herzanfall das Herz eines 38-jährigen Las Vegas-Zockers, was viele seiner Freunde und Geschäftspartner als überaus treffliche Wahl empfanden.

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Das alles entbehre nicht einer gewissen Art von Ironie, meint Peter Brock. Ein Mann, der das Talent hatte, die faszinierendsten Autos seiner Zeit zu bauen, sich aber selber immer wieder ein Loch gegraben habe. Nicht, dass man Mitleid haben müsste mit Carroll Shelby. Der 89-Jährige lebt heute in Bel Air, dem teuersten Stadtteil von Los Angeles. Aber eine Klausel im Vertrag mit Ford von 1964 besagte, dass Shelby die Arbeit an den Cobras einstellen müsse, was interessante Konsequenzen nach sich zog. »Im Hinterhof standen reihenweise die fast fertigen Cobras rum«, erinnert sich Block. »Du konntest die Dinger für ein paar hundert Dollar kaufen!« In der Tat verscherbelte Shelby den – damals – letzten seiner Art, voll fertig gestellt, für 4500 US-Dollar an einen Freund, dessen Witwe das Auto 2008 unter recht obskuren Umständen für zwei Millionen an ein Auktionshaus verkaufte. Ein paar Tage nach dem Besuch in Aachen telefoniere ich mit einem Schätzer von Barrett-Jackson, dem Auktionshaus, das bei der »World’s Greatest Car Auction« im Januar dieses Jahres in Scottsdale, Arizona, mehr als dreißig diverse USKlassiker an die finanzkräftige amerikanische Oberschicht versteigert hatte. »Fünf Millionen für drei Cobras und einen TransAm?«, fragte der Mann etwas ungläubig. Soviel würde er allein als Startangebot für das Daytona Coupe ansetzen – und speziell für dieses Modell sehe er keine Grenzen nach oben, bei einem Klassiker, von dem nur sechs gebaut wurden, sei mehr als das Doppelte drin. Cobras beschleunigen eben in jeder Beziehung vehement.

Text von Helmut Werb, Fotos von Byron Mollinedo & Greve

Die neue ramp #17 zum Heftthema "24" ist ab sofort erhältlich.

Übrigens: Gerade wurde ramp bei den Mercury Awards in New York als bestes Magazin ausgezeichnet - zum fünften Mal in Folge!

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