Direkt zum Inhalt

Magazin

Bentley Mulsanne Turbo

Gedankenentschleuniger

Text: Sven Jürisch
Fotos: Mathias Paulokat

Die Ruhe und Gelassenheit souveräner Kraftreserven versprach 1982 der Bentley Mulsanne Turbo. Auch fast 30 Jahre später hat der Mulsanne kaum an Eleganz verloren und stellt heute obendrein ein interessantes Investment dar. Wir haben dem distinguierten Briten unter's Blech geschaut und geben Tipps für den Kauf.

Die Welt ist schneller geworden. Handy, eMail und das allgegenwärtige Internet plagen uns mit einem unablässigen Strom von Nachrichten. Alles scheint wichtig und vermeintlich duldet kaum eine Entscheidung Aufschub. 1982 war das anders. Als Bentley den auf dem Rolls-Royce Silver Spirit basierenden Mulsanne Turbo präsentierte, liefen die Uhren der Geschäftswelt noch im analogen Takt. Folglich dienten die kolportierten 300 PS des Mulsanne Turbo auch im Wesentlichen der Fahrkultur und weniger der Dynamik. Und niemand beklagte sich darüber. Es gab vermutlich auch keinen Kunden, der je versucht hatte, den fast zwei Tonnen schweren Palast auf Rädern mit kreischenden Reifen quer über die Nordschleife zu prügeln. Die Besitzer des Bentley genossen lieber die gediegene Souveränität des edlen Interieurs. Leder, Holz und dicke Wollteppiche schufen eine Atmosphäre gediegener Eleganz, bei der das vornehme Ticken einer IWC-Zeituhr die Krönung bedeutet hätte. Die in ärgster finanzieller Bedrängnis agierende britische Manufaktur tat eben alles, um ihre anspruchsvolle Kundschaft bei Laune zu halten.

Anders als bei dem großen Bruder Rolls-Royce Silver Spirit legte Bentley Wert auf gesteigerte Fahrdynamik, um das Selbstfahrerlebnis zu erhöhen. Am Steuer des Mulsanne Turbo kam trotz des behäbigen Handlings nämlich durchaus so etwas wie Fahrvergnügen auf, wenngleich die Abstimmung des mit einer Einzelradaufhängung versehenen Briten komfortorientiert war. Zu den Schokoladenseiten des Bentley gehörte daneben sein gediegener Antrieb. Der aufgeladene V8 überzeugte damals wie heute mit schierer Größe. Niemals benötigte er hohe Drehzahlen, um die Erwartungen seiner Insassen zu erfüllen. Ihm genügt es, das bereits sattsam vorhandene Drehmoment des Basismotors durch den milden Einsatz von Ladedruck angemessen zu erhöhen. Der Druckaufbau geschah dabei nicht hektisch, sondern so wohl dosiert, dass sich die Insassen nicht an den Hédiard-Butterkeksen verschluckten und der Champagner im Glas blieb. Mit leisen Pfeifen seines Turboladers entführte der Mulsanne Turbo seine Insassen in eine andere Welt, die so gar nichts mit hektisch hochdrehenden Downsizemotoren zu tun hatte.

Die Technik

Dem unerschrockenen Bentley-Interessenten sollte schon vor der Besichtigung der ersten Exemplare eines klar sein: Trotz meist erstaunlich niedriger Laufleistungen, die durch ein sorgfältig geführtes Serviceheft belegbar sein sollten, wird der Luxusliner mehr Mängel haben als die Corgis der Queen Flöhe. Das liegt vor allem an dem hohen Alter der Fahrzeuge und an der durchschnittlichen Qualität des verwendeten Materials. Selbst wenn sich bei der Besichtigung noch keine Ölflecken an Motor, Getriebe und Achsen zeigen, so ist dies keine Gewährleistung dafür, das nicht die Simmeringe und Dichtungen nach der ersten intensiven Nutzung den Dienst quittieren. Gleiches gilt für die mit dem verbotenen Kältemittel R12 gefüllte Klimaanlage. Auch sie wird in den meisten Fällen leer sein und keine Kühlung mehr liefern. Ob es dann mit dem einfachen Auffüllen des modernen Ersatzgases getan ist, oder aber die Standzeit weiter Schäden verursacht hat, stellt sich erst im Laufe des Betriebes heraus.

Antriebsseitig ist, bis auf die üblichen Alterungsschäden an Einspritzung und Zündung (Dichtringe Einspritzdüsen, korrodierte Steckverbindungen, defekte Zündkabel und Zündkerzenstecker), nur wenig Unbill zu erwarten. Der robust konstruierte 6,75 Liter Achtzylinder von Rolls-Royce gilt auch trotz der Zwangsbeatmung durch den Garrett-Turbolader als ausgesprochen standfest, ebenso wie die ausschließlich lieferbare GM-Automatik. Regelmäßige Wartung, auch bei niedrigsten Laufleistungen, ist jedoch ein unbedingtes Muss für ein langes Leben des Antriebes. Insbesondere dem regelmäßigen Ölwechsel kommt aufgrund der gestiegenen thermischen Belastungen eine besondere Bedeutung zu. Dass der Schmierstoff dabei nur vom Besten sein sollte, versteht sich von selbst.

Rost ist an einem unfallfreien Bentley nur selten ein Thema, nicht zuletzt, weil die Fahrzeuge meist ein umhätscheltes Einzelgaragendasein führten. Dagegen gehören Mängel an der oft undurchschaubaren Elektrik nicht selten zur Tagesordnung. So sorgen insbesondere korrodierte Masseanschlüsse für wilde Lichtorgien im Instrumentenbrett oder Fehlfunktionen an den zahlreichen elektrischen Helfern. Die Suche nach dem Übeltäter gestaltet sich aufgrund schwer verfügbarer Dokumentationen des Leitungssystems oft langwierig.

Kosten und Fazit

Bentleyfahren ist und bleibt teuer. Nach der ersten Freude über die oftmals außerordentlich günstigen Gebrauchtwagenpreise folgt in der Regel der Schock. Die Teilepreise des Luxusliners sind auf höchstem Niveau, wobei die Teileversorgung überraschend gut funktioniert. Ebenso aufwändig gestaltet sich die Suche nach einer geeigneten Werkstatt. Denn es gibt nur wenige Spezialisten, die sich mit dem Bentley Mulsanne Turbo wirklich auskennen und über das meist in Zoll-Größe ausgeführte englische Spezialwerkzeug und die notwendige Literatur verfügen. Läuft der Brite dann problemlos, hat es mit den hohen Kosten noch kein Ende. Denn wer den Bentley regelmäßig bewegt, wird kaum unter 20 Liter verbrauchen. Wer mit ihm dagegen nur wenige Kilometer im Jahr zurücklegt, riskiert die eingangs beschriebenen Standschäden.

Dennoch: Mit dem Bentley Mulsanne Turbo erhält der Käufer ein absolutes High-Class-Auto der wilden 80er Jahre – zugegeben fern deutschem Perfektionsdenkens. Günstig ist das Vergnügen zwar nicht, doch wer die Investition von rund 25.000 Euro (inklusive einer Reparaturkostenrücklage von 5.000 Euro) wagt, erhält dank niedriger Stückzahl ein Fahrzeug von hohem Seltenheitswert und mit garantiertem Wertzuwachs. Wie lange jedoch das Preisniveau auf dem derzeitigen Tiefstand verharrt, ist angesichts des aktuellen Youngtimerbooms fraglich.

Der hier porträtierte Bentley Mulsanne Turbo steht aktuell bei Steenbuck Automobiles zum Verkauf.

Was der aktuelle Bentley Mulsanne bietet, beschreibt Classic Driver J. Philip Rathgen in seinem Reisebericht durch Schottlands Norden im neuen Bentley Flaggschiff,

Die Fakten

Typbezeichnung:
leitet sich von der Mulsanne Geraden in Le Mans ab

Motor:
6,75 Liter Achtzylinder mit Garrett-Turbolader und Solex-Registervergaser

Kraftübertragung:
Dreigangautomatik, Heckantrieb

Leistung:
302 PS

Radstand:
3.060 mm (kurz), 3.160 mm (lang)

Verkaufsstart:
1982

Stückzahlen:
516, davon 18 mit langem Radstand

Fotogalerie

Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo
Bentley Mulsanne Turbo Bentley Mulsanne Turbo