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Bentley Arnage Red Label vs. BMW 7er

Text/Photos: Jan Baedeker/J. Phillip Rathgen/Oktavia Friedl

Keine Frage – wer sich für den neuen 7er von BMW entscheidet, der bekommt vollen Komfort, innovative Technik und kraftvolle Sportlichkeit. Gibt es da noch eine Steigerung? Für den Preis von vier neuen BMW 735i bietet Bentley den Arnage Red Label mit 2,6 Tonnen Kampfgewicht, über 800 Nm Drehmoment und einer Ausstattung, die ihresgleichen sucht. Classic Driver hat die ungleichen Flagschiffe in den Straßen von Berlin getestet.

Als BMW im letzten Sommer die neue 7er-Reihe präsentierte, war das Interesse immens. Nie zuvor hatte der bayrische Automobilkonzern einer neuen Modellgeneration ein so progressives Aussehen und vor allem ein derart ungewöhnliches Bedienkonzept verliehen. Dass es sich bei diesem konsequenten Bruch mit altbewährten Design- und Technologiestandards nicht um ein Concept-Car, sondern um das Serien-Flaggschiff der BMW Group handelte, polarisierte noch dazu.

Bentley Arnage Red Label vs. BMW 7er Gut ein halbes Jahr nach der Premiere auf der IAA in Frankfurt sorgt die eigenwillige Limousine im Straßenverkehr noch für ungläubige Blicke, denn - die wahren Dimensionen des neuen 7er werden einem erst in Natura bewusst. Wirkt er in der Frontansicht noch relativ rundlich und kompakt, ist er von der Seite aus betrachtet gigantisch. Die hohe Seitenlinie, die tiefgehaltenen Scheiben sowie die gewaltigen Räder und die aerodynamische, langgestreckte Form strahlen mehr Sportlichkeit aus als das Vorgängermodell.

Doch aus dem Dschungel der automobilen Einheitlichkeit hebt sich der BMW nicht nur durch die extravagante Formgebung von Chefdesigner Chris Bangle hervor. Das iDrive - Bedienkonzept für die dot.com-Generation - ermöglicht eine Unmenge von Kommunikations-, Entertainment- und Komfortfunktionen, die durch den Jog-Dial-Bedienknopf auf der Mittelkonsole nach kurzer Eingewöhnungsphase problemlos gesteuert und gewählt werden können.

Wenn man bei 200 km/h auf der Autobahn per Steptronic-Tasten in den Sportmodus der Automatik wechselt, sich die Scheinwerfer bei kurzen Tunnelfahrten selbstständig ein- und ausschalten und man während des Gesprächs mit der Computerstimme des Wagens leicht vom Ledersitz massiert wird, fragt man sich bald: ist das der ultimative, größtmögliche Komfort? Die vielbeschworene Freude am Fahren?

Bentley Arnage Red Label vs. BMW 7er Mit Sicherheit ist der 7er eines der angenehmsten und durchdachtesten Automobile seiner Klasse. Die Freude an diesem verfliegt allerdings genau in dem Moment, wenn man im elektronisch verstell- und dimmbaren Rückspiegel erst den imposanten Kühler eines Bentley und auf den zweiten Blick das vornehm-zurückhaltende Lächeln des Hintermanns erblickt. Natürlich – ein Arnage ist rund vier mal so teuer wie ein 735i. Doch ist er wirklich auch viermal so gut?

Um den ’Mythos Bentley’ ansatzweise zu ergründen, hat Classic Driver den majestätischen Ästheten aus Crewe zusammen mit dem weltlichen Athleten aus München durch die Straßen der Hauptstadt geschickt.

Schon auf den ersten Blick fällt auf: der BMW wirkt neben der eleganten, leicht nach hinten geschwungenen Form des Arnage Red Label zwar sportlicher und deutlich muskulöser, aber auch wuchtiger und fast überdimensioniert. Deutsches Selbstbewusstsein neben britischem Understatement.

Im Innenraum gibt sich der BMW funktional und sportlich-progressiv. Das neue iDrive-Bedienkonzept ist durchweg gelungen und macht die Einstellung von Navigationssystem, Klimaanlage und Audiosystemen wie beispielsweise dem CD-Wechsler über dem Handschuhfach oder dem MiniDisc-Player in der Mittelkonsole spielend einfach. Automatik-Schaltung und Tempomat sind mit Wahlhebeln am Lenkrad schon nach kurzer Eingewöhnung intuitiv zu bedienen. Nützliche Extras wie die elektrisch bedienbaren Fond-Jalousien, variable Sitzeinstellungen und die automatische Sendersuchfunktion des Bordfernsehers lassen praktisch keinen Wunsch offen.

Im Vergleich zum Interieur des dynamischen Deutschen ist es im Inneren des Bentley zwar klar und übersichtlich, aber viel klassischer und konservativer. Schon das handvernähte Connolly-Leder der Sitze, die beim Einsteigen automatisch zurückfahren, schafft eine besondere Atmosphäre. Respektvoll streicht man über Nähte, polierte Wurzelholzleisten und Chromschalter in klassischer Form. Die Füße versinken – trotz der hohen Sitzposition – in üppigen Teppichen. Man assoziiert stilvolle britische Kaminzimmer, gemütliche Lounges und Salons.

Bentley Arnage Red Label vs. BMW 7er Doch der Schein trügt: Unter dem eleganten Mantel aus Stahl und Leder verbirgt sich eine Agilität, die man sonst nur unter der Heckhaube eines italienischen Sportwagens erwarten würde. Trotz seines Gewichts von über 2,5 Tonnen – rund 500 Kilogramm mehr als der BMW – beschleunigt das 6,75-Liter-Triebwerk den Arnage selbst bei zaghaftem Druck auf das Gaspedal derart rapide, dass man das Gefühl hat, mit mehrfacher Erdanziehung in den Sitz gepresst zu werden. Mehr als 400 Pferdestärken beschleunigen die sportliche Sänfte in 6,3 Sekunden auf Tempo 100. Trotz des Gewichtsvorteils kann der BMW bei diesen Werten nur in der 745i-Version mit großer 4,4-Liter-Maschine mithalten.

Auch der BMW 735i ist mit seinen 272 PS wahrhaftig kein Schwächling. Gerade am Berg beeindruckt der Bayer durch die BMW-typische Zugkraft und Sportlichkeit. Doch vernimmt man im 7er beim Tritt auf das Gaspedal kaum etwas - bis auf ein kontinuierliches Summen. Beim Arnage hingegen ist die Beschleunigung auch ein auditives Erlebnis. Gleichmäßig steigert sich die Klangfülle des großen V8 – von einem dumpfen Grollen bis hin zu einem Donnern.

Schon beim Anfahren wird einem das Gewicht und die Kraft des Arnage Red Label bewusst. Unterschätzt man beim BMW aufgrund seiner Leichtfüßigkeit schnell Dimension und Potenzial, hält der Bentley einem auf subtile Weise immer seine Größenordnung vor Augen. Und gerade das ist es, was die Exklusivität der Marke ausmacht: Bentley baut Automobile, die weder Sportlichkeit für Komfort einbüßen noch umgekehrt. Ein Bentley ist niemals ein Kompromiss. Sportliche Höchstleistung trifft auf luxuriöse Perfektion. Und gleichzeitig bleibt der Arnage der wohl zurückhaltendste Eyecatcher, den man für Geld kaufen kann.

Bentley Arnage Red Label vs. BMW 7er Um es noch einmal deutlich zu sagen – ein direkter Vergleich dieser beiden automobilen Individualisten ist schon aufgrund des Preisgefälles und der unterschiedlichen Leistungsdaten nicht möglich. Anders als bei einem BMW wird die Kaufentscheidung für einen Bentley nicht aus rationalen Gründen getroffen. Der neue BMW 7er ist zweifellos ein Quantensprung der Automobilgeschichte. Dank der selbstbewussten Leistung der BMW-Ingenieure wird auch Mercedes-Benz in naher Zukunft einer formalen und technischen Evolution kaum ausweichen können.

Und auch im englischen Crewe ruht man sich nicht auf vergangenen Leistungen aus: gerade wurde der Nachfolger des Arnage Red Label in Detroit vorgestellt. Mit noch mehr Komfort, Leistung und technischer Finesse ausgestattet, ist der Arnage T für Bentley Motor Cars der Beginn einer neuen Ära. Und ebenso wie seinen Vorvätern ist auch dem neuen Arnage jetzt schon ein Platz im Olymp der automobilen Legenden sicher.