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Like a Virgin - Warum man in unberührte Klassiker investieren sollte

Der Kilometerstand ist beim Kauf eines Klassikers ein wichtiger Faktor. Meist gilt: Je weniger, desto besser. Vor dem Hintergrund einiger teurer Verkäufe von Klassikern in beinahe fabrikneuem Zustand fragte Classic Driver Experten, was von diesem Trend zu halten ist.

Kenner der Szene warnen immer wieder vor den Tücken von Automobilen mit besonders niedrigem Kilometerstand. Sie weisen zu recht darauf hin, dass mangelnder Einsatz über einen längeren Zeitraum verschiedene mechanische Probleme zur Folge haben kann. Aussichten, über die sich ein Käufer kaum freuen wird. Doch der aktuelle Trend sieht anders aus: Jüngste, zum Teil spektakuläre Auktionsergebnisse für kaum genutzte Automobile sowie diverse „werksneue” Klassiker, die zur Zeit im Classic Driver Markt angeboten werden, haben uns veranlasst, diesem Phänomen einmal nachzugehen.

Hohe Preise für niedrige Kilometerstände

Vor einiger Zeit konnten Silverstone Auctions einen Ferrari 456 M, Baujahr 1999, mit nur rund 640 Kilometern auf dem Zähler für umgerechnet 108.000 Euro verkaufen - deutlich über dem Schätzwert. 2014 gelangen RM Sotheby’s und Bonhams ähnliche Ergebnisse: 221.000 Euro erzielte RM für einen Ferrari Testarossa, dessen Zähler gerade einmal 152 Kilometer anzeigte; ein Aston Martin V8 Vantage Zagato mit 355 glaufenen Kilometern wechselte derweil bei Bonhams für 355.000 Euro den Besitzer. Auch bei Classic Driver fanden sich immer wieder jungfräuliche Exemplare – ein neuwertiger Lamborghini Countach mit nur 116 Meilen auf dem Tacho wurde für eine nicht genannte, aber „außergewöhnlich hohe“ Summer verkauft. Ende dieser Woche kommt schließlich in England der Traum aller Freunde von „Zurück in die Zukunft“ unter den Hammer: Ein nur 24 Meilen gefahrener De Lorean für geschätzte 39.000 Pfund – eine wahre Zeitmaschine. 

Von Langzeitparkern und Sammlern 

Wenn Klassiker mit „delivery mileage” doch angeblich so große Probleme bereiten können, weshalb sind Käufer dann bereit, derart hohe Preise für sie zu bezahlen? James Knight vom Auktionshaus Bonhams – der als Auktionator den V8 Zagato wie auch anderer Autos mit geringem Kilometerstand versteigert hat – findet, dass auch Klassiker natürlich regelmäßig Auslauf brauchen. „Autos sind da ein wenig mit Menschen vergleichbar: Sitzt man zu lange im Lehnsessel herum, werden die Glieder allmählich steif und schmerzen. Auch bei einem Auto müssen die mechanischen Teile immer wieder trainiert und bewegt werden.” Das soll aber nicht heißen, dass Fahrzeuge mit geringem Kilometerstand nicht Höchstpreise erzielen sollten. Ähnlich wie die Originallackierung, die heute ein wichtiges Verkaufsargument geworden ist, können viele Veränderungen nie wieder rückgängig gemacht werden. Also wächst die Nachfrage nach dieser immer kleiner werdenden Zahl an Automobilen im ursprünglichen Zustand. „Wer zum ersten Mal ein Modell mit Sammlerwert sucht, fürchtet vielleicht, dass ihn der niedrige Kilometerstand vom regelmäßigen Genuss des Fahrens abhalten könnte,” sagt Knight. „Wer hingegen bereits fünf, zehn oder zwanzig Sammelstücke besitzt, könnte ein Exemplar mit wenigen Kilometern gerade wegen dieses Time-Warp-Effekts schätzen.”

Ein Geschenk für künftige Generationen

Lucas Hutchings von Image Automotive teilt die Ansichten von Jamie Knight, da er regelmäßig mit Automobilen mit extrem niedriger Kilometerleistung handelt und selbst eines besessen hat. „Ich liebe den Ferrari 360 Challenge Stradale und besitze ein Exemplar mit 2.900 Kilometern auf dem Zähler. Ich genieße das Gefühl, wenn mich beim Öffnen der Tür der Duft neuen Leders empfängt. Die Außenfarbe ist original und ohne Ausbesserungen. Gleichzeitig fand ich es aber auch nicht fair, den Kilometerstand des Ferrari um einige Tausend Kilometer zu erhöhen – dieses Auto sollte in eine Sammlung gehören, um für künftige Generationen bewahrt zu werden. Ideal wäre es natürlich, wenn ich ein ungenutztes Exemplar zum Aufbewahren hätte und ein Schwestermodell, mit dem ich nach Herzenslust fahren und Kilometer sammeln könnte.”

Zeitreise mit Renditepotential

Möglich, dass die Kritiker recht haben: Wenn man plant, seinen Klassiker zu fahren – schließlich wurde er dafür ursprünglich gebaut –, dann sollte man sich für ein gepflegtes und routinemäßig gewartetes Fahrzeug entscheiden, dessen Kilometerstand auch seinem Alter entspricht. Günstiger ist es vermutlich auch. Wenn man ein Auto jedoch als historisches und kostbares Artefakt betrachtet, über dessen Schicksal man wie ein Kurator wacht, dann ist der Kauf eines Klassikers mit geringem Kilometerstand sicherlich eine gewinnbringende Investition. Die Anzahl dieser Fahrzeuge verringert sich schließlich immer mehr, während das Interesse an ihnen stetig steigt. 

Die goldene Mitte

Wer zwischen diesen Optionen hin- und hergerissen ist, sollte sich vielleicht den Jaguar E-Type ansehen, den Bonhams Ende Juni beim Goodwood Festival of Speed versteigern wird: Das Coupé aus der ersten Serie hat 7.500 Meilen auf der Uhr, wurde regelmäßig gewartet und gelagert, aber auch immer wieder gefahren. Es befindet sich in bestem Originalzustand – man betrachte nur die alten Castrol-GTX-Aufkleber – und ist derzeit auf dem Markt eine der schönsten Zeitmaschinen, die man auch ohne schlechtes Gewissen durch die Kurven scheuchen kann.

Photos: David Bush, Artcurial, Bonhams, Historics at Brooklands, RM Sotheby's