Eine Liste, die Lust auf mehr macht: 23 Siege, 44 Podiumsplätze, 70.000 Rennkilometer auf fünf Kontinenten gefahren, 1.400 Arbeitsstunden, die der Restaurierung gewidmet waren. In einem unscheinbaren Lagerhaus im Industriegebiet am Rande Turins residiert eine der weltweit historisch bedeutendsten und am weitesten gefassten Sammlung von ehemaligen Werks-Rallyewagen und Nachkriegs-GT. Sie wurde im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte vom verstorbenen Luigi „Gino“ Macaluso zusammengetragen.
Dank einer neuen Stiftung, die Macalusos Familie zu Ehren des früheren Rallye-Beifahrers und einflussreichen Uhrenherstellers gegründet hat, bereist diese außergewöhnliche Sammlung jetzt die ganze Welt, um Menschen die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung dieser Automobile näher zu bringen – ein Anliegen, das Gino enorm am Herzen lag.
Für meinen Vater waren Autos immer die prägenden kulturellen und künstlerischen Schöpfungen des 20. Jahrhunderts, weswegen wir die Fondazione Gino Macaluso Per L´Auto Storica als Weiterentwicklung dieser Idee ins Leben gerufen haben“, erklärt Macalusos Sohn Stefano, der zehn Jahre an der Seite seines Vaters bei Girard-Perregaux gearbeitet hat. „Für ihn entstanden Autos aus dem Genie der Designer und Ingenieure. Michelangelo schuf in der Renaissance Kunstwerke und Skulpturen, aber mein Vater hielt Alec Issigonis und Giorgetto Giugiaro für ebenbürtig.“
Man muss sich in die sechziger Jahre zurückversetzen, damals, als Macaluso ein begeisterungsfähiger junger Architekturstudent in Turin war, um zu verstehen, weshalb Autos – und ganz wesentlich der Motorsport – seine ausgeprägte Leidenschaft wurden. Inspiriert von Rennlegenden wie Jim Clark und womöglich auch durch die Nachbarschaft von Lancia Reparto Corso, begann Macaluso mit einem Studienkollegen Rallyes zu fahren.
„Der Rallyesport war damals in Italien sehr populär und weil er gute Resultate als Navigator einfuhr, wurde mein Vater 1970 von Fiat als Beifahrer angeheuert, denn das Unternehmen stellte ein Werksteam als Konkurrenz zu Lancia zusammen“, führt Stefano weiter aus. „Als Partner von Pinto Raffaele in einem Fiat 124 Spider gewann er 1972 die renommierte europäische Rallyemeisterschaft.“ Der italienische Rallyetitel zusammen mit Maurizio Verini im Cockpit des von Abarth optimierten Fiat 124 folgte 1974, ehe Macaluso plötzlich dem von ihm befeuerten Team und dem Sport für den er berufen schien, den Rücken kehrte.
Aber er sollte die Skeptiker vom Gegenteil überzeugen. Mit seinem Architekturdiplom in der Tasche, begann er für die Firma seines verstorbenen Großvaters zu arbeiten – die italienische Vertriebsgesellschaft für Omega-Armbanduhren. Diese Aufgabe kam auch Macalusos Gespür für Design und seinem Sinn für Marketing entgegen. Dieser Karrieresprung war ein enormer Erfolg, denn zu seinen größte Leistungen zählte der Sponsoring-Deal mit Tissot-Uhren und dem Lotus Formel 1-Team von Colin Chapman.
Für Macaluso war der nächste logische Schritt, seinen eigenen Uhrenvertrieb in Italien aufzubauen. Eine Überlegung, die er 1982 in die Tat umsetzte und mit berühmten Marken wie Breitling und Blancpain zusammenarbeitete. „Mein Vater hat tatsächlich das Potenzial mechanischer Uhren im italienischen Markt verstanden. Daher war es auch nicht überraschend, dass er 1989 Girard-Perregaux kaufte und zugleich von diesem Zeitpunkt aus persönlichen Anteil am Design und der Vermarktung aller Kollektionen der Marke hatte.“
In den zwanzig Jahren vor seinem plötzlichen und unerwarteten Tod 2010 leitete Macaluso nicht nur die beiden traditionsreichen Manufakturen Girard-Perregaux und Daniel Jean Richard, sondern fungierte auch als Botschafter der gesamten Schweizer Uhrenindustrie. Das galt vor allem im Hinblick auf die Ausbildung der künftigen Generation von Uhrmachern. Auf Grund dieses Engagements erhielt er auch zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen wie beispielsweise die Ernennung zum Vizepräsidenten der italienisch-schweizerischen Handelskammer in Zürich sowie unter anderem der Gaïa-Preis des Musée International d´Horlogerie für Esprit d`Entreprise.
Sie fragen sich, wann denn Autos im Lauf dieser Karriere ein Rolle spielen sollten? Der genaue Zeitpunkt lässt sich sogar benennen. In 1987, als Macaluso eingeladen wurde, dem populären Club Italia für Autos beizutreten, hatte er zugleich eine zündende Idee: Könnte er einige seiner früheren Rallyefahrzeuge aufstöbern? Es war nur so ein flüchtiger Gedanke, bis wie durch ein Wunder in den frühen neunziger Jahren sein ehemaliger Mechaniker das wohl wichtigste Auto aus Macalusos Karriere entdeckte – der Fiat-Abarth X1/9 Prototipo, den er sich mit Clay Reggazzoni in seinem letzten Rennen, dem Giro d´Italia 1974, geteilt hatte.
„Dieses Auto war für meinen Vater sehr bedeutsam, weil er sehr stark in dessen Entwicklung involviert war – man hatte ihn zum Projektmanager gemacht. Sein allerletztes Rennen fuhr er in diesem Auto mit Clay, der damals als Formel 1-Pilot bei Ferrari auf dem Höhepunkt seiner Popularität war.“ Fast exakt 30 Jahre nach diesem letzten Einsatz fand man es in einer Scheune im Nordwesten des Piemont. Es war erheblich modifiziert worden und da es auch im Besitz eines Agrarunternehmers gewesen war, versehen mit einem großen Traktor.
Aber zum Glück hatte ein Rallyewagen-Spezialist ganz in der Nähe die originale Prototyp-Karosserie des X1/9 in seiner Werkstatt aufgehängt. Macaluso kaufte das Auto und diese Karosserieteile und initiierte eine Restaurierung, die zugleich in eine zehnjährige Mission, so viele ehemalige Werksrallyewagen wie nur möglich aus den fünfziger und neunziger Jahren aufzuspüren.
Aus dieser Leidenschaft wurde eine Sammlung geboren, die gespickt ist mit faszinierenden und äußerst wichtigen Rennwagen. Egal ob detailgenau oder unkonventionell restauriert, erzählt jeder dieser Werksveteranen seine ganz eigene, einmalige Geschichte. Macaluso konzentrierte sich zunächst auf seine eigene Rallye-Ära, ehe er sein Interesse weiterschweifen ließ. Seine alten 124 Spider sind hier ebenso zu bestaunen wie Werkswagen von Fiat-Lancia. Daneben reihen sich ein wahre Ikonen wie ein Lancia Stratos in Alitalia-Farben und eine umfassende Sammlung an Lancia Martini Racing-Maschinen, darunter der für uns betörend schöne Beta Montecarlo und die LC1- und LC2-Langstreckenprototypen.
Aber diese Schatzkammer hat noch so viel mehr zu bieten wie zum Beispiel der Renault R5 Turbo, in dem Jean Ragnotti 1981 die Rallye Monte-Carlo gewann, der Toyota Celica GT4 mit dem Carlos Sainz seine erste Meisterschaft sicherte und Timo Mäkinens siegreicher Mini Cooper S, der 1967 das 1000 Lakes-Rennen gewann. Sie kennen sicher die berühmten Fotos, die zeigen, wie Mäkinen auf den Ouininpohja-Bodenwellen wie ein Rodeoreiter gegen ein aufbäumendes Pferd kämpft und zeitweise seine Sicht durch den offenen Motorraum des Mini unmöglich gemacht wird. Dieses Auto befindet sich in der Sammlung!
Und nicht zu vergessen: Das Ligier JS11/15-Formel 1-Auto mit dem Jacques Laffite 1980 den Großen Preis von Deutschland gewann und eine Ansammlung von Nachkriegs-GT, die wie der hinreißende Ferrari 275 GTB, der teuflisch schwarzgoldene Lamborghini Miura und der sinnlich Bizzarrini 5300 GT beim Betrachter weiche Knie erzeugen. „Mein Vater liebte den Motorsport, aber genauso liebte er auch Design und verbrachte Jahre damit, die Gran Turismo zu suchen, denen eine wesentliche Rolle im Autodesign zukommt.“
Die Feststellung, dass klassische Automobile und mechanische Uhren zusammengehören, ist schon fast ein Klischee, wenn man sieht, in welchem Umfang Marken diese beiden Welten mit einander vermählen. Aber bei Gino Macaluso entspricht es schlicht der Wahrheit. Während er Gehäuse, Zifferblätter, Uhrenarmbänder und Werbekampagnen entwickelte und die Ausbildung junger Uhrmacher in einer alten Kunst förderte, restaurierte Macaluso auch alte Rallye- und Straßenwagen, um ihre einmalige Historie für künftige Generationen zu bewahren.
Natürlich spielte diese Sammlung auch eine zentrale Rolle für Gino Macalusos Familie: Dazu gehört seine Ehefrau Monica und die Kinder Stefano, Massimo, Anna und Margherita. Für Stefano sind die bedeutsamen Maschinen sogar so etwas wie Geschwister. „Diese Sammlung erlaubt meiner Familie auf wunderbarer Weise Erlebnisse und Erinnerungen an meinen Vater zu teilen“, betont er nicht ohne Stolz. „Die Idee, sein Engagement mit einer Stiftung weiterführen, stammt von seiner Frau Monica, aber wir alle arbeiten als leidenschaftliches Team gemeinsam an diesem Erbe. Wir möchten so viele Ausstellungen und Events entweder selbst organisieren oder besuchen, um so viele Menschen wie möglich mit diesen kulturell wichtigen und schönen Schöpfungen zusammenzubringen.“
„Zwanzig Jahre lang haben wir bei Girard-Perregaux junge Uhrmacher ausgebildet damit diese handwerkliche Expertise lebendig bleibt. Genau diesen Ansatz verfolgt die Fondazione Gino Macaluso mit jungen Mechanikern in Turin und darüber hinaus.“
Natürlich mussten wir Stefano einfach fragen, ob er unter den Autos dieser grandiosen Sammlung einen persönlichen Favoriten hat. „Eine wirklich heraufordernde Frage – der Bizzarrini ist für mich wahrscheinlich der schönste, aber der Fiat X1/9 Prototipo ist eigentlich mein Favorit, weil er mit einem Wendepunkt im Leben meines Vaters verknüpft ist. Ich werde nie vergessen, dass ich als Navigator in diesem Auto bei der historischen Targa Florio 1990 neben ihm saß. Es ist für mich sehr berührend, mich an diesen Moment zu erinnern.“
Gino Macaluso hat einmal festgehalten: „Ich habe eine besondere Beziehung zu Autos – es ist nicht nur eine Leidenschaft, es ist in meiner DNA, wie in jener meiner Familie.“ Nach einem Tag in der Gesellschaft von Monica, Stefano, Massimo, Anna und Margherita weiß man unschwer, was er mit diesem Satz ausdrücken wollte. Die Fondazione Gino Macaluso Per L´Auto Storica erinnert uns auf einmalige Weise daran, dass Autos immer schon mehr als die Summe ihrer Teile sind. Er wäre auf dieses Projekt seiner Familie unheimlich stolz gewesen.
Text & Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2020