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Alpine A110 Berlinette: Zwischen Himmel und Straße

Auf die Frage „Nenne einen roten Sportwagen“ wäre die Antwort in 9 von 10 Fällen sicherlich „Ferrari“. Erstaunlicher ist es da schon, dass es ein einziges Modell geschafft hat, als Synonym für eine „azur-blaue Rallye-Ikone“ zu stehen. Wir sind ihr begegnet.

Die Alpine A110 liegt so flach auf der Straße wie ein Rochen, der auf dem Gewässergrund nach Schalentieren jagt.

Stellen Sie sich einen sonnig-kalten Herbsttag im November vor. Sie haben erst gestern, am Samstagabend, die Arbeitswoche beendet und sind nach einem guten Glas Rotwein erschöpft vor dem Kamin eingeschlafen. Es ist früh am Morgen und Sie möchten einfach nur für einen Moment dem Alltag entfliehen. Nicht entspannt die Seele baumeln lassen, sondern sich sprichwörtlich die Seele aus dem Leib brüllen.

Kompromisslos dem Alltag entfliehen

Wenn Sie nicht gerade zu den Menschen gehören, die in einem privaten Halbmarathon oder einer spontanen Surfsession in eiskaltem Meerwasser ihren Ausgleich suchen, ist die Alpine A110 der passende Begleiter, um es richtig krachen zu lassen. Die Berlinette gehört zu der Sorte Automobile, die man heutzutage höchstens noch bei Lotus findet: Eine auf das Wesentliche reduzierte Fahrmaschine. Die keine vier Meter lange (3.850 mm) und nicht viel mehr als einen Meter hohe (1.120 mm) Alpine A110 liegt so flach auf der Straße wie ein Rochen, der auf dem Gewässergrund nach Schalentieren jagt. Der prägnante Negativsturz der Hinterräder tut ein Übrigens, um diesen Eindruck noch zu verstärken. Der Einstieg in die Rallye-Ikone ist ganze Arbeit – mit dem Hinterteil voran muss man sich irgendwie in die Sitzschale zwängen und dann noch die Beine in den Fußraum jonglieren. Zwischen den hohen Sitzwangen fühlt man sich wie in einen Schraubstock gespannt.

Es war einmal eine kleine ...

Es ist ihrer sportlichen Vergangenheit und dem vergleichsweise winzigen Vierzylinder zu verdanken, dass die Alpine derart radikal daherkommt. Obwohl der Ursprung der Alpine eigentlich auf die zivile Alpine A108 zurück zu führen ist, die Firmengründer Jean Rédélé 1958 als Cabriolet der Öffentlichkeit präsentierte. Doch schon die A108 war ein Zwerg – und mit unter 600 Kilogramm ein Leichtgewicht. Auch das frühe Design der A108 von Giovanni Michelotti wurde in den Grundzügen nur wenig verändert. Die Alpine A110 war demnach eine Weiterentwicklung der A108, sollte jedoch von Anfang an im Motorsport aktiv sein – Motoren mit mehr Hubraum und eine insgesamt sportlichere Ausstattung waren das Resultat, zumindest bei der Fließheckversion, die als „Berlinette“ bekannt wurde. Denn es gab auch noch ein Cabrio und eine komfortable 2+2-Sitzer-Version.

Der Straße so nah, einfach himmlisch!

Im Zeitraum zwischen 1961 und 1977 entstanden so zahlreiche Alpine A110, die mit den Jahren immer wieder überabreitet wurden und irgenwann den Schriftzug „Renault“ trugen. Unser hier gezeigtes Exemplar von 1971 im Farbton „Bleu alpine métallisé“, später Bleu azur métallisé, ist mit dem von Gordini optimierten 1,3-Liter-Vierzylinder ausgestattet, der laut Werksangaben knapp 90 PS leistet. Bei einem Gewicht von nicht einmal 750 Kilogramm ist der Franzose also keinesfalls untermotorisiert. Und wenn Sie den drehfreudigen Vierzylinder durch die Fahrstufen der vollsynchronisierten 5-Gang-Schaltung bugsieren, dabei der Alpine so nah sind, als wären Sie Teil der Fahrmaschine, befinden Sie sich tatsächlich irgendwo zwischen Himmel und Straße.

Fotos: Jan Richter

Die hier porträtierte Alpine A110 in seltenem, unverbasteltem Zustand steht bei Steenbuck-Automobiles nahe Hamburg zum Verkauf. Das Inserat finden Sie im Classic Driver Markt.