Direkt zum Inhalt

Magazin

Arctic Balloon Adventure: Festgefroren am Pol der Welt

Was die Uhrenindustrie sich nicht alles einfallen lässt: Oldtimerrally durch die Wüste, Bratwürstchengrillen am Marianengraben, Ballonfahrten zum Nordpol. Classic Life-Chef J. Philip Rathgen kommt aus dem Staunen nicht heraus.

Der schwedische Abenteurer und Polarforscher August Salomon Andrées brach im Jahr 1897 zu einer Nordpol-Expedition auf. Die unwirtlichen Weiten der Polarregion wollte der Schwede gemeinsam mit zwei furchtlosen Gefährten in einem Gasballon überwinden. Leider bezahlten sie diesen Wagemut mit ihrem Leben, ohne dabei dem Pol allzu nah gekommen zu sein. Dieses tragische Kapitel schwedischen Pioniergeistes bot nicht die besten Aussichten für meine bevorstehende Jungfernfahrt in einem Heißluftballon am Polarkreis.

Jedes Jahr im Februar treffen sich Ballonfahrer aus aller Welt zum Arctic Balloon Adventure - so etwas wie eine "Meisterschaft" im Heißluftballonfahren. Austragungsort in diesem Jahr war erstmals das etwa 100 Kilometer nördlich vom Polarkreis gelegene Gällivare. Die kleine Stadt im schwedischen Teil Lapplands hat bisher eigentlich nur wegen einer großen Kupfermine und dem schönsten Bahnhofs Schwedens von sich reden gemacht. Geht es allerdings nach den Vorstellungen des örtlichen Tourismuskomitees, soll sich Gällivare dank der unberührten Natur rund um den Berg Dundret zu einer Reisedestination für abenteuersuchende Großstädter entwickeln. Events wie das Ballon-Treffen am Polarkreis sollen ihr Übriges zur Popularität der Region beitragen.

Allein die Anreise in diesen entlegenen Teil Nordeuropas sollte sich bereits als kleines Abenteuer herausstellen. Von Stockholm aus geht es in einer betagten Turbo-Prop-Maschine mit freier Sitzwahl - dennoch werde ich zur besseren Verteilung des Startgewichts in den hinteren Teil des Flugzeuges gebeten - in Richtung Norden. Nach zwei Zwischenstopps setzt der Luftlinienbus endlich auf dem Rollfeld des kleinen Flughafens von Gällivare auf. Auch wenn der Flug gelinde gesagt recht unruhig war, möchte man die warme Kabine nicht verlassen, denn draußen herrscht eisige Kälte. Für einen Mitteleuropäer haben diese Minustemperaturen, die man sich allenfalls beim Ansehen einer Amundsen-Dokumentation mitfühlend vorstellt, einen fast schon surrealen Charakter.

Am nächsten Morgen strahlt die Sonne vom wolkenlosen Himmel über Lappland und das Thermometer zeigt minus 24 Grad. "Perfektes Ballon-Wetter", sagt der erfahrene Pilot Jean Beckers begeistert, während am Ufer eines zugefrorenen Sees die Vorbereitungen für den Start von insgesamt 15 Heißluftballons auf Hochtouren laufen. Der Franzose weiß, wovon er spricht, denn oftmals macht den Piloten das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Bei zu viel Wind, schlechter Sicht oder Regen wird nicht gestartet, da Nässe die dünne Ballonseide beschädigen und somit Auftriebskraft verloren gehen kann.

Aufblasen des Ballons vor dem StartLangsam richtet sich die Ballonhülle auf


Die idyllische Stille der verschneiten Landschaft wird vom Knattern der benzingetriebenen Ventilatoren gestört. Sie haben die Aufgabe, kalte Luft in die zuvor auf dem Boden ausgebreitete Ballonhülle zu pusten. Langsam bläht sich der orangefarbene Riese auf. Nach einigen kurzen Stößen aus den über dem Korb befestigten Doppelgasbrennern richtet sich der Ballon vollständig und in ganzer Pracht auf. Nun muss alles sehr schnell gehen. Während vier Helfer versuchen den zum Himmel strebenden Ballon am Boden zu halten, klettern meine Mitfahrer und ich in den Korb. Kurz darauf gibt Jean Beckers das Zeichen zum Loslassen, und der Ballon hebt ab.

Wir gewinnen schnell an Höhe. Doch plötzlich treibt uns eine Windböe in Richtung einer Gruppe hochgewachsener Tannen, deren Baumkronen sich nun bedrohlich nähern. In Erwartung einer verheerenden Kollision schließe ich meine Augen und kralle mich angesichts des nahenden Unglücks in die lederbespannte Rehling des Korbes. "Entspannen Sie sich", ruft mir unser Pilot Jean Beckers auf Französisch zu, während die Baumwipfel mit lautem Knacken an der Unterseite des Ballonkorbes abbrechen. Auf einmal ist alles ganz still und wir schweben lautlos über die bizarre Schneelandschaft am Fuße des Dundret. Weit und breit ist kein Anzeichen von Zivilisation zu sehen. Erst aus dieser Perspektive bekommt der Begriff "Weite" eine völlig neue Bedeutung.



Das laute explosionsartige Fauchen des Gasbrenners unterbricht für einen kurzen Augenblick die Stille. Jean Becker feuert zwei, drei Salven in die Seidenhülle des Ballons, um an Höhe zu gewinnen. Das Verändern der Höhe ist im Übrigen auch der einzige mittelbare Einfluss, den der Pilot auf die Steuerung hat, denn der Ballon driftet immer mit dem Wind. Er gibt die Richtung vor, in die man fliegt. Doch Ballonfahrer (nur in Deutschland wird der irreführende Terminus des Fahrens verwendet) machen sich den Umstand zunutze, dass üblicherweise in verschiedenen Höhen der Wind aus unterschiedlichen Richtungen bläst: Bewegt man den Ballon sehr tief über dem Boden, weht dort ein anderer Wind als beispielsweise in 1500 Meter Höhe. Kennt der Pilot also die unterschiedlichen Windrichtungen in den jeweiligen Höhenlagen, kann er dadurch den Verlauf der Route beeinflussen.

Schnell gewinnen wir an HöheKleiner Massenstart


Unser an einen Abenteurer aus den fantastischen Geschichten von Jules Verne erinnernder Pilot hat ebenfalls eine ungefähre Vorstellung von unserem Zielpunkt und versucht - buchstäblich mit der Nase im Wind - den richtigen Luftstrom zum Erreichen des Ziels zu finden. Trotz seiner 3000 Flugstunden Erfahrung kann es auch ihm passieren, nicht am angepeilten Ort zu landen: Am ersten Tag des Arctic Adventures zwang ihn ein plötzlich drehender Wind, während des Landeanflugs inmitten des Stadtzentrums von Gällivare zu landen. Das sorgte natürlich für Schlagzeilen in der Lokalpresse.

Während man in rund 500 Meter Höhe entspannt und die Ruhe genießend über dichte Wälder schwebt, kann man sich kaum vorstellen, dass es auch beim Ballonsport einen kompetitiven Aspekt gibt. Regelmäßig messen sich die Piloten in sportlichen Wettkämpfen, ja sogar Weltmeisterschaften werden ausgetragen. In der Disziplin "Fuchsjagd" startet ein Team mit einem Zeitvorsprung und wirft eine Zielmarkierung für die Verfolger ab. Diese müssen dann mit einem Markierungsbeutel möglichst exakt das Ziel treffen. Es wird sich auch darin gemessen, wer die längste Distanz mit einer Gasfüllung zurücklegen kann.

Ballonfahrer Jean Becker an den BrennernUnser Autor mit einer vom Veranstalter verteilten Polarwettermütze


Seit jeher sind Heißluftballone faszinierende Luftgefährte mit einem hohen Aufmerksamkeitsgrad. Dies ist auch der Grund, warum Marken auf den riesigen Seidenflächen mit ihrem Logo werben. Auf dem Ballon von Jean Becker prangt beispielsweise eine überdimensionierte Abbildung einer Armbanduhr. Jean-Marc Jacot, CEO der Schweizer Uhrenmarke Parmigiani, erklärt: "Für uns war es wichtig, in einem Bereich aktiv zu werden, der unserem Anspruch als Luxusmanufaktur gerecht wird. Wir waren auf der Suche nach etwas Speziellem und sind bei den Ballons gelandet." Doch Heißluftballone sind nicht nur schwebende Litfaßsäulen für Konsumgüter, sie können auch durchaus politisch sein. Ein niederländischer Ballonfahrer ist einer von wenigen Piloten, die regelmäßig mit Greenpeace waghalsige Ballon-Aktionen starten. Zum G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm startete der Pilot in einem Ballon, unter dessen Korb ein riesiges Plakat mit der Aufschrift "G-8 - act now!" zu lesen war. Zusätzlich war die Aufschrift mit dem Wort "failed" in voller Breite quer überschrieben. Mit dieser Aktion wollte die Umweltschutzorganisation auf die aus ihrer Sicht unzureichenden Beschlüsse des Gremiums aufmerksam machen. Der vehemente Einsatz eines Polizeihelikopters zwang den Ballonfahrer schließlich zu einer unfreiwilligen Landung.

Mit dem Wind gleiten die Ballons (fast) lautlos durch die LuftSpur eines ungewollten Aufsetzers im Tiefflug


Nach knapp anderthalb Stunden Flug- beziehungsweise Fahrzeit peilt unser Pilot den Landepunkt auf einem zugefrorenen See an. Zum Landen zieht Jean Becker an einer Leine, die ein Ventil an der Kappe - dem "Parachute" - öffnet. Dadurch entweicht die erhitze Luft und der Ballon beginnt zu sinken. Der überraschend schnelle Fall in Richtung Erdboden wird durch zaghaftes Gasgeben abgebremst. "Vor dem Baumstamm am Ufer werden wir stoppen", ruft uns Jean Becker zu, während er konzentriert nach unten starrt. Ich halte dies für einen aufheiternden Scherz, um den Passagieren die Angst vor einer harten Landung zu nehmen. Gemeinsam mit meinen Mitfahrern kauere ich mich in die Tiefen des Korbes. Nach einem harten Aufschlag schlittern wir über das schneebedeckte Eis des Sees. Und tatsächlich: Exakt eine Handbreit vor dem angepeilten Stamm kommt der Korb samt Ballon zum Stehen. Chapeau, Monsieur Becker!

Äußerst glücklich, nicht das Schicksal der Andrées-Expidition teilen zu müssen, lehne ich gemeinsam mit meinen Mitstreitern bei einem Glas Champagner und getrocknetes Rentierfleisch kauend am Korb des Ballons und beobachte die anderen Ballons beim Landeanflug.

Übernahme aus der Welt am Sonntag

Text: J. Philip Rathgen
Fotos: Jean-Philippe Perraguin



ClassicInside - Der Classic Driver Newsletter
Jetzt kostenlos abonnieren!