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Ein weißes Bentley-Cabriolet entrückt uns in die frühen 90er und zu einem andalusischen Hideaway

Reisen Sie mit uns zurück in die Zeit der frühen neunziger Jahre, dorthin, wo uns ein weißes Bentley Continental Convertible und eine malerische andalusische Villa erwarten.

„You Belong to the City“ erklingt leise von einer Kassette, die sich tief im Bauch eines Nakamichi CR7A-Decks verbirgt als Teil des riesenhaften schwarzgoldenen Hi-Fi-Stacks der 7. Serie derselben Marke. Das nostalgische Saxophon, das einem Paar Acoustic Research AR-3-Lautsprecher entlockt wird, verbindet sich mit Vogelgesang und Windgeräuschen, bis es als Klangwolke die hintere Seite der Terrasse erreicht, wo ich stehe und den Blick über den Fluss Genal und den weißen Bentley, der unter meinem Ausblick parkt, schweifen lasse. 

„The sun goes down, the night rolls in, you can feel it starting all over again“ – ich kann Glenn Freys leicht heiser gesungenen Song über die untergehende Sonne und die hereinbrechende Nacht von hier kaum noch hören. Aber dieses viel zu früh verstorbene Rockidol der 90er hat recht. Die Sonne bewegt sich zum Horizont und es wird wohl in einer halben Stunde dunkel sein, wenn sie hinter den Hügeln auf der anderen Seite des Tals verschwindet. Genau hinter dem „Pueblo bianco“ von Gaucin, einem der hübschesten Orte in dieser Gegend. „Verdammt nochmal, Glenn, wie konntest du ahnen, dass mir nach etwas City Cruising zu Mute ist?“ denke ich und zünde eine Zigarette an.

Dieser Ort ist paradiesisch. Ich bin umgeben von 35 Hektar einer sanft hügeligen Landschaft und anscheinend niemand sonst weit und breit. Es ist ein herrlich klarer Spätnachmittag. Ich sehe Pferde und Esel auf den Weiden grasen. Von meiner Anhöhe auf der Terrasse sehen sie wie Insekten aus. Die akkurat gezogenen Reihen der Orangenbäume unterhalb des Gästehauses, das jetzt von einem Landwirt genutzt wird, der alles betreut, stehen direkt vor mir. Ich kann sehen, dass er da ist, weil sein Pick-up zwischen dem Gästehaus-Pool und dem alten Hoftor abgestellt ist. 

Zu meiner Rechten, hinter dem ältesten Lebewesen auf dieser Finca – einem 650 Jahre alten Olivenbaum – befinden sich die Olivenhaine. Es hat heuer nicht besonders viel geregnet, weswegen ich keine gute Ernte erwarte. „In the midnight heat, the traffic roars, the sirens scream, you look at the faces, it´s just like a dream“, mischt sich Glenn kurz in das Rascheln der Palmblätter und das Gebrumm der Hummeln ein, die wohl in den Bougainvillea leben. 

In der Ferne, auf der anderen Flussseite, liegt eine gerade wegen ihrer schieren Dimension noch sichtbare Villa, die in dieser typisch spanisch-maurischen Kombination architektonischer Stile errichtet worden ist. Weiße Wände, Säulen, die Dächer in sandfarbenen Ziegeln gedeckt. Ich entdecke, dass das Anwesen einen großen Pool beherbergt, einen Tennisplatz und der Himmel weiß, welch anderer Luxus sich in ihrem Inneren verbirgt, aber nachts bleiben die Fenster immer dunkel. Über Jahre hinweg hat niemand dieses Haus aufgesucht. Ich finde das traurig und zugleich mysteriös. Ich drehe mich wieder zu dem vergleichsweise bescheidenen Gebäude um, aus dem die Musik tröpfelt. 

Von der Anhöhe des Grundstücks könnte dieser Bau wie ein niedriger und flacher Bunker wirken, dennoch ist er im Vergleich zur traditionellen Bauweise der Region leicht und modern. Die Bauarbeiten konnten endlich vor ein paar Jahren, in 1988, abgeschlossen worden, das früher konzipierte Design stammte allerdings von einem Schüler von Le Corbusier. Ich weiß aber nicht, um wen es sich handelt. Ich trete ins Haus und bewundere, wie dieser Architekt einen Raum mit Licht und perfekten Proportionen gestaltete, aber zugleich gerade so viel Schatten ermöglichte, dass es sich im Inneren nie zu warm anfühlt. 

Ich fand immer die Art interessant, wie er die traditionellen Ziegel, weiß getünchte Wände und unbearbeiteten Sichtbeton mit Glas verband. Das Gesamtkonzept fühlt sich bündig und überzeugend aber auch eklektisch an. Sanfte architektonische Formen wie die halbkugelförmige Dachstruktur kontrastieren mit den perfekt kantigen, modernistischen Elementen wie dem Kamin oder wie begeisternd schlicht  die tiefen und langgezogenen Proportionen eines jeden Raums anmuten. Ich schlendere zur Bibliothek und lege mich auf Le Corbusiers ikonische geschwungene Chaiselongue à réglage continu – wie sie mit vollem Namen heißt – hin. Der Schweizer Meister der Moderne hat sie 1928 entworfen und sie erscheint auch Jahrzehnte später weiterhin kühn und zeitgemäß. Glenn hat in der Zwischenzeit irgendwie an seiner Lautstärke gedreht und singt „You´re still just a face in the crowd“. Es wird Zeit, ihn abzustellen, zuzusperren und zum Auto zu gehen. Ich habe dich klar und deutlich verstanden, Glenn. Wirklich. Auf in die Stadt.

Der Continental ist für mich immer so etwas wie der visuelle, wesentliche Tupfer auf diesem andalusischen Tableau, das ich hier in Worten zu beschreiben suche. Die etwas raue Szenerie des Sierra Crestalina-Nationalparks, die weiche und doch brutalistische Form des Haupthauses und dann dieser geradezu palastartige, weiße und opulente Bentley. Ein Auto übrigens, das sich für die meisten kaum von seinem Schwestermodell Rolls-Royce Corniche unterscheidet, aber weil nur 75 Stück dieser Series Four gebaut wurden, ist der Bentley um so viel begehrenswerter und exklusiver. Deswegen gefällt er mir.

Ich schiebe eine Cameron de la Isla-Kassette in das Bordradiofach (Sie dachten, ich würde mich für Nineties-Megastar Phil Collins entscheiden, oder?), starte und richte den majestätischen Kühler Richtung Auffahrt aus und fahre los nach Marbella. Der 6 „und dreiviertel“-Liter-V8 ist flüsterleise wie sein Rolls-Royce-Pendant, entwickelt aber genug Drehmoment und Power, dass der weiße Riese auf dem Kiesweg der Finca schon bei niedrigen Drehzahlen zu tänzeln beginnt. Er ist auch verwöhnend komfortabel. Gleitend auf einer ähnlichen Hydropneumatik wie bei Citroën, schwebt er über Kuppen, Unebenheiten und den kleinen Schlaglöchern, die durch abfließendes Regenwasser entstanden, dahin wie ein üppiger fliegender Teppich aus feinster Schafwolle, der auf einer Wolke weißer Zuckerwolle reitet.

Leistungsdaten sind hier nicht von Belang, die Lenkung selbst ist so entspannt, fast vage, dass auch ich sofort relaxe und, obwohl die Kraft des Drehmoments mir versichert, „dass wir da unbedingt ankommen werden“, verliere ich mich in meinen Gedanken. Dieser Bentley ist kein Sportwagen. Er ist der letzte einer Spezies, die entwickelt wurde, um einfach nur Komfort zu entfalten. Große Bereifung, weiche Federung, üppige Sitze und Bremsen, die sich schneller erhitzen, als das frenetische Klatschen beim Flamenco-Klassiker „Como el agua“, wenn man bergab nicht die Geschwindigkeit im Auge behält. Dieses Auto ist nämlich sehr schwer. Aber wenn ich in den Kurven Power behalte und mit dem Gas lenke, statt am Lenkrad zu kurbeln, dann offenbart sich dieser Continental als verblüffend agil. Wie das Wasser, dass der Flamenco besingt.

Die blaue Stunde der Dämmerung ist mein Panoramadach, die Luft noch warm von der Glut der Sonne. Der Felsen von Gibraltar ragt aus der Ferne, umgeben vom Dunst, der vom Meer aufsteigt. Ich kann mir noch nicht vorstellen, was dieses neue Jahrzehnt – die 90er – für uns bereithalten wird. Aber jetzt erwartet mich zuerst die Goldene Meile von Marbella!

Fotos: Błażej Żuławski

Die Geschichte, die Sie soeben gelesen haben, entstammt rein der Phantasie des Autors. Wir sind nicht wahnsinnig geworden, noch waren wir in der Lage, eine Zeitreise zu unternehmen.

Die Finca Vega Grande ist allerdings ein höchst reales Haus in der Nähe der Ortschaft Gaucin in Andalusien und wird aktuell zum Verkauf im Classic Driver Markt angeboten.

Das Auto ist ein Bentley Continental IV Convertible von 1994, den uns liebenswürdigerweise Enrique Ramallo und Magna Supercars in Marbella zur Verfügung gestellt haben.