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Reisegeschichte(n): Der Baedeker irrt nie!

Der "Baedeker" gilt als Inbegriff aller Reiseführer. Seit Karl Baedeker 1827 seinen Verlag gründete, setzten seine kompakten Guides mit dem roten Einband über Generationen die Maßstäbe. Antiquarische Exemplare sind heute bibliophile Kostbarkeiten - und ein interessantes Sammelgebiet.

"Könige und Regierungen mögen sich irren, der Baedeker aber irrt nie!" So lautete eine Passage des Librettos aus Jacques Offenbachs Operette "La Vie Parisienne". Tatsächlich galt der "Baedeker", das "Handbuch für Reisende", mindestens bis zur Erfindung des Internets als der berühmteste Reiseführer der Welt. Seine akribischen Beschreibungen und prägnanten Darstellungen, die präzisen Karten und eine bemerkenswerte Detailverliebtheit von der ersten bis zur letzten Seite verhalfen dem handlichen Reiseführer zu Anerkennung, Ruhm und einem beeindruckenden Ruf der Unfehlbarkeit. Mit echtem Entdeckergeist und Forscherdrang machten sich die Redakteure der Baedeker-Mannschaft Mitte des 19. Jahrhunderts auf, die Welt zu erkunden und darüber zu berichten.

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"Die beeindruckendsten Sehenswürdigkeiten, die wichtigsten Museen, die besten Restaurants, Hotels und schönsten Reiserouten. Dazu reichlich Kartenmaterialien, Ansichten und Zeichnungen - das bieten die antiquarischen Reiseführer von Baedeker im Postkartenformat", sagt Priti Shambhu vom Antikzenter-Suarezstraße in Berlin-Charlottenburg. Sie handelt seit vielen Jahren mit den antiquarischen Werken und bietet ständig über 100 Exemplare in zumeist hoher Qualität. "Längst sind die kleinen Kunstwerke zu beliebten Sammlerwerken gereift. Für frühe, gut erhaltene und vollständige Exemplare zahlen Sammler auch schon mal vierstellige Beträge", so Shambhu. Die bibliophilen Werke seien heute bei anspruchsvollen Reisenden und modernen Entdeckern immer noch sehr begehrt.

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Das Reisen zum bloßen Vergnügen ist für das Bürgertum fraglos ein bedeutender Meilenstein der Zivilisation. Dieser besondere Luxus entwickelte sich erst vor rund 200 Jahren. Karl Baedeker, im Jahre 1801 als Sohn einer Buchdrucker- und Verlegerfamilie in Essen geboren, hegte selbst eine Passion des Reisens. Er lernte den Buchhandel, studierte Geisteswissenschaften in Heidelberg und eröffnete 1827 in Koblenz eine eigene Buchhandlung. 1832 wurde Baedeker durch den Kauf des Verlags von Friedrich F. Röhling selbst zum Verleger. Er überarbeitete und verlegte die "Rheinreise - Handbuch für Schnellreisende" aus dem Jahr 1828 neu und begründete so den Baedeker-Reiseführer. Von großer Bedeutung war eine Vertriebs-Partnerschaft mit dem britischen Verleger John Murray jun., der mit seinen "Red Books" Reiseführern bereits einen Namen in Großbritannien hatte.

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Neben einer dritten Auflage der "Rheinreise" erschienen bald die Bände "Belgien", "Holland" und 1842 das als Karl Baedekers angesehene Hauptwerk "Deutschland und der Österreichische Kaiserstaat". 1844 kam erstmals der bis heute bei Sammlern beliebte Reiseführer "Schweiz" auf den Buchmarkt. Zwei Jahre später folgten der typische rote Einband mit Goldprägung und die beliebte Sterne-Klassifizierung. 1855 veröffentlichte Karl Baedeker ein weiteres wichtiges und heute sehr gesuchtes Werk: "Paris und Umgebung". Nach seinem Tod übernahmen die Söhne Ernst und Karl jr. den Verlag. Beide verstarben früh und so lag es am dritten Sohn, Fritz Baedeker, den Verlag fortzuführen. Und das gelang ihm mit großer Fortune. Die Firma siedelte 1872 nach Leipzig um bearbeitete den wachsenden Reisemarkt systematisch: "Schweden und Norwegen" erschien erstmals 1879, vier Jahre später folgte der Band "Russland", zehn Jahre später erschien "Nordamerika" und "Canada" im Jahre 1894. "Spanien und Portugal" indes kam erst 1897 heraus und das beliebte Werk "Mittelmeer" gar erst 1909.

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Exotische Destinationen waren und sind beliebt: "Der Indien-Führer ist sehr gesucht - vor allen Dingen, wenn er vollständig ist und alle Karten beinhaltet", sagt Antiquarin Priti Shambhu. "Das Werk erschien erstmals im Jahre 1914". Als wichtige Ausgabe gilt der Führer "Ägypten" aus dem Jahr 1928 - erstmals wurde darin das Grab der Pharaonen beschrieben. Wir von Classic Driver empfehlen zudem den Reiseführer "London" als Must Have in der Bibliothek des modernen Reisenden - es ist eine wunderbare Hommage an die britische Hauptstadt, mit zahlreichen Beschreibungen, Karten und aus heutiger Sicht skurrilen Momenten, die einen klassischen roten Baedeker ausmachen. Eine Formulierungskostprobe aus der 17. Auflage aus dem Jahre 1912: über die britische Küche! "Die englische Küche hat zwei große Vorzüge: vortreffliches, keineswegs nur halb gebratenes Fleisch, das in allen bessern Häusern zu haben ist, und gute, billige Seeprodukte. Suppen, Gemüse und Mehlspeisen bilden dagegen ihre Schattenseiten." Dem ist bis heute wenig hinzuzufügen.

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Mit den Weltkriegen endete auch die goldene Epoche des luxuriösen Reisens. Die Folge-Generation der Baedekers beschränkte sich daher auf Überarbeitungen und deutsche Regionalführer. Mit der Zunahme des Automobils änderten die Urenkel des Firmengründers die Strategie und konzentrierten sich in Verlags-Kooperationen auf Werke für Autofahrer. Zunächst für Deutschland, dann auch für Europa. Auch hier bestachen die Werke wieder durch ihre Präzision und verlässlichen Beschreibungen. Tatsächlich trugen die sogenannten "Autoführer" zu einer weiteren Demokratisierung des Reisens bei. Ab 1979 folgten dann die bis heute bekannten Baedeker Allianz Reiseführer. Sie knüpften hinsichtlich des Konzepts wieder an die frühen Werke an – allerdings im modernen Offset-Druck produziert. Die Reisebücher sind bis heute beliebt - über 150 verschiedene Titel sind bereits erschienen, viele auch in anderen Sprachen. Das Verlagshaus selbst gehört mittlerweile dem Mairs Geographischen Verlag.

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Die besondere Faszination des "Baedeker" geht heute jedoch eindeutig von den frühen Werken aus. Die handlichen roten Bändchen durchzublättern, ist ein sinnliches Erlebnis - nicht nur für eingeschworene Bücherfreunde. Gute Bezugsquellen für historische Baedeker-Reiseführer sind Antiquariate, Kunsthandel, Auktionshäuser und Auktionsplattformen. Und sollten Sie den Artikel bis hierher gelesen haben und Classic Driver enger verbunden sein, werden Sie sich vielleicht bereits gefragt haben: "Einen Jan Karl Baedeker gibt es doch auch in der Redaktion von Classic Driver. Sollte es da etwa eine Verbindung geben?" Um im Baedekerschen Sinne präzise zu bleiben: Ja, diese Verbindung gibt es. Unser Creative Director und langjähriger Kollege ist Urenkel von Karl Baedeker, dem legendären Gründer der genialen Reiseführer. Er selbst würde das vermutlich nie schreiben. Doch ich muss der Chronistenpflicht genügen. Allzu gerne.

Fotos: Mathias Paulokat