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Classic Concepts: Lamborghini Bravo P114

Auf dem Genfer Salon 1973 hatte Lamborghini den dramatischen Countach enthüllt – und damit die Ära der kantigen Supersport-Keile eröffnet...

Ein Jahr später zeigte Bertone in Turin den passenden „Baby-Countach“ mit acht Zylindern. Der von Marcello Gandini gezeichnete Lamborghini Bravo stand ästhetisch im Geist der Zeit, doch für den Seriengang fehlte in Sant’Agata schlicht das Geld.

Kaum ein Automobildesigner hat die Sportwagenlandschaft der Siebzigerjahre so entscheidend geprägt wie Marcello Gandini. Als Chefdesigner des Stile Bertone – und Nachfolger von Giorgetto Giugiaro, der 1965 zu Ghia wechselte – entwarf Gandini nicht nur zeitgenössische Ikonen wie den Alfa Romeo Montreal oder den Ferrari 308 GT4 „Dino“, sondern auch einen Großteil der damaligen Lamborghini-Kollektion. Sein erster Entwurf als junger Designer für Bertone war der Lamborghini Miura – ein kurvenreicher Jahrhundertwurf! Auf dem Genfer Salon 1971 schockierte er Presse und Publikum dagegen mit einem scharfkantigen Donnerkeil mit Flügeltüren, der alle bekannten automobilen Schönheitsideale ins Gegenteil verkehrte. Zwei Jahre später wurde gleichenorts die erste Serienversion des Lamborghini Countach enthüllt.

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Für Lamborghini war das neue Modell ein großer Image-Gewinn. Doch stilistisch stand die Marke auf einmal zwischen den Stühlen. Die ebenfalls von Gandini für Bertone entworfenen Modelle Jarama, Espada und Urraco hatten zwar die üppigen Karosseriekurven des Miura hinter sich gelassen – doch von den futuristischen Kuben und Kanten des Countach trennten sie dennoch Welten. Ein kleines Pendant zum Countach mit seinem brachialen V12-Triebwerk musste her. Als Basis eignete sich der ebenfalls 1973 in Serie gegangene Lamborghini Urraco, ein 2+2-sitziges Mittelmotor-Coupé mit acht Zylindern. Unter dem Projektnamen „Studio 114“ begann bei Bertone die Entwicklung eines entsprechenden Prototypen. Als technische Grundlage diente die Drei-Liter-Version des Urraco, genannt P300, deren Fahrwerk um 200 Millimeter verkürzt wurde. Neben dem 300 PS starken V8-Mittelmotor aus Aluminium wurden auch Fünfgang-Getriebe und Differenzial aus dem P300 übernommen.

Während die Technik ohne große Modifikationen erhalten blieb, erhielt die Studie 114 eine komplett neue Karosserie, die sich stark an der Formensprache des Countach orientierte. Mit 3,77 Metern Länge, 1,90 Metern Breite und nur 1,05 Metern Höhe fiel der neue Prototyp kompakter aus als der Zwölfzylinder, übernahm allerdings dessen keilförmige Silhouette, die superflache Frontscheibe und zahlreiche Details wie etwa die angeschrägten hinteren Radhäuser. Eine Besonderheit der Studie war die Ausgestaltung der Fensterpartie: Gandini hatte die A-Säulen so geschickt versteckt, dass es schien, als würden die getönten Front- und Seitenscheiben ineinander über gehen. Neu war auch das Feld kleiner, rechteckiger Luftein- und Auslässe, das in der ansonsten glatten Karosserieform für eine starke Akzentuierung sorgte.

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Während das Exterieur durchaus schlüssig erschien, war der spartanisch eingerichtete Inneraum unter der flachen Frontscheibe derart eng ausgefallen, dass großgewachsenen Piloten der Zugang von vorneherein verwert blieb. Dennoch absolvierte der Prototyp nach seiner Premiere auf dem Turiner Salon 1974 mehr als 40.000 Test-Kilometer. Mit einer Beschleunigungszeit von 7,3 Sekunden von Null auf Tempo 100 sowie einer Höchstgeschwindigkeit um 275 km/h war der neue, kleine GT nicht schlecht aufgestellt. In der Tradition der Marke erhielt der Prototyp P114 zudem den Namen „Bravo“ – eine Referenz an ein spanisches Kampfstier-Geschlecht. Den Weg in die Serie fand Gandinis Entwurf dennoch nie: Die Ölkrise hatte den Markt für durstige Sportwagen deutlich verkleinert. Außerdem hatte Ferruccio Lamborghini kurz zuvor das Unternehmen verlassen – und in Sant’Agata Bolognese fehlten schlicht die finanziellen Mittel, um eine neue Modellreihe auf die Straße zu bringen. Nur die gelochten Magnesium-Felgen des Prototypen wurden später für den Countach übernommen. Heute steht der Lamborghini Bravo im Bertone-Museum in Turin.

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Fotos: Rainer Schlegelmilch