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Interview: Jack W. Heuer, Uhrenmensch und Zeitmeister

Jack Heuer, Urenkel des TAGHeuer-Gründers Edouard Heuer

Man könnte sagen, er war ein richtiger Schlawiner – und es nett meinen. War ihm klar geworden, was ihm fehlte, was er wollte, dann steuerte er schnurstracks darauf zu. Heute darf man den 78-jährigen ruhig als Vater des modernen Product-Placements ansehen, als Hollywoodflüsterer und vor allem als brennenden Fan von schnellen Autos, die ihn selbst zur Legende werden ließen: Jack Heuer, Urenkel von Edouard Heuer, dem Firmengründer der Schweizer Uhrenfirma TAG Heuer mit Sitz in La Chaux-de-Fonds.

Es war der legendäre Jack, der Sponsoring bei Motorrennen erfand, professionelle Zeitmessung in den Sport einbrachte und als Erster berühmte Rennfahrer zu sogenannten Testimonials – zu Gesichtern einer Marke – werden ließ. Philip Rathgen wollte mehr wissen und traf den Ehrenpräsidenten des Unternehmens in seinem Büro in der Firmenzentrale: topfit, pfiffig, hellwach. Ein amüsanter Erzähler. Das Gespräch musste dann aber doch schnell gehen, Jack Heuer hatte noch eine Verabredung zum Golfturnier.

Motorsport und TAG Heuer gehören zusammen wie Topf und Deckel, Pech und Schwefel. Wie kam’s?

Ich habe erst vor etwa einem Jahr herausgefunden, was vielleicht der Grund dafür war. Mein Großvater lebte in einer Zeit, in der die ersten Automobile auf den Straßen zu sehen waren. Er war der vierte Besitzer eines Automobils im Kanton Bern. Da zu dieser Zeit die Wagen nicht über Instrumente verfügten, entwickelte er einen Bordchronographen, der die „time of trip“ messen konnte. Dieser Zeitmesser war ein großer Erfolg und die Basis für das Interesse Heuers am Automobil. Zum Rennsport sind wir über die ersten Bergrennen in der Schweiz gekommen, für die Heuer um 1925 die Zeitmessung geliefert hat. Hinzu kam, dass Heuer seit 1870 auf die Herstellung von Chronographen und Handstoppuhren spezialisiert war und man diese zum Messen der Performance von Autos brauchte.

Firmengründer Edouard HeuerDie Trip of Time, von 1911

Aber erst in den 60er-Jahren ging es mit Ihnen und Rennen richtig los.

Auch das haben wir unseren Borduhren zu verdanken. Ich habe seinerzeit unser Amerika-Geschäft aufgebaut und diese Uhren brachten den Durchbruch dort. In den 60er-Jahren waren sogenannte Rallyes, die damals vom „Sports Car Club of America“ (SCCA) organisiert wurden, sehr populär. Als Sportscars galten aus Europa importierte Autos, wie Mercedes oder eine Citroën DS. Die Mitglieder der SCCA waren meist recht wohlhabende Leute, die ihre Autos persönlich abholten, um dann eine Tour durch Europa zu unternehmen, bevor es samt Karosse per Schiff zurück in die USA ging. Dieses elitäre Publikum kannte unsere Borduhren, weil sie diese bei den Rallyes verwendeten. So kamen wir dazu, dass wir offizieller Zeitnehmer des Zwölfstundenrennens in Sebring wurden. Bei diesem Race starteten professionelle Fahrer wie die Gebrüder Rodriguez, aber auch sogenannte Gentlemen Driver wie Paul Newman. Ich habe dann erkannt, dass die Formel 1 noch eine Kategorie höher war; noch schicker und eleganter.

Und es war schwieriger, dort mitzumischen, oder etwa nicht?

Den Anfang machte Jo Siffert, der neben seinem Engagement als Rennfahrer in der Schweiz Porsche verkaufte. Ich kaufte von ihm einen Wagen und wir haben einen Vertrag geschlossen: Von nun an trug er einen Heuer-Aufnäher auf seinem Rennanzug. Er war unser erster Markenbotschafter in der Formel 1. Durch den Rennfahrer Clay Regazzoni sollte dann ein weiterer Durchbruch kommen. Mitte der 60er-Jahre übernahmen wir den Werk-Hersteller Leonidas in Saint-Imier und wurden so zum weltweit größten Hersteller von Stoppuhren. Unser Nachbar dort war die Uhrenmarke Longines. In Saint-Imier hat es nur ein anständiges Restaurant an der Hauptstraße gegeben, wo sich alle Uhrenleute des Ortes trafen. Eines Tages haben meine Leute gesehen, dass sich Clay Regazzoni mit Mitarbeitern von Longines zum Essen traf. Das hat mich irritiert, und ich wollte herausfinden, wie es dazu kam. Der damalige Rennleiter von Ferrari war der Baseler Peter Schetty, den kannte ich aus meinem Skiclub. Ich rief ihn also an und fragte, was der Regazzoni bei Longines zu suchen hatte. Schetty wusste, dass Enzo Ferrari den Franzosen nicht traute und er deshalb nach einer eigenen Zeitmessanlage für das Rennen von Le Mans suchte.

Jack Heuer im Gespräch mit Rennfahrer Ronny PetersonZeitmessung für die Scuderia Ferrari

Da ging Ihnen ein Licht auf!

Klar, ich habe Schetty gesagt, Regazzoni könne doch zu uns kommen. Ich hätte gute Leute, die so etwas auch bauen könnten. Er war so freundlich, den Rennfahrer dann zu uns zu schicken. Wir sprachen mit ihm und kurz darauf fuhren mein Chefingenieur und sein Assistent, beide sprachen nämlich fließend Italienisch, also nach Maranello, um herauszufinden, was der Ferrari wollte. Danach haben wir dann den „Centigraph Le Mans“ entwickelt und er wurde von der „Scuderia Ferrari“ abgenommen.

Das erklärt aber noch nicht, weshalb Ihr Logo fortan auf allen Ferrari-Rennwagen zu sehen war.

Enzo Ferrari wollte nicht für den Centigraph bezahlen und da haben wir ausgehandelt, dass dafür unser Logo eine Zeit lang auf den Ferrari-Rennwagen kleben sollte. Das wurde vertraglich festgehalten. Auch die Fahrer der „Scuderia“ trugen nun das Heuer-Patch auf ihren Uniformen, doch das mussten wir extra bezahlen. Es war unglaublich, wie der Bekanntheitsgrad von Heuer in diesen neun Jahren anstieg. Dieses Engagement hat die Marke vom anerkannten Uhrenspezialisten zu einem schicken Lifestyleunternehmen aufgewertet.

Enzo Ferrari galt als nicht besonders umgänglich.

Das Treffen mit ihm war für mich ein Erlebnis, das ich niemals vergessen werde. Gemeinsam mit seinem Sohn Piero betrat ich sein halb verdunkeltes Büro. An der Wand hing ein Bild seines verstorbenen Sohnes Dino, angestrahlt von einer Lampe aus Muranoglas. Dino war im selben Jahr wie ich geboren und vielleicht hat dieser Umstand dazu beigetragen, dass wir uns eigentlich sympathisch waren. Wir sprachen über den vorverhandelten Vertrag und haben Punkte, wie die direkte Bezahlung der Rennfahrer, hinzugefügt. Nach der Unterzeichnung sind wir gemeinsam in das Restaurant „Cavallino“ zum Essen gegangen. Natürlich gab es auch eine Flasche Lambrusco, und auf einmal wurde Enzo Ferrari ganz fröhlich und lustig und erzählte die schaurigsten Witze. Insgesamt habe ich ihn viermal getroffen.

Die legendäre goldene Carrera für die Ferrari-RennfahrerDie Microsplit HL 812, 1972

Die Rennfahrer haben nicht nur Geld bekommen, sondern jeder auch eine persönliche Uhr.

Nach den Rennen zogen die Fahrer ja ihre Logo-bestickten Hemden und Rennanzüge aus, doch wir wollten, dass sie auch in ihrer Freizeit unseren Namen trugen. Deswegen schenkten wir ihnen eine Uhr. Da Rennfahrer aber zu der Zeit oft die Dinge, die man ihnen schenkte, verkauften, mussten wir einen Weg finden, zu verhindern, dass sie auch unsere weggaben. Deshalb haben wir den Namen und die Blutgruppe der Fahrer in die Golduhren eingraviert. Wir suchen im Übrigen händeringend eine dieser Uhren für unser Museum, aber die Fahrer wollen sie einfach nicht hergeben.

Weshalb die Gravur der Blutgruppe?

Vergessen Sie nicht, dass man als Rennfahrer zu dieser Zeit mit einem Fuß im Grab stand. Der Niki Lauda ist ein gutes Beispiel. Wir haben Siffert, Ronnie Peterson und Senna verloren. Clay Regazzoni war am Ende querschnittsgelähmt. Diese Schicksale waren sehr traurig und oft dramatisch. Wir haben uns damals gedacht, vielleicht hilft es in einem kritischen Moment, dass man wenigstens gleich die Blutgruppe kennt.

Jack Heuer mit Enz FerrariNiki Lauda und Clay Regazzoni zu besuch bei Jack Heuer

Wie war Ihr persönliches Verhältnis zu diesen Rennlegenden?

Das kam ganz drauf an, denn die Rennfahrer damals waren sehr unterschiedliche Charaktere. Ich habe ein besonders gutes Verhältnis zu Jo Siffert gehabt und interessanterweise auch zu Jacky Ickx. Mit Ronnie Peterson und Niki Lauda habe ich mich auch recht gut verstanden, wohingegen es mit anderen praktisch hoffnungslos war.

Und Schauspieler Steve McQueen? Im Rennepos „Le Mans“ trägt er ja ebenfalls einen Heuer-Overall und eine Heuer-Uhr, die „Monaco“.

In meiner USA-Zeit lernte ich den „Property Master“ Don Nunley kennen. Er war derjenige, der für Filme die Requisiten besorgte, und ich versorgte ihn mit Armbanduhren. So kam es dazu, dass beispielsweise Jack Lemon und andere Stars unsere Uhren in Filmen trugen. Eines Tages rief mich Don an und sagte mir, dass er für den Film „Le Mans“ engagiert worden sei und nun viel mehr Ware benötige als nur ein paar Chronographen, also Taschenchronographen, Zeitmessbretter und Stoppuhren. Mir blieben nur zwei Wochen Zeit, die geforderten Dinge zum Drehstart nach Le Mans zu schaffen. Darunter waren eben auch zwei Heuer „Monacos“, die dann Steve McQueen trug. Für den Film musste McQueen lernen, mit dem originalen Rennporsche der damaligen Zeit zu fahren. Die Rennfahrer Derek Bell und Jo Siffert sollten es ihm beibringen. Von Anfang an haben sich Siffert und McQueen gut verstanden und als der Regisseur McQueen fragte, welchen Rennanzug er nun tragen wolle, antwortete McQueen: „Ich will aussehen wie Jo Siffert!“ Also gab Jo seinen ab und das Heuer-Logo war nun auch noch im Film zusehen.

Heute würde das ein Vermögen kosten…

(lacht) Es war damals geradezu chic im Rennsport, das Heuer-Logo zu tragen. Es gibt ein Foto mit Paul Newman und einem Heuer-Logo auf seinem Overall, dafür haben wir nicht einen Rappen gezahlt.

Das Interview mit Jack Heuer ist eine Übernahme aus der ICON Sport, der Beilage der Welt am Sonntag.

Interview: J. Philip Rathgen




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