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Best of Geneva 2012: Perlentauchen in ruhiger See

Alles echt? In diesem Jahr gibt sich die Branche auf dem Genfer Salon überraschend realitätsnah – statt spektakulärer Visionen gibt es viele konkrete Neuheiten mit Serien-Segen. Wir präsentieren unsere persönlichen Best of Show.


Eigentlich ist der Genfer Salon die Waldorfschule unter den Automessen. Hier dürfen Designer ihrer Kreativität endlich freien Lauf lassen. Bionische Experimente, Karosserie gewordene Pixelstürme, knallig lackierte Hüftschwünge aus Aluminium und Carbon – beim Salon de l’Auto war immer etwas mehr Phantasie erlaubt als bei den seriösen Business-Schauen in Franfurt und Detroit. Doch anders in diesem Jahr: Statt eines entschuldigenden Lächelns erhält man auf die Frage nach Marktstart und Preis meist eine überraschend konkrete Antwort. In Zeiten der Krise müssen eben auch die Wunderkinder des Automobildesigns auf ihre Verkaufszahlen achten – und so sind selbst die wenigen Showcars und One-Offs nicht bloß Art pour l’Art, sondern sachlich durchkalkulierte Projekte. Wir waren zum Perlentauchen am Genfer See – im Folgenden lesen Sie, was uns in diesem Jahr besonders überrascht oder begeistert hat.


Touring Superleggera Disco Volante

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Wenn selbst alten Messehasen bei einer Enthüllung der Mund offen steht, muss es sich um eine ganz besondere Premiere handeln: Eingeklemmt zwischen den Monsterständen des VW-Imperiums hatte die Mailänder Carrozzeria Touring sich auf wenigen Quadratmetern eingerichtet, um das neueste Exemplar ihrer traditionsreichen Karosseriebaukunst zu präsentieren. Zum 60. Geburtstag des grandiosen Alfa Romeo C52 Disco Volante enthüllte Designchef Louis de Fabribeckers eine Neuinterpretation der „Fliegenden Untertasse“, die trotz zahlreicher Stilzitate kein Retro-Kitsch ist, sondern eines der spektakulärsten und eigenwilligsten Sportcoupés der vergangenen Jahre. Entstanden ist die neue Disco Volante auf Basis des Alfa 8C – und mit tatkräftiger wie finanzieller Unterstützung eines Bewunderers des prägnanten Originals. Ende des Jahres soll ein fahrbarerer Prototyp auf den Rädern stehen, eine Kleinserie soll folgen.

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Giugiaro Brivido Martini Racing

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Es gibt bestimmte Schlüsselreize, denen können sich echte Classic Driver nicht entziehen: Die Rennsport-Lackierungen von Gulf (Hellblau-Orange), Jägermeister (Orange-Schwarz) und Martini (Hellblau-Dunkelblau-Rot-Weiß) sind solche tief im kollektiven Gedächtnis verankerten Signale – und so verwundert es wahrscheinlich nicht, dass wir uns nicht das leuchtend rot lackierte Giugiaro Brivido Concept herausgesucht haben, sondern den rennsportlichen Konzept-Zwilling im Martini-Livree. Die technische Basis – eine so schnelle wie sparsame V6-Hybrid-Kombination - stammt von VW, doch die Serienchancen stehen leider schlecht. Als eingespielte Werberezipienten werden wir die Enttäuschungstränen mit einem Dry Martini trocknen.
 

Ferrari F12berlinetta

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Trotz halbstündiger Verspätung war die Premiere des neuesten Ferrari-GT der große Publikumsmagnet des diesjährigen Salons. Mit 740 PS (!) soll der Zwölfzylinder in 3,1 Sekunden auf Tempo 100 und weiter bis über 340 km/h beschleunigen, die Hausstrecke in Fiorano hat er schneller bezwungen als je ein Ferrari zuvor. Ein Leistungsfeuerwerk, das nicht nur die Ingenieure aus Maranello möglich gemacht haben, sondern auch das Design-Department unter der Leitung von Flavio Manzoni, das den GT zu seiner funktionalen und aerodynamischen Perfektion gebracht hat. Mit dem F12 verabschiedet sich Ferrari zudem von dem mitunter etwas verschachtelten Look von 458 Italia und California, um wieder dem ästhetischen Ideal des cleanen, eleganten, skulpturalen Supersportwagens gerecht zu werden. Enzo wäre stolz gewesen.

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Lamborghini Aventador J

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In Zeiten modell- und markenübergreifender Design-Gleichschaltung ist es erfrischend, wie stark sich Lamborghini formal nicht nur vom Erzrivalen aus Maranello, sondern auch dem gesamten Supercar-Kosmos absetzt. Hierzu tragen auch die immer wieder beeindruckenden One-Offs bei, die in Sant’Agata unter hohem Zeit- und Leistungsdruck entwickelt werden – und nach dem Defilée auch immer einen Käufer finden, der bereit ist, den Gegenwert einer kleinen Ölquelle auf den Tisch zu legen. Statt des zunächst erwarteten SUVs (die Premiere wurde auf Peking verschoben) verblüfft auf dem Stand der Italiener eine gechoppte Barchetta-Variation des brachialen Aventador – das puristische Spielzeug im Rotwein-Lackton verzichtet auf Klimaanlage, Navigation und auch weitgehend auch auf eine Frontscheibe – jenseits der 300 km/h empfielt sich deshalb ein Helm gegen Wind und Wüstensand. Für 2,1 Millionen Euro plus Steuern wurde der Neo-Jota bereits verkauft. Eine Serienproduktion scheint ausgeschlossen.

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Ruf RT-35

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Alpina, Brabus, Ruf – die deutschen Traditions-Tuner rücken ins Zentrum der automobilen Gesellschaft. Grund für die Verbürgerlichung ist sicherlich, dass die Rotlicht-Karossen von einst heute als veritable Zeitzeugen und seltene Klassiker gehandelt werden. So auch der Ruf Turbo 3.3 von 1977, über dessen Großflächen-Spoiler und Karo-Bezüge man vor wenigen Jahren wohl noch die Nase gerümpft hätte. Heute ist der 303 PS starke Vintage-Turbo Kult – und Vorbild einer Neuinterpretation auf Basis des jüngsten Porsche 911, der mit Bombenkrater-Lufteinlässen, tannengrüner Metallic-Lackierung und Retro-Interior tatsächlich äußerst heiß aussieht.
 

Range Rover Evoque Convertible

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Der wohl bekannteste offene Land Rover schaukelte in Daktari durch die Savanne – doch in den letzten Jahren hat man sich nicht so recht um eine Neuauflage des Frischluft-Geländewagens bemüht. Warum eigentlich nicht? Die Cabriolet-Studie auf Basis des Range Rover Evoque ist derart gelungen, dass man sie eigentlich schon viel früher hätte erfinden müssen. Wahrscheinlich wird man den Open-Air-Evoque – sollte er denn gebaut werden – eher am Cap d’Antibes oder in Miami Beach als im afrikanischen Busch sichten, doch der Flair ist der gleiche: Man thront über den Dingen, lässt sich die Sonne auf die Mütze brennen, sieht alles und wird von allen gesehen.

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Bentley EXP 9 F

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Dirk van Braekel ist ein mutiger Mann. Dem Bentley-Designchef ist mit seiner Interpretation schließlich der große Polarisator des Genfer Salons gelungen. Nach den gefälligen Continental- und Mulsanne-Glanzstücken musste der Geländeschocker wohl einfach sein. Doch während man sich über seltsame Proportionen (Range Rover Sport trifft Papamobil) und überzeichnete Details (Die Felgen zur Frontzahn-Vergoldung) ereifert, beschleicht einen jedoch das ungute Gefühl, einfach zu konservativ, zu konformistisch, nicht weltoffen zu denken. Vielleicht wird man in 20 Jahren Lobeshymnen über dieses Experimental Car lesen, das seiner Zeit derart voraus war und von der retrofixierten Euro-Journaille geschmäht wurde. Mag sein, dass man als Saudischer Prinz oder asiatischer Senkrechtstarter geboren sein muss, um Kolosse wie das Lagonda-SUV oder den Bentley EXP 9 F zu verstehen. Wir sind gespannt, was Lamborghini in Peking dagegensetzt.

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BWM M6

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Manchmal hilft es, die Heimat zu verlassen und von außen zu betrachten, um sie besser zu verstehen. Gleiches gilt wohl auch für heimische Automobile. Bestes Beispiel der BMW M6 und seine Ahnen: In unseren Gefilden vor allem bei Kiezgrößen und Wohlstandsrentnern beliebt, gilt er etwa in den USA als super-seriöses Prunkstück of German Engineering. Auch die Neuauflage des bayerischen Muscle Cars wirkt auf der neutralen schweizer Schaubühne so technokratisch-zivilisiert und gleichzeitig unterschwellig potent, dass man alle Vorurteile sofort vergessen muss und nach dem Zundschlüssel bettelt.

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Aston Martin V12 Zagato

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Zugegeben: Wir haben Marek Reichmans Neuinterpretation des unangetasteten Aston Martin DB4GT Zagato bereits beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2011 gepriesen – doch wenn die großen Ikonen des Automobildesigns neu aufgelegt werden, ist uns natürlich auch die Serienversion einen Podiums-Platz wert. Aus dem sonst sehr homogenen Markenlook sticht der Zagato mit seinem markanten Hüftschwung, dem Double-Bubble-Roof und den markigen Heckleuchten positiv hervor. Ein Grund zur Freude ist sicherlich auch, dass der Manufaktur-Sportwagen aus Gaydon nicht nur käuflich zu erwerben ist, sondern mit 330.000 Pfund plus Steuern auch vergleichsweise bezahlbar bleibt – pro Mannstunde Arbeit, die in dem rasanten Kunstwerk steckt, legt man nämlich gerade einmal 165 Pfund auf den Tisch. Dafür würde Damien Hirst nicht einmal seinen Pinsel anfeuchten.

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Porsche Boxster

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Mit dem Porsche Boxster ist es wie mit der Bild-Zeitung – er verkauft sich blendend, aber keiner will es gewesen sein. Dabei kann man nur gebetsmühlenartig wiederholen: Der 911 mag die große Ikone sein, aber auf kurvigen Bergstrecken oder engen Stadtkursen ist der Mittelmotor-Roadster das bessere Auto. Die neueste Generation werden wir erst in den kommenden Tagen ausprobieren – das Ergebnis können wir aber schon jetzt aus dem Genfer Kaffeesatz lesen: Schneller, leichter, sparsamer, fahrspaßiger. Warum kann es nicht immer so einfach sein?

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Fotos: Nanette Schärf / Jan Baedeker