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IAA 2009: Elektromarkt der Eitelkeiten

Die Frage nach der Mobilität von morgen wird auf der IAA 2009 mit verführerisch vernünftigen, aber wenig konkreten Elektro-Showcars beantwortet. Seriennah setzen die europäischen Premium-Hersteller derweil weiterhin auf den gewohnten Mix aus brachialen PS-Projekten und reumütigem Tröpfchensparen. Der Abschied vom Benzin wird wohl noch eine Weile dauern.

Die vielleicht ehrlichste Demonstration der Zerrissenheit, die viele Hersteller momentan verspüren, findet man auf dem Messestand der Bottropper Benz-Bearbeiter Brabus. Hier wurden die beiden Magnetpole des Modellprogramms – eine pechschwarze, 800 PS starke E-Klasse-Züchtung und ein zitronengelber Elektro-Smart – bewusst nebeneinander gestellt, während viele der großen Hersteller immernoch versuchen, die Widersprüche innerhalb ihrer Modellpolitik durch räumliche Trennung herunter zu spielen. Zum Spagat zwischen Leistung und Vernunft kommt die ungeklärte Frage nach alternativen Antrieben, die nicht nur im Vergleich zum Benziner, sondern auch in einer ehrlich gerechneten Klimabilanz nachhaltige Ergebnisse versprechen. Doch immer der Reihe nach.

Mercedes-Benz und Smart

IAA 2009: Elektromarkt der Eitelkeiten IAA 2009: Elektromarkt der Eitelkeiten

Beginnen wir unseren Rundgang über die 63. IAA in Frankfurt, die noch bis zum 27. September die neuesten Trends und Produkte der schwer gebeutelten Automobilindustrie präsentiert, in Halle 2 bei Daimler. Die Stuttgarter geben sich, wie übrigens die meisten Hersteller, als Vorreiter eines grünen Kurswechsels, der mit einer Elektro-Studie im A-Klasse Format, die mit einem kleinen Benzin-Hilfsmotor bis zu 600 Kilometer zurücklegen soll, sowie einem Plugin-Hybrid auf S-Klasse-Basis unterstrichen wird. Der eigentliche Star unter dem großen Stern, das Flügeltürer-Remake SLS, ist derweil nur mit 571 PS starkem V8-Benziner zu haben. Eine Elektrovariante soll folgen, allerdings nur als „Öko-Botschafter“ an Unternehmen ausgeliehen werden. Größere Chancen auf einen tatsächliche Markteinführung hat der E-Smart, der momentan noch im Testlauf durch die europäischen Trendmetropolen flitzt. Doch momentan fehlt nicht nur die Infrastruktur zur flächendeckenden Stromversorgung, auch die Lithium-Ionen-Akkus sind noch weit von einer zufriedenstellenden Energieversorgung entfernt. Ob Elektromobilität im Jahr 2020 eine ernstzunehmende Rolle spielen wird oder erst 2030, hängt vor allem vom Zusammenspiel der Industrien ab, aber auch vom Druck der Politik und der Kaufbereitschaft der Konsumenten. Dass derartige Einschätzungen mittlerweile offen ausgesprochen werden, ist einer der Unterschiede zur IAA 2007, die sich damals als „grünste Messe aller Zeiten“ verkauft hatte.

Porsche, Aston Martin, Jaguar, Tesla

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Weiter geht es in Halle 5, wo sich die mittelgroßen Marken versammeln. Als größter Player präsentiert sich Porsche, der sich bei der nächsten IAA im Jahr 2011 wohl unter dem Volkswagen- oder Auto-Union-Dach einreihen muss. Allein in der Elfer-Palette gibt es mit Turbo Coupé und Cabrio, GT3RS, GT3 Cup und 911 Sport Classic fünf Neuheiten zu verkünden, die Presse scharte sich allerdings weiterhin um den neuen Panamera, der im Anschluss an die Messe zu den Händlern rollt. Wenige Schritte entfernt zeigt Aston Martin auf deutlich verkleinertem Stand den vielleicht interessantesten Gegenentwurf zum Panamera: Mit vier Türen, vier Sitzen und 477 PS drängt der neue Aston Martin Rapide ebenfalls ins Segment der familienfreundlichen Sportwagen; im Gegensatz zum geräumigen Porsche sind die Fondsitze des Briten auf längeren Strecken wirklich nur für Kinder (oder Windhunde, wie sie Aston zielgruppengerecht zur Premiere einfahren ließ) zu empfehlen. Englische Eigenständigkeit präsentieren hier auch Lotus, Land Rover und Jaguar, letztere mit dem neuen Limousinenmodell XJ, das in der Tat ziemlich gewaltig ausfällt. Erstmals auf der IAA präsentiert sich in direkter Nachbarschaft auch Tesla und zeigt ein 1:1-Modell der Elektro-Limousine Model S, bis zu deren Serienstart wohl noch einige Jahre ins Land ziehen werden.

Ferrari, Maserati, Fiat, Abarth

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Bei den Italienern in Halle 6 haben vor allem die schönen Fiat-Töchter Ferrari und Maserati Grund zur Zuversicht: Mit dem Ferrari 458 präsentiert sich Maranello so innovativ wie angriffslustig; vor allem das Cockpit des Sportwagens gehört zu den Highlights der Messe. Nach Verbrauchszahlen sollte man die italienischen Pressesprecher allerdings nicht fragen. Maserati zeigt derweil das neue GranCabrio, das die Marke im kommenden Jahr über Wasser halten soll. Im Gegensatz zum Ferrari California ist der offene GranTurismo als großzügiger Cruiser positioniert, der sich im Segment von BMW M6 Cabrio und Mercedes SL AMG vor allem durch seine elegante Linie absetzen wird. Fiat selbst spielt weiterhin den 500 als Trumpf; das Ass im Blatt der italienischen Stadtflitzer ist sicherlich die knallrote Abarth-Ferrari-Version, die neben den langbeinigen Italo-Hostessen wirkt wie ein überdimensioniertes Bobby-Car für Mini-Schumis.

Volkswagen

Gegenüber in Halle 3 hat sich der Volkswagen Konzern als selbsternannter Sieger der Krise eine strahlende Ruhmeshalle gebaut. Das Portfolio, so die Nachricht, steht durch seine Vielfalt besser da als die marktpolitisch eingeschränkte Konkurrenz. VW-Vorstand Winterkorn ist klar auf Expansionskurs, die Übernahme von Porsche war nur ein Schritt in Richtung Weltspitze, die momentan noch von Toyota besetzt wird. Dabei hat „Wiko“, wie der Piëch-Nachfolger in Wolfsburg genannt wird, durchaus erkannt, dass die Kunden heute nach Verbrauchs- und Emissionszahlen schauen und weniger auf PS und Zylinder. Bei VW wird diese Erkenntnis durch zwei prestigeträchtige, aber eben nicht mehr ganz neue Projekte unterstrichen: Den kleinen E-Up mit Elektroantrieb und das Ein-Liter-Auto L1, dessen Vorstufe bereits vor sieben Jahren von Ferdinand Piëch höchstselbst auf Erprobungsfahrt gesteuert wurde. Mit Segelflieger-Design und Mini-Hybrid sollen tatsächlich nur 1,38 Liter Diesel auf 100 Kilometer verbrannt werden. Die Serienproduktion ist – man ahnt es bereits – noch nicht einmal grob terminiert.

Audi

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Beim Konzernprimus Audi hat sich derweil die Kursrichtung geändert: Standen die Ingolstädter vor wenigen Wochen noch fest hinter ihrer Diesel-Politik, wird nun der Vollelektro-Antrieb als Heilsbringer propagiert. Die ingenieurstechnische Fingerübung Audi e-tron, eine Leichtbau-Variante des R8 mit vier Elektromotoren und 313 PS, verspricht Sportwagen-Performance und Alltagstauglichkeit, wird aber allenfalls als Kleinstserie erscheinen. Ein neues Förderprojekt soll derweil die Möglichkeiten der elektrischen Mobilität erkunden und ganzheitliche Lösungen suchen. Die Wartezeit bis zur Weltverbesserung verkürzt wahlweise der neue Audi R8 Spyder, der ausschließlich mit dem großen 5,2-Liter-V10-Motor geliefert wird, oder der neue Audi S5 Sportback mit 333 PS starkem V6-Kompressor, dessen Durchschnittsverbrauch in der Pressemeldung mit „mageren“ 9,7 Litern angegeben wird.

Lamborghini, Bentley, Bugatti

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Während am Stand von Lamborghini außer dem charmanten Balboni-Gallardo und einem scharfkantigen Blankoscheck in Form des 1,3-Millionen-Roadsters Reventón keine technischen Neuheiten enthüllt wurden, gab es bei der Konzernschwester Bentley durchaus Grund zur Hoffnung: Der neue Bentley Mulsanne wurde nach dem Debüt in Pebble Beach erstmals der Presse vorgeführt. Tatsächlich fällt die Limousine trotz ihrer stilistischen Nähe zur Continental-Reihe noch einmal deutlich gewaltiger aus als der Vorgänger Azure. Im Sommer 2010 soll das neue Modell auf den Markt kommen. Ob das neue Design und die opulente Ausstattung das derzeitige Absatztief beenden können, wird sich zeigen. Vorsichtig gab sich auch Bugatti: Trotz des 100. Markengeburtstags waren die Molsheimer nicht auf der Messe vertreten. Stattdessen war im Vorfeld der Messe im kleinen Kreis die Viertürer-Studie W16 Galibier präsentiert worden, die in den kommenden Monaten potenziellen Kunden präsentiert werden soll, um über die endgültige Form und Realisierung zu entscheiden. Ohne verbindliche Bestellungen könnte der Prototyp aber auch in den Schubladen verschwinden

BMW, Mini, Rolls-Royce

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Ziemlich ab vom Schuss präsentierte BMW in Halle 11 seine Modellpalette. Größter Hingucker war sicherlich die Diesel-Hybrid-Studie BMW Vision EficcientDynamics, die bei minimalem Verbrauch brachiale Leistung verspricht, über die schöne Vision hinaus aber leider kaum handfeste Lösungsansätze für den Massenmarkt bereit hält. Für den BMW X6 und den BWM 7er nehmen die Bayern dagegen zwei serienfertige Hybridantriebe ins Programm, deren Serienstart BMW allerdings noch teuer bezahlt. Mit Interesse wurde auch der neue BMW 5er GT inspiziert, der sich ab Herbst auf dem Markt beweisen muss. Während Mini sich zum Markenjubiläum mit zwei Spaß-Konzepten gewohnt jugendlich und sorgenfrei präsentierte, ging es gegenüber bei Rolls-Royce äußerst distinguiert zur Sache: Der neue Rolls-Royce Ghost feiert auf der IAA seine Publikumspremiere. Ob die Kunden der britischen Luxusmarke den Neuling genauso begeistert aufnehmen werden wie den Phantom, oder ob die Rezession auch in den oberen Gesellschaftsschichten als Kaufbremse wirkt, ist allerdings fraglich. So beendet man den Messerundgang mit einem Gefühl zwischen Skepsis, verhaltenem Optimismus und der Hoffnung, dass spätestens bei der nächsten IAA im Jahr 2011 nun wirklich die Zukunft beginnt.

Alle Neuheiten von der IAA 2009 in Frankfurt finden Sie auch in unserer großen Bildergalerie

Text: Jan Baedeker
Fotos: Nanette Schärf



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