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Rolls-Royce Ghost: Farbe bekennen

Der neue Rolls-Royce Ghost fällt kleiner aus als gewohnt – die Zahl der Ausstattungsmöglichkeiten bleibt immens. Allein 44.000 Lacktöne stehen dem Kunden zur Auswahl. Classic Driver hat den Schwierigkeitsgrad noch einmal erhöht – und zur zobelfarbenen Karosserie auf Sylt die passende Kulisse gesucht.

Roman Polanski hat 2009 seinen Film The Ghost Writer auf Sylt gedreht – als Ersatz für den amerikanischen Handlungsort Martha’s Vineyard. Neblig und unwirtlich wünschte es sich Polanski für seinen Polit-Thriller; neblig und unwirtlich hätten auch wir es gerne für unsere Klabauterfahrt mit dem neuen Rolls-Royce Ghost. Doch den Gefallen tut uns die Nordseeinsel nicht: Zwischen List und Hörnum strahlt unbeirrt die Oktobersonne. Nebelschwadenbilder und Gänsehaut für den Ghost Drive? Fehlanzeige. Wo in Hollywood die Wettermaschinen und Special-Effekt-Fachmänner bemüht würden, werfen wir schlicht den Produktionsplan um: Goldener Herbst an norddeutschen Küsten, das passt schließlich auch zu einem Rolls-Royce – vor allem, wenn er im Edelpelz-Farbton „New Sable“ lackiert wurde. Und im Innenraum die Lederkombination „Dark Spice“ und „Seashell“ ein maritimes Erntedankfest feiert.

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Doch der Reihe nach. Der Rolls-Royce Ghost wird gerade als zweites Modell unterhalb des gewaltigen Phantom lanciert. Die neue Limousine fällt kleiner und informeller aus als das Flaggschiff, auch das von Rolls-Royce als „Yacht Line“ bezeichnete Styling wirkt fießender, sportlicher – und wurde unlängst mit dem Red Dot Design Award ausgezeichnet. Die markentypischen Stilelemente hat Chefdesigner Ian Cameron trotz Downsizing erhalten: Eine prägnante Front, die lange Motorhaube, harmonische Flächen, gegenläufig öffnende Fond-Türen und eine ausfahrbare Spirit of Ecstasy auf dem Kühler kennzeichnen auch den „kleinen Geist“ als echten Rolls-Royce. Die britische Luxustochter von BMW verspricht sich vom neuen Modell eine kurzfristige Verdopplung der Verkaufszahlen – statt 1.000 sollen 2010 rund 2.000 Automobile aus der Manufaktur in Goodwood rollen. Vor allem Kunden anderer Marken, denen ein Rolls-Royce Phantom bisher zu präsent und auffällig war, entscheiden sich für das neue Modell. Auch Frauen soll der Stealth-Rolls ansprechen: Seit der Markteinführung schnellte der weibliche Kundenanteil von praktisch null auf sieben Prozent.

Erste Fahreindrücke auf dem Weg nach Norden. Gleicht die Reise im großen Rolls-Royce Phantom eher einer Out-of-Body-Experience – wie in einem prunkvollen Panzerschrank gleitet man da durch die Lande, während der Verkehr sich vor einem teilt wie eins vor Moses das Rote Meer – so fühlt man sich am Steuer des Ghost wieder ganz als Automobilist. Der Wagen ist für den selbstfahrenden Gentleman gemacht und bietet deshalb deutlich mehr Kontakt zur Straße. Der bei BMW in München gefertigte 6,6 Liter V12-Motor ist zwar flüsterleise, kann bei entsprechendem Tritt in die Pedalierie aber auch ganz anders: 570 PS und 780 Newtonmeter werden mit Nachdruck serviert, wobei sich hemdsärmelige Kraftmeierei natürlich weiterhin verbietet. In der Kabine bleibt es auch jenseits von 250 km/h flüsterleise. Statt Drehzahlen ließt man auf den Ziffernblättern der Armaturen die Leistungsreserve in Prozent. Das Handling fällt dennoch straffer und sportlicher aus, durch schmale Kurven fädelt sich die tonnenschwere Fünf-Meter-Limousine dabei ohne spürbare Fliehkrafteinwirkung – hier zahlt sich die technische Verwandschaft zum BMW Siebener und seinem Ausnahme-Fahrwerk aus.

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Vom kleinen Bruder aus München stammen auch zeitgemäße Assistenz-Systeme wie der Nachtsicht-Assistent, die Spurverlassenswarnung oder das Head-Up-Display. In der großen Chauffeurs-Limousine, dem Phantom, wurden den Helferlein bisher aus stilistischen Gründen der Einlass verwehrt. Im Ghost ist die Türpolitik etwas lockerer – und so findet man an der Mittelkonsole, rund um das große Zentraldisplay, auch eine ganze Reihe von Knöpfen und Schaltern. Erfreulicherweise ist es den Designern gelungen, das Bedienkonzept so einfach und intuitiv wie nur möglich zu halten. Wer im Fond Platz nimmt, hat ebenfalls Zugriff auf einen zentralen Controller im iDrive-Look, über den sich das optionale Rearseat-Entertainment-System steuern lässt. Auf den hinteren Rängen macht sich der Größenunterschied zum Phantom übrigens am deutlichsten bemerkbar: Zwar haben auch Reisende über 1,90 Meter noch ausreichend Platz, die ausladenen Salonwelten des großen Modellbruders sind jedoch nur eine ferne Erinnerung.

Was den Ghost von anderen Luxus-Limousinen am deutlichsten unterscheidet, ist der Grad der handwerklichen Perfektion bei seiner Herstellung. Gerade hat Rolls-Royce die hauseigene Lederwerkstatt erweitert, im 30-köpfigen Team arbeiten Sattler, Polsterer, Maßschneider und Segelmacher aus aller Welt. Wenn man den Vergleich zur Modewelt zieht, entspricht die britische Marke dem Ideal der großen Couturiers, bei denen nur die qualifiziertesten Handwerker arbeiten und wo nur die besten Materialien Verwendung finden. Entsprechend steht der Preis – im Falle des Ghost mindestens 250.000 Euro – nicht bloß für die Summe aller Teile, sondern für einen höchst individuellen und kreativen Entstehungsprozess, der in der automobilen Welt einzigartig ist. Die Möglichkeit, aus abertausenden Farb- und Materialvarianten die richtige Kombination zu wählen, wird von der Klientel übrigens nicht als Überforderung, sondern als Chance empfunden. Wer sich für einen Rolls-Royce entscheidet, hat ähnlich komplexe Geschmacksentscheidungen wahrscheinlich schon bei der Ausstattung von Townhouses, Bergchalets oder Wüstenpalästen treffen müssen. Notfalls ist auch der Stilberater nur eine SMS entfernt.

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Die Dame am Bahnhof in Niebüll lächelt über die Sorge, der Wagen könne die Dimensionen des Autozuges sprengen: „Rolls-Royce haben wir hier viele, das passt!“ Auch auf der Insel blickt man dem Ghost gelassen hinterher. Das tiefdunkle Braun und die schlichte, muschelschalenfarbene Coachline signalisiert Zurückhaltung – und harmoniert zudem wunderbar mit dem Blau des nordischen Himmels, den grünbraunen Heidelandschaften und dem hellen Sand der Strände. Wer seine S-Klasse seit Generationen in Schwarz/Schwarz kauft, wird für derartige Kompositionsfragen kaum Verständnis haben. Doch ein Rolls-Royce soll sich ins Bild fügen – und wird auf Wunsch seines Besitzers schon einmal im Blau jener Lavendelblüten lackiert, die auch entlang der Auffahrt des heimischen Anwesens blühen. Und so gleitet man mit dem beruhigenden Gefühl ästhetischer Stimmigkeit über die Insel der Schönen, Reichen und vom Winde verwehten.

Text & Fotos: Jan Baedeker

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