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BMW 760Li: Weißer Riese

Zwölfzylinder? Langversion? Nicht mehr zeitgemäß? Wo denken Sie hin! Der neue, gewaltige BMW 760Li ist so fortschrittlich, dass er sogar in weißmetallic eine gute Figur macht. So sehen das zumindest die Hauptabnehmer des Münchener Topmodells: China und die USA.

„Guck mal Mutti, der weiße Riese.“ Der kleine Junge, der vor dem Münchener Luxushotel The Charles die gewaltige Limousine umschleicht, wird vielleicht einmal viel Geld in der Werbung verdienen, wer weiß. Für den Moment macht er uns jedenfalls mit einer perfekten Titelzeile glücklich. Denn was BMW dieser Tage zur journalistischen Abnahmefahrt auf die Reifen stellt, ist nicht weniger als die riesenhafte Krönung der Münchener Modellpalette, sozusagen der neue König von Bayern. Dass die 5,21 Meter lange Zwölfzylinder-Limousine trotz ihrer weißen Lackierung nicht aussieht wie ein gestrandeter Moby Dick, verdankt die Marke ihrem Chefdesigner Adrian van Hooydonk, der dem neuen Siebener eine elegante, fast nonchalante Linie ohne jede Plumpheit verliehen hat. Dass es sich um die Langversion handelt, erkennt man zudem nur in der Silhouette – ansonsten bleiben die Proportionen erhalten.

BMW 760Li: Weißer Riese BMW 760Li: Weißer Riese

Die 14 Zentimeter, die das lange Li-Modell vom zeitgleich präsentierten 760i trennen, sind vor allem in den außereuropäischen Märkten stark gefragt: In China, wo rund ein Drittel des Zwölfzylinder-Topmodells landen, ist die Chauffeurs-Variante aufgrund der niedrigen Löhne für Fahrer der Standard. Und in den USA, wohin das zweite Drittel der Produktion gehen soll, kommt es in diesem Segment immernoch auf die schiere Größe an. Tatsächlich befindet sich BMW mit dem 760Li an der Schwelle zu einem Markt, der ansonsten eher von Bentley, aber auch der eigenen Hausmarke Rolls-Royce bespielt wird. Ein Blick in den Fond, der natürlich am meisten von der Karosserieverlängerung profitiert, unterstreicht diesen Eindruck: Individuell verstellbare Einzelsitze mit Massagefunktion bieten eine kaum auszunutzende Bewegungsfreiheit. Zwei großzügige Displays und ein zusätzlicher iDrive-Kontroller zur Bedienung der Entertainment-, Kommunikations- und Navigationsfunktionen verwandeln den Fond in eine mobile Schaltzentrale, die sich über das BMW ConnectedDrive auch uneingeschränkt mit dem Internet verbindet.

Derweil kann jeder Fondpassagier sein eigenes Wunschklima wählen: Neben der 4-Zonen-Klimaautomatik mit eigenem Bedienteil und elektrischer Fußraum-Heizung hat BMW für die Langversion einen zusätzlichen Lüftungsausströmer im Dach eingesetzt, der über ein separates Klimagerät im Heck versorgt wird. Vor Sonnenlicht und neugierigen Blicken sorgen zudem die bekannten, per Knopfdruck ein- und ausfahrbaren Allround-Jalousien. Auch bei der Farb- und Materialwahl haben die Designer den üblichen Rahmen verlassen. Einstiegsleisten mit beleuchtetem V12-Logo, Nappaleder mit Sichtnähten an der Instrumententafel, ein Dachhimmel in Alcantara und Nussbaum-Leisten mit Intarsien sorgen für ein durchweg hochwertiges, aber dennoch nicht opulent oder protzig wirkendes Innenleben – dass freilich auch nach individuellen Wünschen angepasst werden kann. Die Strategie, außergewöhnlichen Komfort mit dem nüchternen Auftritt einer Business-Limousine zu verbinden, dürfte in diesen Zeiten auch den ein oder anderen Bentley-Fahrer interessieren.

BMW 760Li: Weißer Riese BMW 760Li: Weißer Riese

Denn was die Motorisierung und Laufruhe angeht, kann der BMW 760Li durchaus in der Königsklasse mitspielen. Auch wenn sich angesichts der momentanen Neuausrichtung der Autobranche natürlich die Frage nach der Notwendigkeit eines weiteren durstigen Zwölfzylinders stellt, muss man dem neu entwickelten V12-Twinturbo zumindest seinen Status als Meisterwerk der Motorenbaukunst neidlos zugestehen. Tatsächlich haben die Ingenieure mit dem Vollaluminium-Zwölfzylinder einen neuen Qualitätsstandard gesetzt, der ab Herbst in modifizierter Form auch im neuen Rolls-Royce Ghost zum Einsatz kommen soll. Mit zwei Turboladern, Benzindirekteinspritzung und stufenloser Nockenwellen-Verstellung Doppel-Vanos erzeugt der Motor aus sechs Litern Hubraum eine Leistung von 544 PS und stellt schon ab 1.500/min ein maximales Drehmoment von 750 Nm bereit. Mit schier unbändiger, aber dennoch mühelos wirkender Kraft zieht die Limousine auf den ersten freien Autobahnkilometern nach vorn. In 4,6 Sekunden beschleunigt der BMW 760i auf Tempo 100 – und zwar fast lautlos. Selbst weit jenseits der 200 km/h gleitet man ohne Windgeräusche oder Karosseriebewegungen dahin. Erst beim Bremsen wird das Gewicht von rund 2,2 Tonnen spürbar.

Der souveräne Vortrieb wird auch durch ein neues Achtgang-Automatikgetriebe möglich gemacht, das BMW ebenfalls vollkommen neu entwickelt und auf die Leistungscharakteristik des V12 angepasst hat. Schaltkomfort, Sportlichkeit und Effizienz versprechen die Entwickler – und tatsächlich: Die größere Spreizung sorgt gleichzeitig für besondere Laufruhe und schnellen Tempogewinn, die Drehzahlsprünge zwischen den Fahrstufen sind kleiner und folglich kaum mehr wahrnehmbar. Die Sparsamkeit ist dagegen weniger beeindruckend. Laut BMW verbraucht der 760Li rund 13 Liter Benzin auf 100 Kilometer, bei sportlicher Fahrweise übersteigt man diese Zahl allerdings recht schnell recht deutlich. Auch die CO2-Emissionsziffer von 303 g/km ist wohl nur im Segment-Vergleich ein erfreulicher Wert. Der Hersteller argumentiert, dass der große Siebener ja nur in sehr überschaubaren Stückzahlen gebaut wird und mit seinem Schadstoffausstoß keinen ernsthaften globalen Einfluss hat. Nichtsdestotrotz feilen die Ingenieure gerade eifrig an einer Hybrid-Kombination für den Siebener, die noch in diesem Jahr auf den Markt kommen soll – allerings nicht in Kombination mit dem V12.

BMW 760Li: Weißer Riese BMW 760Li: Weißer Riese

Auch beim Fahrwerk zeigt BMW mit dem 760i und dem 760Li, was in Zukunft alles möglich ist. Doppellenker-Vorderachse, Integral-V-Hinterachse, Luftfederung, Hinterradlenkung sowie Wankstabilisierung und dynamische Dämpferkontrolle machen es möglich, überzeugende Fahrdynamik und uneingeschränkten Komfort miteinander zu verbinden. Über die Fahrdynamik-Kontrolle hat der Fahrer zudem die Möglichkeit, zwischen Komfort- und Sportprogrammen zu variieren und den Charakter des Wagens binnen Sekunden tiefgreifend zu verändern. Wie in den anderen Modellen der Siebener-Reihe ist natürlich auch für die Topversion ein umfassendes Assistenz-Paket schnürbar – inklusive Geschwindigkeitsregelung mit Stop & Go-Funktion, Fernlichtassistent, Spurwechsel- und Spurverlassenswarnung, Speed Limit Info, Nachtsichtgerät mit Personenerkennung sowie Seiten- und Rückfahrkameras.

Eine solche Ausstattung hat natürlich ihren Preis: Stolze 144.800 Euro muss man für den BMW 760Li auf den Tisch legen – ohne Extras, versteht sich. Der kürzere BMW 760i ist bereits für einen Basispreis von 134.900 Euro zu haben.

Text: Jan Baedeker
Foto: BMW / Jan Baedeker


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