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Volkswagen Golf GTI

Vor 33 Jahren hat ein 110 PS starker Golf das Sportwagensegment schockiert und selbst Porschefahrern an der Ampel den Schweiß auf die Stirn getrieben: Der GTI. Mit dem Kürzel war das Synonym für die sportlichste Golfklasse geboren. Mittlerweile sind diese drei Buchstaben weltweit bekannt, etwa so wie VIP oder SOS. In der neuesten, sechsten Generation soll das Blut des Ur-GTI mehr denn je pulsieren - Classic Driver hat die rasanten Blutsbrüder Golf I GTI und Golf VI GTI aufgemischt und erklärt, warum der Mythos weiterlebt.

Nachdem Giorgio Giugiaro die Grundform für den ersten Golf von 1974 entworfen hatte, der als Nachfolger für den pensionsüberfälligen VW Käfer antreten sollte, folgte 1976 die ungemein sportliche Variante Grand Turisme Injection, kurz GTI. Damals plante Volkswagen lediglich eine exklusive Kleinserie, die dem Volkswagen-Image eine sportliche Wertigkeit verleihen sollte. Daraus wurde nichts. Denn das Feuer, das Volkswagen mit dem GTI im Sportwagenrevier legte, entwickelte sich zum Flächenbrand. Die Verkaufserwartungen wurden um das Zehnfache übertroffen. Die Modellbezeichnung GTI war auf einmal so bekannt wie der Golf selbst. Der Mythos GTI war geboren. Im Laufe der Jahre, mit dem Golf II, dem Golf III und dem Golf IV, verwässerte der Mythos GTI dann mehr und mehr zur Ausstattungslinie, die sogar als Diesel-Variante erhältlich war und zudem im Schatten der leistungsstärkeren Sechszylinderversionen, dem VR6 und dem R32, stand. Der Golf V GTI machte 2005 wieder Schluss mit den GTI-Spielchen. Es gab nun wieder einen echten GTI, mit Benzinmotor, Karositzen und roten Zierstreifen.

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In der sechsten Auflage wurden die klassischen Merkmale nochmals ausgeprägt und noch direkter vom Ur-Ahnen abgeleitet. Das klingt eigentlich wenig revolutionär. „Und das ist auch gut so“, erklärt Eberhard Kittler, Leiter der Volkswagen Klassik-Abteilung. „Evolution statt Revolution – das Auto soll ja nicht jedesmal neu erfunden, sondern sukzessive weiterentwickelt werden.“ Dennoch ist bereits die Basis des Golf GTI, der neue Golf VI, vom Designaspekt her eine kleine Revolution. VW-Designer Walter Da Silva hat der biederen Golftracht erstmals einen italienischen Chic verpasst, der sich bereits im Scirocco ankündigte. Während bei vergangenen Golfgenerationen erst bei sportlichen Versionen Emotionen aufkamen, wirkt der neue Golf bereits in der Basis verdammt cool.

Weniger mutig waren die Entwickler beim neuen GTI, bei ihm steckt ganz klar die Liebe im Detail und in der Tradition. Im Frontgrill etwa finden sich vier verschiedene Wabengrößen, die kleinsten sitzen hinter dem VW-Emblem. Der Kühlergrill wurde - wie schon beim Golf I GTI - rot eingerahmt; auch sind die hochkant eingesetzten Nebelscheinwerfer eine Reminiszenz an die erste Generation.

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Die Seitenansicht des neuen GTI überrascht vor allem mit Gewohntem: Richtig, die Felgen stammen vom Golf V, nur die Flanken der sternförmig angelegten Axtklingen wurden geschwärzt. Die Designer scheinen davon überzeugt, dass es zu diesem Zeitpunkt kein passenderes Rad für den GTI gibt. Wer weiß, vielleicht erreichen sie irgendwann sogar Kultstatus, etwa wie die legendären Porsche-Fuchsfelgen. Während die Kotflügelverbreiterungen des Golf I GTI noch durch schwarze Kunststoffrahmen unterstrichen wurden, fließen die breiter ausgestellten Radläufe beim neuen GTI nahtlos in die Karosserie über. Jede Menge Enthusiasmus steckt auch im Heck des Golf GTI, auch wenn das Grunddesign dicht an dem des Vorgängers liegt. Erkennungsmerkmale der sechsten Evolution sind – neben dem Schriftzug - ein langer Dachspoiler, zwei auseinanderliegende Abgasendrohre und eine trapezförmige Nummernschildmulde, die in einem Diffusor mündet und das Auto im Volksmund „fett auf die Räder stellt“.

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Im Innenraum erinnert bewährtes aus dem Golf V GTI an den Ur-GTI. Die klassischen Karosportsitze der sechsten Generation bieten guten Sitzkomfort und perfekten Seitenhalt und sind vielleicht die einzigen Stoffsitze in der Autobranche, die gegenüber der Ledervariante die erste Wahl darstellen – zumindest für echte GTI-Kenner.

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Bis auf die Karositze und die roten Ziernähte erinnert allerdings nichts mehr an die frühen GTI-Modelle. Im Innenraum ist der Golf GTI mittlerweile einfach zu dicht an der Premiumklasse und ergonomisch gesehen eine moderne Fahrmaschine. Allein das abgeflachte Sportlenkrad mit Schaltwippen und der kurze DSG-Schalthebel erinnern eher an einen Hochleistungssportwagen. Aluminium-Armaturen und Klavierlackzierleisten werten das Interieur weiter auf. Wer das Navigationssystem ordert, erhält mittlerweile sogar im Golf optional eine Rückfahrkamera, ganz im Stil unübersichtlicher Supersportwagen. Bei all der Ergonomie und Technik kann der Golf I GTI nicht mitreden, zu seiner Zeit hatte man sich noch über einen Drehzahlmesser und ein Tachoblatt, das über 200 km/h ging, gefreut.

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Auch in Sachen Fahrkultur braucht man sich nichts vormachen – zwischen der Evolutionsstufe 1 und 6 liegen Welten. Nur noch das Grundkonzept steht: Kompakte Schrägheckkarosserie mit 4-Zylinder-Frontmotor, quereingebaut, und Frontantrieb. Damals hatte der GTI mit 110 PS eine magische Grenze überschritten und mit 140 Nm Drehmoment und 870 Kilogramm Kampfgewicht herausragende Fahrleistungen aufgestellt: Von Null auf 100 in 9,2 Sekunden, 182 km/h Höchstgeschwindigkeit. Den Beschleunigungsrausch früher GTI-Jünger empfinde ich 30 Jahre später allenfalls als einen dem Alter entsprechenden, flotten Vortrieb.

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Im neuen GTI dagegen kann es gar nicht schnell genug gehen: Volkswagen hat erstmals das elektronische Sperrdifferenzial XDS eingesetzt, welches das vorige EDS ersetzt. Das XDS steuert die Rollgeschwindigkeit des kurveninneren Rads durch gezieltes Einbremsen, wodurch das typische Untersteuern bei Frontantrieb spürbar verringert wurde. Kein Wunder, immerhin war kein Geringerer als Rennfahrerlegende Hans-Joachim Stuck alias „Strietzel“ für die Feinabstimmung des Golf-Sportlers verantwortlich. Für die entsprechende Belastung des Fahrwerks sorgt ein laut Volkswagen im Vergleich zum Vorgänger komplett überarbeiteter 2-Liter-Turbomotor mit 210 PS. Das Drehmoment setzt nun früher ein; zwischen 1.700 und 5.200 Touren liegen konstant maximale 280 Nm an. Zudem konnte das Gewicht des Triebwerks um drei Kilogramm und der Verbrauch um 0,7 Liter auf 100 km gesenkt werden. Im Schnitt sollen es nur 7,3 Liter sein. Über das DSG-Getriebe brauchen keine Romane mehr verfasst zu werden, es arbeitet ganz einfach präzise und stellt blitzschnell den passenden Gang parat. Trotzdem stellt auch der kurz abgestufte Handschalter eine schöne Alternative dar, nicht nur für Nostalgiker.

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Die Testfahrt in den Hängen von Saint Tropez, wo Straßen so breit wie Fahrradwege sind, ist eine echte Belastungsprobe für den Golf. Ich stelle Fahrwerk und DSG auf Sport und trete das Gas durch. Der GTI-Motor antwortet mit einem sämigen Räuspern, dann beißen die Reifendecken (225/45 R17) in den Asphalt und der GTI springt los. Man spürt, wie die 210 PS den 1,3-Tonnen-Wagen hinter sich herziehen: Von Null auf 100 in 6,9 Sekunden und bis 240 Km/h. Ich halte mich instinktiv am Lenkrad fest, als würde ich senkrecht daran hängen. Das Einbremsen in den Kurven erfordert ein wenig Übung, weil die GTI-Bremsen ungewohnt vehement einwirken. Wer das gelernt hat, kann den GTI rasant wie einen Rallyewagen durch die Kurven treiben, der dank des neuen Sperrdifferenzials kaum untersteuert und am Scheitelpunkt stets nach Vortrieb lechzt.

Zurück im GTI-Quartier stehen sich die Blutsbrüder noch einmal gegenüber. Obwohl nach über 30 Jahren objektiv betrachtet kaum noch Gemeinsamkeiten festzustellen sind, hat es Volkswagen doch geschafft, etwas vom rebellischen Porsche-Jäger der Siebzigerjahre in den neuen Golf GTI zu transplantieren – ohne dabei den bitteren Beigeschmack des einstigen Manta-Gegners für Vorstadt-Raudis erneut aufzuwärmen. Das könnte übrigens auch am Preis liegen: Denn mittlerweile kostet der GTI mindestens 26.650 Euro. Für den ersten GTI zahlte man gerademal 13.850 DM. Klingt fast wie ein Mythos, finden Sie nicht?

Text & Fotos: Jan-Christian Richter

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