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Lamborghini Reventón

Moderne Kunst oder purer Realismus? 12-Zylinder-Triebwerk, 650 PS, CFK-Außenhaut, Kampfjetcockpit, jede Menge Ecken und Kanten und einen göttlichen Vorwärtsdrang – der Lamborghini Reventón. Wir haben den auf der IAA enthüllten, limitierten Überflieger des Sportwagenherstellers für Sie über den Asphalt seiner Heimat, der Provinz Bologna, getrieben und seine als böse beschriene Seele studiert, bevor er im Werksmuseum endgültig zur Skulptur erstarrt.

Kennen Sie die skurrilen Kurzgeschichten von Umberto Ecos aus seinem Buch „Mein geliebtes Italen“? Ich spreche von Titeln wie „Wie man mit einem Lachs verreist“, „Platon im Stripteaselokal“ oder gar seine werbepsychologischen Abhandlungen über die Wirkung von Material, Struktur und Symbol. Ist Ihnen Hegels „Phenomenologie des Seins“ bekannt oder die klaren Linien und Formen der Expressionisten, die absolute Kontur des Pop Art oder Richard Serras Arbeiten in rostigem Stahl? Sind Sie mit den wohl ältesten architekturtheoretischen Grundprinzipen der Welt „Firmitas“, „Utilitas“, „Venustas“ (Stabilität, Nützlichkeit und Anmut) vertraut, die sich über ein Jahrtausend später auch in der Parole „form follows function“ von Louis Sullivan widerspiegeln und zum Maß der Dinge in der Gestaltungslehre der Avantgardestätte Bauhaus manifestiert sind? Kennen Sie Frank O. Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao oder die Interpretation der Formel 1-Rennstrecke von Bahrain, gestaltet von Andreas Gursky? Dann muss Ihnen niemand erklären, warum der Reventón 1.000.000 Euro (ohne MwSt.) kostet, keine Augentäuschung ist und 19 Menschen von Glück reden können, das die Skulptur nicht nur einmal gebaut wird!

Lamborghini Reventón Lamborghini Reventón

Es ist 10.00 Uhr morgens, ein kühler Tag im Januar. Doch die Sonne scheint heute prächtig gelaunt und blitzt durch den für die Gegend typischen Winterdunst, um uns die tiefe Raffinesse des stumpfen, mittelgrauen Lackes des Reventón zu präsentieren. Durch seine Metallic-Partikel zeigt der Lack eine unglaubliche Reflektion seiner Umgebung – wer hätte geahnt, dass mattes Grau so bunt sein kann. Ein Kampfjet etwa im Tarnanzug eines Chamäleon?



Wir steigen ein. Der Reventón basiert auf dem Murciélago LP640, also finden wir uns auf Anhieb zurecht. Das Interieur ist exklusiver – ja, das geht – dank Alcantara, Karbon, Aluminium und viel, viel Leder. Wir starten das auf zusätzliche 10 PS leistungsgesteigerte Zwölfzylinder-Triebwerk, das uns im Nacken klebt. Lauschen Minuten lang gebannt seinem satten Schnauben, während wir die zwei Varianten der digitalen Armatur studieren. Drei TFT-Flüssigkristall-Flachbildschirme, eingefasst in ein aus einem Alublock gefrästes Gehäuse, zeigen auf Knopfdruck zwei unterschiedliche Darstellungsformen für die Fahrzeuginformationen: Einmal eher konservative Rundelemente, zum Zweiten die spektakuläre „Starfighter“-Variante. Hinzu kommt das völlig neue G-Force-Meter, das aus der Formel 1 und Höchstleistungs-Flugzeugen entliehen ist.

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Gang einlegen und starten – as usual. Die Straßen sind leider nicht ganz so leer, wie man sich es wünschen würde, aber das Überholen ist schließlich eine der leichtesten Übungen des Überfliegers. Die unterbrochenen Straßenmarkierungen sind längst zu einer unendlichen Linie verschmolzen. Härter ist er und flacher als das Basismodell und auch seine Sitze scheinen schmaler und tiefer als alle anderen – so muss man sich in einem Schraubstock fühlen.

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Ich wünschte, die Straße wäre unendlich und mein Eigentum. Die erste Kurvenfolge kommt, die Kugel im G-Force-Meter springt von rechts nach links und sofort wieder in die Längskraftrichtung. Plötzlich passe ich in den Sitz, als wäre er für mich gegossen. Die Straße gehört inzwischen längst mir, ich werde sie ausbauen, ich will alle Gänge ausfahren! Dann reißt mich mein Beifahrer abrupt in die Realität zurück: „Stopp! Hier links! Da ist deine grafische Landschaft, die du dir als Kulisse für die Fotos gewünscht hast.“ Im dröhnenden Staccato schalten die Gänge zurück. Die gleiche Zauberhand, die diesem Gebilde Gestalt gegeben hat, hat mir ein breites Grinsen ins Gesicht gemeißelt. Links ab, bremsen, Stillstand in Lichtgeschwindigkeit. Mein Digitalinstrument zeigt „Zero“, aussteigen und hinter die Kamera zum Linienstudieren.

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Konsequente Proportionen und eine absolut klare Formensprache, eindeutige Kanten, präzise Linien und saubere Flächen zeichnen die aktuellen Modelle von Lamborghini aus, wie es auch schon der legendäre Countach tat. Im Reventón haben die Designer vom Centro Stile diese Philosophie noch konsequenter weiterentwickelt und in eine neue Sphäre von Geschwindigkeit und Dynamik transportiert.

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„Der Reventón aber ist der Extremste von allen, ein Superlativ auf Rädern. Auf der technischen Basis des Murciélago haben unsere Designer im Centro Stile Lamborghini die DNA der Marke, ihren genetischen Code, komprimiert und weiter verschärft“, erklärt Lamborghini-Präsident und -CEO Stephan Winkelmann.

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Entstanden ist ein perfekt geformtes Gesamtkunstwerk: Das Design des Reventón spielt mit unterbrochenen Linien, überhöhten und versenkten Flächen, absoluter Symmetrie und der gleichzeitigen Spannung durch Abweichung. In der bildenden Kunst spricht man vom „Kontrapost“ – dem Kunstgriff, Spannung durch Gegensatz zu erzeugen, wenn eine Figur durch Einsatz von Stand- und Spielbein eine Drehung des Beckens und damit Dynamik und Ruhe zugleich ausdrückt. Die Symmetrie des Reventón löst sich durch die unterschiedlich ausgeführten Schweller – einmal geöffnet zugunsten des Luftstroms zum Ölkühler und einmal geschlossen der Unterbodenströmung dienend – kaum merklich auf. Den Kontrapunkt setzt ein aus einem Aluminiumblock gefräster Tankdeckel.

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Der Reventón drückt Dynamik und Statik gleichermaßen aus. Er ist ohne Zweifel – inspiriert von der Aeronautik und gepaart mit dem komprimierten genetischen Code seiner Vorfahren – wieder einmal seiner Zeit weit voraus. Im Gegenlicht als reine Silhouette betrachtet, beinhaltet der Lamborghini 400 GT viele Design-Merkmale des Reventón. So etwa die abgeschnittenen Linien, der Einsatz von gegen gekanteten Flächen, die zwei markanten Spitzen der Stosstange, in die absolute Überzeichnung getrieben und auf die pure Linie reduziert.

Ausverkauft bevor er überhaupt existiert, ist dies nicht schon Kunst für sich? Eine lebende Legende zu sein, noch bevor er geboren wurde, ist das genial? Die Bestimmung des Reventón scheint eindeutig: Klassiker der Zukunft und architektonisch skulpturales Gesamtkunstwerk.

Text & Fotos: Nanette Schärf

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