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Magazin

Audi S8 (1)



Der neue Audi S8 ist die erste Frucht einer großen Ernte. Seit 1998, dem Jahr der Übernahme durch Audi, hat Lamborghini die Transformation vom exotischen Spartenhersteller zur international marktfähigen und erfolgreichen Supercar-Marke mit vollzogen. Nun machen sich die Investitionen auch für die Modellcharakteristik von Audi bezahlt: Die zweite Generation des Audi S8 soll kühle teutonische Fortschrittsarchitektur mit dem heißblütigen Temperament italienischer Kampfbullen vereinen – das Sportmodell der A8-Limousine wird von einem „eingedeutschten“ Zehnzylinder aus dem Lamborghini Gallardo nach vorne getrieben. Mit 450 PS und 540 Nm belegt der S8 im Audi-Portfolio eine Ausnahmestellung – doch wie viel Stier steckt wirklich in dem Komfort-Sportler? Ist das Brüllen des Gallardo gar in der Übersetzung verlorengegangen? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden – den direkten Vergleich! Wir haben den Audi S8 auf Pilgerreise geschickt, von Ingolstadt über die Alpen ins italienische Sant’Agata Bolognese, dem Wallfahrtsort der Schnellen und Reichen, der Heimat von Automobili Lamborghini.

Audi S8 (1) Audi S8 (1)

Auf den ersten Blick zeugt nicht viel von der deutsch-italienischen Freundschaft hinter dem neuen Flaggschiff. Der silberkühl glänzende Audi S8 wirkt zwischen den Betonmauern der Pressetiefgarage derart rational und technokratisch durchgeplant, als wolle er die internationalen Vorurteile gegenüber dem emotionslosen deutschen Ingenieurswesen mit den Bauhaus-Linien seiner Karosserie unterstreichen. Vorsprung durch Technik, Vernunft und Mathematik – von Bluthochdruck keine Spur. Von seinen zahmeren Modellbrüdern unterscheidet sich der Vorzeigesportler der A8-Reihe erst bei genauerem Hinsehen durch die standesgemäßen Hochleistungsinsignien: Ein gewaltiger grauer Single-Frame-Kühler mit verchromtem Ziergitter weist ebenso auf den erhöhten Frischluftbedarf hin wie die drei schmalen Lufteinlässe darunter. Die Rückspiegel und Türgriffe in Alu-Optik stehen für Exklusivität und das Heck verspricht mit seiner dezent integrierten Spoilerlippe und dem Quartett elliptischer Endrohre eine geballte Performance.



Im Innenraum setzt sich die Differenzierungsstrategie fort – viel Chrom, viel Aluminium, dazu Bi-Color-Ledersessel, die zwar schon beim ersten Probesitzen Bestnoten für Komfort und Seitenhalt kassieren, beim Käufer allerdings auch ein gewisses Gespür für Farbkombinatorik voraussetzen. Das Drei-Speichen-Sportlenkrad liegt gut in der Hand und dank Keyless-Go-Technologie bleibt der Zündschlüssel in der Hosentasche – zum Anlassen des Zehnzylinders reicht ein kurzer Druck auf die Startertaste. Der Motor erwacht mit einem heiseren Fauchen, das mir trotz geräuschdämmender Doppelverglasung die Armhaare aufstellt. Der Gallardo klingt anders, noch feindseliger, hemmungsloser – in einer Limousine habe ich solch einen animalischen Sound trotzdem noch nicht vernommen. Ich ziehe den Automatikhebel auf „D“, lege vorsichtig den Fuß aufs Gas – der Wagen springt abrupt nach vorn, kommt genauso abrupt zum Stehen. Samtpfötig versuche ich, den Audi aus der Tiefgarage zu dirigieren, die weiße Nadel zuckt bereits nervös vor dem grauen Grund des Drehzahlmessers. Ich denke mit leichtem Schauder an schmale Alpenpässe, tiefe Schluchten. Aber eine Pilgerreise ist schließlich kein Erholungsurlaub. Vorsichtig rolle ich aus dem Parkhaus, aktiviere das MMI und füttere das Navigationssystem mit meinem Tagesziel. Im Radio läuft „Autobahn“ von Kraftwerk, die Bose-Boxen leiten den Bass direkt in meinen Gasfuß. Das kann ja heiter werden.

Audi S8 (1) Audi S8 (1)

Der Zehnzylinder-Mittelmotor des aktuellen Lamborghini Gallardo generiert aus fünf Litern Hubraum eine Leistung von 520 PS und ein maximales Drehmoment von 510 Newtonmetern. Für den Einsatz in der Sportlimousine wurde der Hub auf 5,2 Liter vergrößert und die PS-Zahl auf 450 PS reguliert. Gleichzeitig wurde das Triebwerk entsprechend der Audi-Markenphilosophie mit der neuesten FSI-Benzindirekteinspritzung bestückt, die den Treibstoff mit bis zu 100 bar Druck in die Zylinder injiziert. Doch der Audi S8 setzt nicht nur auf Leistung, sondern vor allem auf Durchzugskraft – das maximale Drehmoment wurde auf 540 Nm angehoben und ist bereits ab 2.300 Touren zu 90 Prozent abrufbar. Kurz vor München bietet sich mir dann die erste Gelegenheit, das Potenzial des Motors zu ertasten. Leichtfüßig zieht die Limousine über die Bahn. Etwas mehr Gas, die Automatik auf „Sport“ und sofort wird der V10 lauter, beginnt klangvoll zu dröhnen wie ein italienischer Tieffliegerverbund in Angriffsformation und zerrt ungeduldig nach vorn. Die Außendienstler in ihren E-Klassen und Fünfer-Kombis wechseln verstört auf die rechte Spur.



Angesichts der bisherigen Performance entscheide ich mich spontan gegen die Brennerautobahn und für einen kleinen Umweg über den legendären Schweizer Malojapass. Schon auf den ersten schärferen Kurven in Richtung Engadin demonstriert der Audi S8, was man von einem Technologieträger erwarten kann: Trotz des schweren Allradantriebs liegt das Gesamtgewicht – Alu-Space-Frame-Karosserie sei Dank – bei nur 1940 Kilogramm, das Leistungsgewicht von 4,31 Kilogramm pro PS kann sich sogar im Sportwagensegment sehen lassen. Zum Vergleich: Ein Porsche 911 liegt bei 4,5 kg/PS. Der Sprint von 0 auf 100 km/h dauert entsprechend nur 5,1 Sekunden – und lässt sich aufgrund des brutalen Leistungsspektrums im unteren Drehzahlbereich beim Anfahren fast nicht vermeiden. Etwas Mäßigung hätte der Limousine hier gut gestanden, schließlich möchte man sich nicht überall mit einer Staubwolke verabschieden. Ist man jedoch einmal in Fahrt, gibt es allen Grund zur Freude: Die Automatik kommt straff und präzise, die Lenkung ist angenehm leicht und direkt, die sportlich abgestimmte Luftfederung sorgt – zusammen mit dem intelligenten Allradsystem – selbst in engen Serpentinen und bei quietschenden Reifen für eine geradezu magnetische Straßenlage. Nur die dünne Bergluft macht dem Saugmotor etwas zu schaffen – wer jenseits von tausend Höhenmetern wohnt, sollte aus dem Audi-Programm eher einen weniger kurzatmigen Turbomotor bevorzugen.

Audi S8 (1) Audi S8 (1)

Talabwärts, auf den halsbrecherisch steilen und herbstlich nassen Haarnadelkurven des Malojapasses, erwacht der S8 dann wieder zum Leben - mit heiserem Fauchen quittiert er jede Vorwärtsbewegung meines Gasfußes. Zentrifugalkraft und Erdanziehung ziehen und zerren um die Wette, doch das Audi-Fahrwerk bleibt standhaft. Auch die optionalen 8000-Euro-Keramikbremsen, bei normaler Belastung eher selten gefordert, beweisen sich hier als sinnvolle Investition – selbst in diesem Vollbremsungs-Stakkato ist kein Fading zu spüren. Auch ABS und ESP wurden auf die neuen Bremsen eingestimmt und arbeiten entsprechend schneller. Nebel hängt in den Wäldern, Regen trommelt, die Wischerblätter rudern über die Scheibe. Ich versuche, die Technik weiter herauszufordern, schalte über die Schaltwippen am Lenkrad immer wieder herunter, lasse den Motor heulen. Schnell und agil nimmt er eine Kurve nach der anderen, dann ist der Maloja-Ritt schon wieder vorbei. Vor mir öffnet sich das Val Bregaglia. Ich lasse die Automatik wieder hochschalten, aktiviere die Sitzheizung. Vor mir windet sich die Straße durch die Dämmerung, das Xenonlicht weist mir den Weg durch die Kurven. Noch eine knappe Stunde bis Mailand, eine weitere bis Bologna und Sant’Agata Bolognese. Dort wird mich der Lamborghini Gallardo im Morgengrauen zum Duell erwarten.

Pilgerfahrt nach Sant’Agata – Teil 2
Ich bin hier, um ein Duell auszutragen. Ein innerfamiliäres. Audi gegen Lamborghini. Technik gegen Temperament. Mehr als 700 Kilometer lang habe ich trainiert, den Audi S8 von Ingolstadt über die Alpen gehetzt, in den Halsbrecherkurven des Malojapasses die Grenzen von Fahrwerk und Bremsen gesucht. Jetzt habe ich mein Wallfahrtsziel erreicht mehr...


Text: Jan Baedeker
Foto: Jan Baedeker / Miguel Martinez


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