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Magazin

Lancia Delta S4 Stradale

Die berüchtigte Gruppe B

Text: Sven Jürisch
Fotos: bonhams.com

Der Gruppe-B-Rallye-Bolide Lancia Delta S4 hatte ein kurzes und exzessives Leben, bis ihn eine Unfallserie letztlich in die Box verbannte. Kaum weniger spektakulär war das Homologations-Modell „Stradale“ – das italienische Pendant zum legendären Audi Sport Quattro.

1985 gab es unter Motorsportfans nur eine Frage: Wohin steuert die Gruppe B? Der Rallyezirkus war zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Ihre Könige hießen Walter Röhrl, Michelle Mouton oder Henri Toivonen. Mit immer mehr Leistung und Technik lieferten sich die Autohersteller eine PS-Schlacht, die es so nie wieder geben sollte. Audi ließ den Ur-Quattro zum 500-PS-Sport-Quattro schrumpfen, Peugeot und Ford eiferten ihm nach. Da durfte auch Dauersieger Lancia nicht fehlen. Als Nachfolger des mit Heckantrieb inzwischen chancenlos gewordenen Lancia 037 rollte der ultimative Lancia Delta an den Start.

Die Straßenversion

Gestatten, Lancia Delta S4 Stradale. Ein Kunstwerk aus Chrom- Molybdän-Stahlrohrahmen und Fiberglass. Kürzer als der bislang eingesetzte Delta Integrale, brutaler als der 037 und vor allem leichter und wendiger als die Konkurrenz. Im Rennbetrieb bis zu 500 PS stark, ließ auch die Straßenversion nur einen Schluss zu: Hier kommt ein Siegertyp. Für den offiziellen Verkauf der Homologationsserie tapezierte Lancia den Innenraum notdürftig mit Leder und Alcantara, bot ein paar gefällige Karosseriefarben an und stellte den S4 auf 16 Zoll Felgen, deren Design stark an das der Mercedes S-Klasse erinnerte. Alles nur Show, denn niemand dürfte den S4 je wegen der Optik seiner auch im Zivillook vollständig aufklappbaren Karosserie gekauft haben. Seine Bestimmung war von Geburt an das Fahren und das Siegen.

Pure Emotionen sprudelten aus dem nur 1.750 ccm großen Vierzylinder beim Anlassen. Zwar weit entfernt von dem sonoren Sound des Audi-Reihenfünfzylinders, doch bereits wenige Kurbelwellenumdrehungen später legte der von Italo-König Carlo Abarth veredelte Vierzylinder los. Im unteren Lastbereich kümmerte sich ein Volumex-Kompressor um die Verdichtung der Ansaugluft, um wenig später von dem sirrenden KKK-Turbolader nahtlos abgelöst zu werden. Es zischte und brodelte bei Volllast so lautstark aus dem Heck des Lancia, dass man froh war über die beiden geräuschdämpfenden Ladeluftkühler oberhalb des Motors. Wären sie nicht an Bord gewesen – der Lärm wäre unerträglich. Doch trotz dieser Geräuschkulisse nahm sich die Papierform des S4 bescheiden aus. Lediglich 250 der möglichen 500 PS gestanden die Lancia-Ingenieure den Straßenpiloten des S4. Bei einem Leergewicht von nur 1.200 kg war dies jedoch ausreichend, um pubertäre Golf GTIs in die Schranken zu weisen.

Das Fahrerlebnis

Mit dem Einrasten des ersten Gangs verflogen dann auch die Zweifel an der Potenz des Delta: 100 km/h stehen nach 6,0 Sekunden auf dem Tacho. Das Fahrgefühl? Irgendetwas zwischen Gokart und Formel 1. Der Lancia lag dank extrem aufwändigem Fahrwerk perfekt. Je ein einstellbares Stoßdämpferpaar pro Hinterrad bemühte sich erfolgreich um die Bodenhaftung. Die Lenkung tat ihr Übriges, den Allradler auf Kurs zu halten. Heiß ging es dabei im Cockpit des Lancia zu. Schuld daran war der hinter den Sitzen angeordnete Motor. Er machte aus dem Delta eine zweisitzige Sauna ohne Ablagemöglichkeiten. Alltagstauglich war der Delta damit nicht und auch die leicht splitternde Glasfaserkarosserie nahm einem etwaige Unfälle sehr übel. Reparaturen waren stets ein kostspieliges Unterfangen.

Doch der Delta S4 war schließlich auch für die Rennpiste gemacht. Dort fuhr er für Lancia binnen Jahresfrist vier WM-Siege und diverse zweite Plätze ein, was den Italienern 1986 den zweiten Rang in der Marken-WM bescherte. Mit den immer halsbrecherischen Rallyepfaden nahm auch das Unfallrisiko zu, bis 1987 zwei schwere Unfälle, bei denen der Beifahrer von Henri Toivonen ums Leben kam, das kurze wilde Leben des Rennboliden besiegelten.

Die Homologation sah es vor, dass Lancia insgesamt 200 Stradale-Versionen des S4 produzierte. Davon sind heute unter 80 Fahrzeuge erhalten geblieben. Im außergewöhnlichen Zustand befindet sich der hier gezeigte Lancia Delta S4 Stradale mit der Chassisnummer 117, der nur knapp über 2.000 Kilometer gelaufen hat. Im Jahr 1987 zum Neupreis von 45.000 Pfund erworben, wurde das Auto kürzlich bei der Bonhams-Versteigerung im Rahmen des Goodwood Festival of Speed für 100.500 Pfund (rund 115.000 Euro) versteigert.

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Die Fakten

Motor:
1,75-Liter-Vierzylinder- Mittelmotor mit vier Ventilen, Kompressor und Turbolader

Leistung:
250 PS (Rennversion 500 PS)

Max. Drehmoment:
ca. 291 Nm bei 4.500 Umdrehungen

Kühlung:
wassergekühlt

Getriebe:
5-Gang-Schaltgetriebe, Sperren an Vorder- und Hinterachse

Antrieb:
permanenter Allradantrieb

Leergewicht:
1.200 kg (Rennversion 890 kg)

Radstand:
2.300 mm

Stückzahl:
200

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