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Magazin

Aston Martin Virage

Der Grenzgänger

Text: Sven Jürisch / Classic Driver
Fotos: RM Auctions

Der Aston Martin Virage der 90er Jahre gilt als Grenzgänger im Stammbaum der britischen Luxusmarke. Mit ihm verabschiedete sich Aston Martin erstmals vom klassischen Design und präsentierte einen Sportwagen mit stattlichen Proportionen und muskulösem Blechkleid. Beim Preis blieben die Briten jedoch ihrer Tradition treu: Bereits die Standardversion kostete fast 430.000 D-Mark. Heute ist der Aston Martin Virage für unter 30.000 Euro zu haben. Höchste Zeit für einen Youngtimer-Report.

Im Jahr 1986 drohte Aston Martin, wie so oft in der Firmengeschichte, die Pleite. Das Design der V8-Modelle war in die Jahre gekommen, und die Kunden ließen sich auch durch Karosseriemodifikationen kaum mehr dazu bewegen, dem edlen Briten das Ja–Wort zu geben. Ein neues Modell musste her, doch die Kassen waren leer. Kurzerhand konstruierten die Briten auf Basis des Aston Martin Lagonda, jenem veritablen Viertürer, den Nachfolger der V8-Baureihe: den Aston Martin Virage. Um Kosten zu sparen, sollten das verkürzte Lagonda-Chassis und dessen Achsen zum Einsatz kommen. Letztlich wurde das Chassis jedoch nahezu neu entwickelt; von der Lagonda-Konstruktion bleib nur der Motorraum übrig.

Das Design des Virage wurde im Rahmen eines Pitches gefunden und hatte kaum mehr etwas mit dem antiquierten Look seiner Vorgänger gemein. Mit dem Virage setzte Aston Martin fortan auf einen wuchtigen Auftritt. Neben einer langen Motorhaube dominierte am Coupé vor allem eine hohe Seitenlinie mit dem daraus resultierenden geduckten Greenhouse. Dem Zeitalter entsprechend dekorierte Aston Martin die ganz aus Aluminium gefertigte Karosserie mit zahlreichen Kunststoffanbauteilen. Aufgrund des knappen Budgets waren die Briten dazu gezwungen, bei vielen Teilen auf Großserienprodukte anderer Hersteller zurückzugreifen. So wurde das Luxuscoupé mit Scheinwerfern aus dem Audi 200 und den Rückleuchten eines Volkswagen Scirocco versehen.

Design und Technik

Im Innenraum des Virage setzte sich dagegen der Stil britischer Noblesse uneingeschränkt fort. Hochwertigstes Leder und poliertes Wurzelholz versöhnten die Kunden mit der nicht unumstrittenen Linie. Dazu bot Aston Martin alles an Ausstattung, was der Markt hergab, wenngleich die kleine Firma sich schwertat, mit der immer schnelleren Entwicklung im Bereich der Fahrzeugelektronik Schritt zu halten. So gilt der Virage bei den Anhängern der Marke als der letzte echte Aston Martin, bevor Ford im Jahr 1991 das Ruder übernahm und wenig später mit dem DB7 eine neue Ära einleitete.

Motorisch bot der Virage, den es im Laufe seiner Bauzeit bis 1994 auch als Cabriolet Volante (233 Stück) sowie in einer Kleinstserie als „Shooting Brake“ gab, bekannte Achtzylinderkost. Der aus dem Vormodell übernommene V8 erhielt zwei Vierventil-Zylinderköpfe und lieferte eine Leistung von 330 PS. Nicht viel, da das Coupé trotz Leichtbaukarosserie immerhin fast 1,8 Tonnen auf die Wage brachte. Dennoch beschleunigte das Auto klassengerecht und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 254 km/h.

Zu welchen Fahrleistungen das Konzept imstande war, demonstrierte das Hamburger Unternehmen Car & Driver, das seinerzeit eine Lightweight-Version des Virage entwickelte. Das um zahlreiche Luxusextras erleichterte und mit einem Handschaltgetriebe versehene Fahrzeug erreichte deutlich bessere Fahrleistungen und gab sich auch im Handling betont sportlich. Mit dem auf 500 PS erstarkten 6,3 Liter Motor nahm dieses Einzelstück die 1992 von Aston Martin Works Service lancierte Top-Version vorweg. Car & Driver war seit den 80er Jahren bekannt für seine spektakulären Sonderumbauten auf Basis von Aston Martin, Bentley und Mercedes-Benz.

Ab 1993 bot Aston Martin dann werksseitig die stärkere Vantage-Variante an. Der 5,3 Liter V8 erhielt zwei Eaton-Kompressoren und leistete beachtliche 550 PS und 764 Nm Drehmoment. Der Vantage erreichete damit eine Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h und beschleunigte aus dem Stand in nur 4,6 Sekunden von Null auf 100 km/h. Später konnten Kunden gegen Aufpreis die Leistung des V8 auf 600 PS steigern lassen – diese Vantage-Modelle wurden V600 genannt. Insgesamt wurden vom Vantage 276 Fahrzeuge – inklusive 40 Le Mans-Editionen – gefertigt.

Das Ende

Im Jahr 1994 fertigte Aston Martin aus den letzten noch verbliebenen Virage-Chassis eine Limited Edition von neun Coupés, die neben einer geänderten Innenausstattung auch einen optimierten 32-Ventil-Achtzylinder erhielten. Als Nachfolger des Aston Martin Virage folgte mit gleicher Grundkonstruktion das so genannte V8 Coupé, das in Prinzip ein technisch leicht modifizierter Virage war, optisch (verkleidete Scheinwerfer und doppelte Rundleuchten hinten) jedoch stärker an die Vantage-Variante angelehnt war. Letztere wurde übrigens nahezu unverändert weitergebaut.

Zudem gab es einige Sondermodelle in geringen Stückzahlen, wie das viersitzige Cabrio mit verlängertem Radstand, eine viertürige Limousine sowie einige Shooting-Brake-Versionen. Zum Abschluss folgten noch acht Vantage Volante mit kurzem Radstand. Wenn man es genau nimmt, überdauerte der „Virage“ von seiner Vorstellung 1988 auf der NEC in Birmingham bis ins Jahr 2000, ehe der Nachfolger Aston Martin Vanquish anlief. In jedem Fall gilt der Virage als Meilenstein der Firmengeschichte, dem Aston Martin in diesem Jahr mit der Präsentation des neuen Virage seine Ehre erweist. Der gefällige Sportwagen, der nah am Design des eher biederen DB9 anlehnt, hat mit dem extravaganten Virage der 90er Jahre jedoch kaum noch etwas gemein.

Das Auto

Das hier präsentierte Fahrzeug spiegelt in seiner Farbwahl den typischen Zeitgeschmack der Neunzigerjahre wider. Das mediterrane Blau des 1991 gefertigten Virage nimmt dem Design die Schwere, die es durch die dunkleren Farbtöne erfährt. Der elegante Auftritt wird zusätzlich von einer sandfarbenen Lederausstattung mit blauen Sitzkedern unterstützt. Ausgestattet ist dieser Aston Martin Virage zudem mit einer optimierten Einspritzanlage und einer für damalige Verhältnisse opulenten Ausstattung, die unter anderem über einen Bordcomputer und elektrische Sitze verfügt.

Der 1991er Aston Martin Virage wurde im Januar 2010 bei einer RM-Auktion für knapp 42.000 US-Dollar, umgerechnet weniger als 30.000 Euro, versteigert. Damit liegt dieser Youngtimer deutlich unter dem Einstandspreis seines neuzeitlichen Urenkels, ohne dabei auf dessen Exklusivität verzichten zu müssen. Zudem stellt er aktuell ein interessantes Investment dar, denn günstiger dürfte der einst über 400.000 D-Mark teure Aston der Neunzigerjahre nicht mehr werden. Passende Angebote finden Sie im Classic Driver Automarkt.

Die Fakten

Fahrzeugklasse:
Gran Turismo

Karosserieversionen (Standard):
Coupé (2+2), zweitürig / Cabrio (2+2, Volante), zweitürig

Länge:
4735 mm

Breite:
1855 mm

Höhe:
1320 mm

Radstand:
2610 mm

Leergewicht:
ab 1790 kg

Motoren:
5,3 Liter V8 / 5,3 Liter V8-Kompressor (Vantage) / 6,3 Liter V8 (Aston Martin Works Service)

Max. Leistung:
330 PS / 550 bis 600 PS / 500 PS

Max. Drehmoment:
475 Nm / 746 Nm / 651 Nm

V-max:
254 km/h / 300 km/h / 282 km/h