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Magazin

Saab 900

Es kam Saab und siegte

Text: Sven Jürisch
Fotos: Roman Rätzke

Kugelrund und schrullig sind die Attribute, die dem Autolaien zu den Modellen der schwedischen Marke einfallen. Und schnell kommt das Bild des um die Ecke fegenden Saab 96 mit Erik Carlsson bei der Rallye Monte Carlo anno 1962 ins Gedächtnis zurück. Dieser und ähnliche Auftritte waren für den Grundstein des Erfolges der ehemaligen Flugzeugbauer aus Trollhättan verantwortlich. Mit der 1978 eingeführten Baureihe 900 sollte den bis dahin in einem gemütlichen Takt pendelnden Fließbändern der Schweden gehörig Beine gemacht werden.

Das neue Modell war von Beginn an ein Erfolg und konnte sich bis zu seinem Karriereende 1993 einen festen Platz in der gehobenen Mittelklasse sichern. Wem der 3er von BMW zu klein, der 190er von Mercedes zu spießig und ein Passat zu gewöhnlich schien, der wählte die Nummer 900. Das taten insbesondere Freiberufler, Künstler und solche, die dem wahren Leben etwas entspannter entgegensahen. Diese Klientel störte auch nicht, dass sich der 900 Zeit seines Lebens mit einem Vierzylindermotor bescheiden musste, als die Konkurrenz auf prestigeträchtige Sechszylinder setzte. Schuld an der Misere war die knappe Finanzlage des Herstellers. Aus diesem Grund musste der 900 in seinen ersten beiden Lebensjahren auch die Motoren seines Vorgängers aufbrauchen, bevor Ende 1979 ein neu konstruierter Motor für etwas Moderne im Motorabteil sorgte. Doch Not macht bekanntermaßen erfinderisch und so entstanden zahlreiche Leistungsvarianten des 2,0 Liter Aggregates. Sowohl politisch korrekte Softturbos mit 141 PS aber auch Sportskanonen mit immerhin bis zu 185 PS fanden sich ebenso im Angebot, wie brave Ackergäule ohne Aufladung und 115 PS. Kombiniert mit den in verschiedenen Ausführungen erhältlichen Karosserieformen Fließheck und Limousine ergab sich so eine breite Produktpalette, die in ihrer Laufzeit immerhin 908.810 Abnehmer fand.

Saab 900

Häufigster Kaufgrund dürfte neben der Solidität und der hohen Variabilität besonders beim Schrägheckmodell die ungewöhnliche Form des 900 gewesen sein. Schon auf den ersten Blick war der Saab nicht Mainstream, sondern extravagant. Großvolumige Stoßfänger mit Deformationszonen, die dem G-Modell des 911er nicht unähnlich waren, schützten den Schwedenstahl vor Blessuren, falls das Ende der Karosse wegen der miserablen Übersichtlichkeit mal wieder falsch eingeschätzt wurde. Dazu gesellten sich, ganz im Sicherheitswahn der frühen Achtziger Jahre, großzügig gepolsterte Innenraumverkleidungen, eine Sicherheitslenksäule oder die possierlichen Scheibenwischer der Scheinwerferreinigungsanlage. Gute Sicht war auch notwendig, denn der 900er machte, zumindest in seiner Topmotorisierung gehörig Dampf. Mit immerhin 205 km/h gehörte das heute besonders gesuchte Spitzenmodell 900 Aero zu den Dauergästen auf der linken Autobahnspur.

Saab 900

Antrieb und Fahrwerk

Im Laufe seiner langen Bauzeit erreichte die Baureihe 900 eine fast sagenumwobene Zuverlässigkeit. Einen Saab dieser Baureihe auf dem Pannenstreifen zu entdecken, gehörte lange Zeit zu den Ausnahmeerscheinungen. Dieses hohe Maß an Dauerhaltbarkeit spiegelt sich auch in den Laufleistungen der zum Verkauf stehenden Fahrzeuge wider: Unter 200.000 Kilometer geht fast nichts und auch dann, so gewinnt man den Eindruck, wird ein Saab nicht etwa verkauft, sondern wie ein gutes Schmuckstück vererbt. Gelangt doch mal ein Exemplar in den Handel, ist dennoch eine sorgfältige Prüfung des Probanden angesagt. Die von Saab bei der Baureihe 900 verwendeten Motoren, allesamt 2,0 Liter Vierzylinder mit Aluminiummotorblöcken gelten als robust. Wahlweise waren diese Aggregate mit 16-Ventil-Zylinderköpfen (ab 1985) und Turbotechnik erhältlich. Bereits früh setzte Saab auf eine optimale Abgasreinigung durch einen Drei-Wege Katalysator, weswegen die meisten angebotenen Fahrzeuge schadstoffarm nach Euro I sind. Die Turbomodelle lassen sich durch den Einsatz eines etwa 450 Euro teuren Metallkatalysators zudem auf Euro II Norm umschlüsseln. Der Steuersatz sinkt dabei um rund die Hälfte und als positiver Nebeneffekt verbessert sich das Durchzugsvermögen des Motors durch die optimierte Abgasanlage. Aber auch Saugmotoren können, soweit sie ab Werk bereits einen G-Kat hatten mittels Einbau eines Kaltlaufreglers umgerüstet werden.

Allen Motoren gemeinsam ist die mechanische Robustheit. Ein Minimum an Wartung vorausgesetzt, halten insbesondere die Saugmotoren ewig. Die Turbomodelle leiden bisweilen an undichten Abgaskrümmern (zwitschernde Geräusche in kaltem Zustand), verschlissenen Turboladern (Heulen beim Beschleunigen, Blaurauch aus dem Auspuff) und undichten Zylinderkopfdichtungen, was sich durch weißen Qualm im Abgas oder aber durch Blubbern im Kühlmittelausgleichsbehälter bemerkbar macht. Quer durch alle Motorvarianten zieht sich eine zu schwach ausgelegte Ölpumpe, welche die Schmierstoffförderung einstellt. Kapitale Motorschäden sind die Folge. Den Zustand der Pumpe kann man jedoch nicht ohne weiteres erkennen, sodass sich ein Nachhaken beim Vorbesitzer lohnt.

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Ebenfalls vom Verschleiß gekennzeichnet sind die drei Aufhängungslager der Antriebseinheit. Bockt der 900 beim Lastwechsel ungebührlich oder lassen sich die Gänge bisweilen schlecht einlegen, sind die Gummilager (ab 1985 in hydraulischer Ausführung) verschlissen. Der Ersatz ist mit rund 450 Euro relativ teuer, kann aber ohne Probleme in Eigenregie durchgeführt werden.

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Deutlich kritischer steht es beim 900 um das Thema Kraftübertragung. Neben ausgeschlagenen Antriebswellen, die durch Knacken beim Anfahren mit eingeschlagenen Vorderrädern auf sich aufmerksam machen, kommt es ab einer Laufleistung von 200.000 km häufiger zu Getriebedefekten. Arbeiten am Getriebe sind aufgrund der skurrilen Einbaulage immer mit dem Ausbau des Motors verbunden, was daran liegt, dass dieser über dem Getriebe angebracht ist. Die Schaltbox bildet quasi die Ölwanne des Motors und wird von diesem via Kette angetrieben. Lässt es sich hakelig schalten, machen die Hauptwellenlager Geräusche oder springen die Gänge raus, wird es teuer. Unter 2.000 Euro lässt sich ein solcher Schaden kaum beheben. Rutscht dagegen die Kupplung beim Anfahren durch, macht sich die sonderbare Konstruktion bezahlt. Denn die Schnittstelle zwischen Motor und Getriebe ist gut zugänglich. Wer sein Heil bei der automatischen Kraftübertragung sucht, wird enttäuscht. Saab setzte auf eine schon damals veraltete 3-Gang-Wandlerautomatik ohne Wandlerüberbrückung, die zum Einen wenig haltbar war und zum Anderen mit den leistungsstarken Turbomotoren schlecht harmonierte. Ein Ausfall des Getriebes ist meist der Beginn einer teuren Odyssee, an deren Ende nicht selten der Verkauf des Wagens steht.

In Sachen Bremse und Fahrwerk gibt sich der 900 als Musterschüler, sieht man von typischen Alterswehwehchen wie defekte Gummibuchsen oder schlackernde Bremsscheiben ab, erwartet den Interessenten kein Horrorszenario. Lediglich die Bremskraft der bis 1987 auf die Vorderräder wirkenden Handbremse kann ungleichmäßig sein, was aber in der Regel mit einer Justierung zu beheben ist.

Saab 900

Karosserie und Innenraum

Seinen Ruf zäher Langlebigkeit erwarb sich der Saab 900 nicht zuletzt durch seine durable Karosserie und seinem zwar schlichten aber funktionellen Innenraum. So ist Rost für einen unfallfreien und halbwegs gepflegten 900er ein Fremdwort. Dies gilt sowohl für die frühen Modelle als auch für die nach dem großen Facelift 1987 vom Band gelaufenen Fahrzeuge. Die braune Pest findet allenfalls in den Bereichen der Türdichtungen und Falze sowie an der Motorhaube und der Tankklappe Unterschlupf. Häufiger kommt es durch Versprödung des Dichtungsmaterials der Heckleuchten zu Wassereinbruch im Kofferraum, was sich jedoch in Heimarbeit kurzfristig beheben lässt.

Das Interieur des 900 ist ebenfalls sehr langlebig und ausgesprochen hochwertig verarbeitet. Bisweilen neigen die Armaturenbretter zur Blasenbildung. Den hohen Laufleistungen muss auch im Hinblick auf den Zustand der Sitzbezüge Tribut gezollt werden. Bisweilen hilft hier nur ein Wechsel gegen einen schlechten optischen Eindruck. Wer hingegen das Glück hat, eine Lederpolsterung in seinem Wunschkandidaten vorzufinden, sollte auf rissfreie Bezüge achten, da Ersatz schwer zu beschaffen ist.

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Sofern der Saab über das eine oder andere Extra, wie etwa eine Klimaanlage, ein elektrisches Schiebedach oder elektrische Fensterheber verfügt, sollten diese vor dem Kauf unbedingt ausprobiert werden, da spätere Reparaturen teuer sind. Eine Besonderheit stellt das Heizungs- und Belüftungssystem dar. Saab scheute weder Aufwand noch Kosten und steuerte die einzelnen Klappen per Unterdruck an. Die Anlage gilt als robust, aber eine Überprüfung der Steuerung kann nicht schaden.

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Fazit und Kosten

Saab fahren ist kein billiges Vergnügen. Sowohl zu den Hochzeiten der Baureihe als auch heute, ist der Schwedenstahl kein Schnäppchen. Gute Autos, insbesondere rare Turbomodelle in der dreitürigen Coupé-Version, werden nicht selten für Preise deutlich um die 10.000 Euro gehandelt und sind mittlerweile schwer zu finden. Handelt es sich dabei noch um ein Sondermodell, wie etwa den legendären 16 S oder den Aero, sind deutliche Aufschläge zu erwarten. Kleiner Trost: Die Fahrzeuge haben ihre Talsohle hinter sich gelassen und werden in naher Zukunft deutlich an Wert gewinnen. Dies trifft jedoch weniger für die fünftürigen Modelle, Stufenheckfahrzeuge oder Autos mit Saugmotoren zu. Diese wechseln auch heute noch zu zivilen Preisen den Besitzer. Sie sind, einen geregelten Katalysator vorausgesetzt, eine interessante Alternative zum heutigen Autoeinerlei: Die hohen Preise für die Ersatzteile und die Wartung sollten dabei kein Hemmschuh sein. Denn einerseits geht bei einem Saab nur wenig kaputt, anderseits hilft sich die Szene untereinander mit günstigen Teilen und freien Reparaturen. Bei einem Durchschnittsverbrauch von 8 bis 12 Litern Kraftstoff steht dann einer langjährigen Bindung fast nichts mehr im Weg.

Fahrzeugaufbau: 5-sitziges Stufenheck oder Schräghecklimousine. Wahlweise als Drei- und Fünftürer erhältlich.
Motor: 2,0-Liter-Vierzylinder (ausschließlich Benziner) mit verschiedenen Leistungsstufen von 115 PS bis 185 PS, Turbomotoren mit 16-Ventil-Zylinderkopf und ab 1984 weiterentwickelter Motorsteuerung mit Klopfregelung.
Kraftübertragung: Frontantrieb mit Schalt- oder Automatikgetriebe.
Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit beim Spitzenmodell Aero: 205 km/h

Beschleunigung von 0 auf 100 km/h: 9,0 Sekunden
Verbrauch: Zwischen 10 und 14 Liter Super Plus (Turbo-Modelle)
Kosten: Anschaffungskosten zwischen 1.500 und 3.000 für Standardmodelle sowie 8.000 bis 10.000 Euro für Turbo-/Sondermodelle

Reparaturrücklage etwa 2.500 Euro

Umrüstung auf Euro 2 bei allen Euro 1 Modellen möglich.
Versicherung: Oldie Car Cover: Anfrage für Versicherungsangebot stellen

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