Einmal im offenen Geländeroadster durch die afrikanische Steppe pflügen. Dafür setzten Thomas Bell und Holger Kalvelage ihren automobilen Traum in die Tat um und kreierten einen einzigartigen Wüstenroadster. Den Bell Aurens Longnose.
Der Sand peitscht ins Gesicht, unter einem brüllt der Achtzylinder gegen den Fahrtwind an und die untergehende Sonne lässt die Weite der Wüste schier unendlich erscheinen. Immer wieder hat Thomas Bell in den letzten Jahren diesen Traum gehabt. Einmal Lawrence von Arabien spielen und den eigenen Sturm auf Akaba Realität werden lassen. Ein Kamel war zu unbequem und das rechte Auto gab es für den ausgemachten Land-Rover-Fan nicht. So wurde es ersponnen und steht nach über einem Jahr Bauzeit nun vor einer unscheinbaren Garage in Uttenreuth nahe Erlangen. Der ehemalige Land Rover 109 ist kaum wiederzuerkennen. Die Motorhaube misst nahezu zwei Meter, die nicht enden wollenden Kotflügel sind noch ein gutes Stück länger. Windschutzscheibe, Dach oder Seitenverkleidungen: ebenso Fehlanzeige wie Servolenkung, Heizung oder Radio. Der Innenraum könnte puristischer kaum sein. Zwei selbst kreierte Schalensitze, drei Kontrollleuchten und eine einzige Analoguhr von Smiths. Auf ihr kann man typisch britisch von rechts nach links das Tempo ablesen. Der Rest ist Gefühl.
Selbst beim visuellen Erstkontakt gibt es keinen Zweifel. Hier steht eine Fahrmaschine – im Kleid eines umgebauten Land Rover Serie III aus dem Jahre 1967. Statt des bekannten Land-Rover-Logos zieren Kühlergrill und Wagenheck das dunkle Bell-Aurens-Signet. Thomas Bell: „Ich will mit dem Wagen nach Akaba und in den Tschad. Hier will ich im Norden die Ennedi-Wüste und das Gebiet Guelta D’Archei besuchen.“ Hier hat auch das ungewöhnliche Firmenlogo seinen Ursprung. Im felsigen Ennedi-Gebirge wurden vor Jahren Höhlenzeichnungen von reitenden Touaregs auf Kamelen gefunden. Diesen hat Thomas Bell sein Markenlogo nachempfunden. Der Bell Aurens Longnose – eine Mischung auf Geländewagen, Sportroadster und abgefahrenem Hirngespinst eines Autophantasten. Freunde, Bekannte und Geschäftspartner von Thomas Bell und Holger Kalvelage hatten bei der Vorlage der ersten Skizzen nur den Kopf geschüttelt. „Die Idee entstand vor rund drei Jahren“, so Thomas Bell, „zunächst gab es nur ein paar Skizzen und Prototypenzeichnungen. Dann wussten wir jedoch schnell, dass wir das ganze anpacken müssen.“
Der Bell Aurens Longnose basiert auf der 4,50 Meter langen Plattform eines alten Land Rover. Auffälligstes Merkmal ist die zwei Meter lange, geriffelte Motorhaube. Pilot und Beifahrer steigen über die Fondtüren des Ur-109ers ein und sitzen fast auf der Hinterachse. Gegen den imaginären Wüstenwind werden beide nur von einer schmalen Windschutzscheibe oder winzigen Roadstergläsern geschützt. Unter der überlangen Motorhaube arbeitet ein 4,6 Liter großer Achtzylinder aus der vorletzten Range-Rover-Serie. 235 PS, 403 Nm, Handschaltung und über 200 Spitze. Der Sturm auf Akaba kann beginnen. „Ich wollte einen echten Offroader – aber als Roadster“, träumt Thomas Bell, Jahrgang 1974, seinen wirren Gedankengang noch einmal nach, „wir bauen jetzt das Auto, das Land Rover vor 40 Jahren hätte bauen sollen - und können.“ Nach über zwei Jahren Vorbereitung und mehr als 3.500 Arbeitsstunden ist der erste Prototyp des Bell Aurens Longnose fertig. Knapp ein Jahr später als geplant. Selbst der bayrische TÜV wollte dieser extravaganten Eigenkreation nicht die Abnahme verwehren. Lackiert in hellem Sandbeige und ausstaffiert mit rotbraunem Leder rollt das automobile Rennkamel auf mächtigen Stollenreifen von Mickey Thomson durchs unwegsamste Geläuf. Allradantrieb und Untersetzung machen es möglich.
„Viele Firmen fanden die Longnose-Idee von Anfang an toll und wollten den Wagen für uns bauen. Doch kaum einer war dazu wirklich in der Lage“, berichtet Holger Kalvelage. Bei der Karosseriebaufirma Lorenz, spezialisiert für Oldtimer-Restaurierungen und Prototypenbau, wurden Kalvelage und Bell schließlich fündig. Doch der erste Wagen ist bekanntlich immer der schwerste und so wurden aus den geplanten 2.000 Arbeitsstunden mehr als 3.500. Doch die Arbeit kann sich sehen lassen. Die Detailliebe des Bell Aurens kennt kaum Grenzen. Eine Mini-Persenning auf dem Armaturenbrett, eine echter Cricket-Ball als Schaltknauf, eigens angefertigte Flügelschrauben im Motorraum oder eine teilweise außenliegende Auspuffanlage Marke Eigenbau. Man muss nicht lange sich suchen, um zu sehen, wo die Arbeitszeit geblieben ist.
Die ersten Kunden scharren bereits mit den Hufen; fanden das Projekt seit Bekanntmachung scharf und wollen nun einen eigenen Bell Aurens Longnose. „Wir wollten das erste Fahrzeug so puristisch wie nur möglich machen“, erläutert Thomas Bell, „daher haben wir auf jeglichen Schnick-Schnack verzichtet. Der Kunde kann natürlich alles so individuell haben, wie er es möchte. Einer der Interessenten möchte zum Beispiel eine Flugzeug-Instrumentierung. Machbar ist fast alles.“ Vorausgesetzt der Preis stimmt. Los geht es bei rund 150.000 Euro zzgl. Mehrwertsteuer. Sollen Exklusivleder aus der Schweiz, ein legendärer Mickey Thomson Radsatz und das sehenswerte Bootsheck verbaut werden, liegt man schnell bei 200.000 Euro plus Steuern und einer Bauzeit von über 2.000 Stunden. „Konkrete Anfragen kommen aus der ganzen Welt“, so Thomas Bell, „zum Beispiel aus Australien, England, Deutschland und den USA. Aber gerade auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten wollen wir den Wagen ins Gespräch bringen. Er ist schließlich genau das richtige für lange Geradeauslaufpisten in der Wüste.“
Wer mehr Leistung als die satt brabbelnden 235 Pferde des alten Range Rover möchte, muss nicht lange zaudern. Vom Basis-V8 mit 235 PS über potente 16-Zylinder-Triebwerke mit zehn Litern Hubraum und 700 PS bis zu einem Merlin-Jet-Triebwerk mit 1.500 PS oder einem Meteor-Panzermotor ist unter der nicht enden wollenden Motorhaube des Bell Aurens Longnose alles möglich.
Text & Fotos: Stefan Grundhoff
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