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Atnmbl: Gezielter Kontrollverlust

Fährst Du noch oder wohnst Du schon? Wenn es nach dem kalifornischen Designbüro „Mike and Maaike!“ geht, kommt das ab 2040 aufs Gleiche heraus. Ihr visionäres Zukunftsauto, gesprochen: Autonomobile, hat keinen Fahrer mehr, sondern nur noch Bewohner. Die Kontrolle im Verkehr behält das rollende Wohnzimmer dank GPS, Radar und Kameras ganz allein – so zumindest die Idee.

Eigentlich versorgt die Bürogemeinschaft „Mike and Maaike!“ aus San Fransisco die Digitale Bohème mit nett gestalteten Accessoires: Laptop-Taschen, Mobiltelefone und futuristische Sessel sollen der Internet-Generation zwischen 20 und 35 Jahren das Arbeitsleben jenseits von Festanstellung und Feierabend erleichtern. Dass die Designer Maaike Evers und Mike Simonian nun ein Anti-Automobil entwickelt haben, mit dem auch die Grenze zwischen Wohraum und Transportmittel fallen soll, passt also ins zeitgenössische Konzept. Der Slogan vom „End of Driving“ klingt erstmal radikal, hat bei genauerem Hinsehen aber schon eine gewissen Tradition – vor allem in San Francisco. In den Sechzigerjahren verließen die Hippies in Scharen ihre Wohnungen und Häuser, um fortan ungebunden, mobil und frei zu leben. Der VW Bully wurde dabei für viele Blumenkinder ein neues Zuhause. Auch um freiwilligen Kontrollverlust ging es schon damals oft, wenn auch nicht technologischer, sondern psychedelischer Natur.

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Das Atnmbl macht diese Ideen nun fit für eine vollvernetzte Zukunft. Statt die Fahrzeit mit immer stärkeren und schnelleren Motoren zu verkürzen, um letztlich trotz starker Motoren im Stau zu stehen, setzt das Atnmbl auf eine Aufwertung der Fahrtzeit selbst. Bis zu sieben Personen sollen im modular gestalteten Innenraum Platz finden und während des Reisens alles tun – außer eben selbst zu fahren. Nachdem man die computergenerierte Einstiegsfrage „Where can I take you?“ beantwortet hat, setzt sich das Autonomobil in Bewegung, und man hat Zeit zum Schlafen, Fernsehen oder was man sonst im Jahr 2040 so treibt. Für den Antrieb sorgt ein elektronischer Allradantrieb mit Solarzellen-Speisung; die Kontrolle behält das autonome Wohnmobil über GPS-Ortung, Kameras und eine ganze Reihe von Sensoren, die alle relevanten Informationen an die Hauptrecheneinheit weiterleiten.

Für die Designer bietet das fahrerlose Automobil eine ganze Reihe von Vorzügen: Zunächst wird das Risiko menschlich verschuldeter Verkehrsunfälle deutlich minimiert. Darüber hinaus lässt sich das Atnmbl auch allein losschicken, um beispielsweise die Einkäufe im Supermarkt oder die Schwiegermutter im Pflegeheim am anderen Ende der Stadt einzusammeln. Auch Geld lässt sich mit dem Konzept verdienen, etwa wenn man den Wagen während der eigenen Arbeitszeit (falls es sowas überhaupt noch gibt) bei Car-Sharing-Communities einschleust oder während des Abendessens im Edel-Restaurant in der Innenstadt selbstständig Runden dreht, statt die überhöhten Valet-Gebühren zu bezahlen. Bei Gruppenreisen könnten sich die Autonomobile zudem zu intelligenten Schwärmen zusammenfinden. Mit kostenfreien Open-Source-Applications könnten sich zahllose weitere Features herunterladen und freischalten lassen. Der Phantasie sind momentan keine Grenzen gesetzt.

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So futuristisch das Atnmbl momentan noch klingt, so logisch sind seine technologischen und verkehrspolitischen Ansätze. Gerade in Amerika vernichtet die Zeit, die Abermillionen von Pendlern seit dem Aufblühen der Suburbs in ihren Automobilen verbringen, ganz konkrete Arbeitskraft und damit sehr viel Geld. Auch die Klimaproblematik lässt sich langfristig nur mit nachhaltigen, intelligenten und neuen Mobilitätskonzepten in den Griff bekommen. Und die Ablösung des Fahrers von seiner Allmachtsposition ist sowieso schon in vollem Gange – ein Blick auf die Assistenzsysteme in den neuesten High-End-Limousinen von BMW und Mercedes-Benz genügt. Wohin sich das Automobil in den nächsten 30 Jahren entwickelt? Zumindest bekommt man momentan einen ersten Geschmack.

Mehr Informationen zum Atnmbl finden Sie unter www.mikeandmaaike.com/atnmbl.

Text: Jan Baedeker
Foto: Mike and Maaike!


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