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Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer

„Jetzt – wo ist er denn?“ Hans Herrmann steht auf einem Parkplatz am Nürburgring und hält Ausschau nach einem alten Weggefährten – dem Porsche 550 Spyder RS. Genau jener Spyder, mit dem Hans Herrmann 1956 die Mille Miglia fuhr. In seiner Stimme spiegelt sich die Vorfreude wieder, die dieses Aufeinandertreffen von Rennfahrer und Rennwagen bei ihm auslöst, doch noch kann er den silbernen Rennoldtimer nicht sehen. Der Wagen ruht noch im Innern eines LKW und muss erst noch abgeladen werden.

Dieses Aufeinandertreffen zweier Rennlegenden ist keineswegs selbstverständlich. Um etwas derart einzigartiges überhaupt realisieren zu können, sind viele Verbindungen nötig – Verbindungen, die Philip Selkirk und Stephan Heimann, Inhaber der Selkirk & Heimann Media GmbH in Wiesbaden, einsetzen können. Die beiden haben sich durch den aktuellen Mille-Miglia-Film bereits einen Namen in der Motorklassik- Szene gemacht und diese Reputation genutzt, um das Aufeinandertreffen von Hans Herrmann und dem Porsche 550 Spyder RS möglich zu machen. Ein historischer Moment, der auf dem eigens für dieses Treffen gesperrten Nürburgring statt findet und natürlich aufwendig filmisch dokumentiert wird.

Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer

Wenig später also glänzt der Porsche 550 Spyder RS, der in Kürze in seine neue Heimat in den USA verschifft wird, strahlend in der Morgensonne in der Eiffel. Ein selten schöner Tag bahnt sich an. „Ja“, sagt Hans Herrmann während er die Fahrertür öffnet und einsteigt, „es sieht so aus als ist er es.“ Früher wäre er in den Wagen hineingesprungen ohne die Türen zu öffnen, doch im Alter von 80 Jahren muss diese sportliche Übung nicht mehr sein. Er steckt den Schlüssel ins Zündschloss – übrigens zu dieser Zeit bei Porsche noch rechts vom Lenkrad – gibt ein klein wenig Gas, zieht die Hebel für die Ölpumpe und drückt den Startknopf. Der 1500er Fuhrmann-Motor bellt kurz auf - und ist dann wieder still.

Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer

Nächster Versuch: Wieder nichts. Er will nicht anspringen. Ein Moment, in dem Erinnerungen wach werden: Auch bei der letzten Begegnung der beiden streikte der Wagen: Bei der Mille Miglia '56 fielen Hans Herrmann und sein Copilot Werner Enz mit Motorschaden noch vor Rom in den Abruzzen aus. Dritter Startversuch: Keine Chance. Weiterer Versuch. Nichts. Ratlose Mienen. Dann endlich springt der Fuhrmann-Motor an, blubbert unzufrieden und unregelmäßig vor sich hin, weil er noch kalt ist. Doch der Klang des Königswellenmotors zaubert zufriedene Gesichter herbei. Hans Herrmann dreht ein paar Runden auf dem Parkplatz, bevor er sich auf die Nordschleife begibt, die übrigens nur ein Jahr älter ist als er selbst. Nach einigen Minuten läuft der Motor besser und es kann losgehen.

Vor uns liegen nüchtern betrachtet 20,8 Kilometer mit 73 Kurven und mehreren hundert Metern Höhenunterschied. Emotional betrachtet heißt das, was vor uns liegt „Nordschleife“, wird aber seit Jackie Stewart gerne auch „Grüne Hölle“ genannt – was keineswegs als Übertreibung zu verstehen ist – und ist die anspruchsvollste Rennstrecke der Welt. „Bereit?“ fragt Hans Herrmann knapp, während er den Fuhrmann-Motor auf Drehzahl bringt und sich der Beifahrer in die Enge des Fahrgastraums quetscht, der maximal für ungewichtige Menschen mit höchstens 1,50 Meter Körpergröße ausgelegt ist. Ein Nicken muss als Antwort genügen. Hans Herrmann prescht los.

Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer

Die erste Rechtskurve: Als Beifahrer hat man drauf zu achten, dass die Beine nicht nach links in die Pedalerie rutschen, denn da unten gibt es keine Mittelkonsole. Die erste Linkskurve: Jetzt ist es wichtig, dass man mit den Schultern nicht versehentlich an den Türöffner gerät, denn sonst drücken einen die Fliehkräfte weit deutlicher aus dem Sitz, als einem lieb sein kann. Sicherheitsgurte? Fehlanzeige. Der Beifahrer muss also „mitfahren“ und dafür Sorge tragen, dass die Pedalerie ausschließlich von Hans Herrmann bedient wird und dass die Beifahrertüre geschlossen bleibt.

Das ist nicht einfach. Hans Herrmann beherrscht den Wagen, als wäre er nie ausgestiegen. Zentimetergenau nutzt er die Fliehkräfte bei den Ausfahrten aus den Kurven, um sich bis auf haaresbreite bei gerader Lenkradstellung an die Curbs herantragen zu lassen. „73 Kurven Herr Herrmann und über 20 Kilometer, dass kann sich doch kein Mensch merken?“ „Aber jeden Zentimeter“, durchschneidet Hans Herrmanns Stimme scharf das Motorengebrüll. „Wer den Nürburgring nicht kennt, der ist weg.“ Ohne den Blick an den erstaunten Beifahrer zu richten nimmt er die nächste Kurve ins Visier. Auch in engen Kehren bleiben beide Hände am Lenkrad; gute Fahrer müssen nie übergreifen. „Hier ist Gerhard Mitter tödlich verunglückt“ kommentiert er die Talfahrt vom Metzgersfeld in Richtung Adenau. „An diesem Tag ist er fremd gegangen, da fuhr er nämlich BMW, nicht Porsche.“ Obwohl der Fuhrmann-Motor nur 20 Zentimeter vom Schulterblatt entfernt brüllt, schreit, wütet, ist Hans Herrmann im Cockpit gut zu verstehen.

Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer Porsche 550 Spyder: Hans Herrmann am Steuer

„Hier ist der tiefste Punkt des Rings“, durchbricht er den Sturm und passiert Breidscheid. Die Windschutzscheibe ist optimal für den Fahrer Hans Herrmann ausgelegt, fast sogar ein bisschen zu hoch. Doch für einen 1,85 Meter großen Beifahrer ist die Frontscheibe definitiv zu niedrig: die Oberkante der Scheibe endet auf Kinnhöhe. Der Fahrtwind bläst einem fast ungehindert ins Gesicht. Vorbei am Bergwerk, die Stelle an der Nicki Lauda verunglückte. Bei 180 Stundenkilometer hat man das Gefühl, als würde man inmitten eines Orkans sitzen. Punktgenau bei 6.000 Umdrehungen schaltet Hans Herrmann in den 4. Gang. Dann das Karussell, runter schalten, Zwischengas, Einfahrt in die Steilkurve. Achterbahn.

Hans Herrmann scheint sich zu amüsieren und auch auf dem Beifahrersitz stellt sich langsam echter Genuss ein. Was für ein prächtiger Tag: die Sonne scheint, es hat rund 22 Grad und man dreht mit Hans Herrmann eine Runde auf der Nordschleife im Porsche 550 Spyder RS – so muss es sein, wenn man im Himmel des klassischen Motorsports angekommen ist. „Das ist einer der höchsten Punkte der Strecke“, brüllt Hans Herrmann durch den lärmenden Mix aus Motorengeschrei und Sturmwind. Die „hohe Acht“ fliegt vorbei. Der RS läuft wie ein Uhrwerk. Elegant zieht Hans Herrmann seine Bahn durch die „Grüne Hölle“. Nicht der Hauch einer Unsicherheit oder gar einer Gefahr ist zu spüren und man vergisst, dass die Nordschleife des Nürburgrings nicht nur die anspruchsvollste, sondern auch die gefährlichste und eine der tödlichsten Rennstrecken ist. Auch das Brünnchen und der Schwalbenschwanz, die letzten Kurven vor der Zielgeraden, nehmen Auto und Fahrer gleichermaßen souverän, fast schon gelassen. Hans Herrmann scheint eins zu sein mit dem Auto und eigentlich ist es fast schade, dass der Wagen nach Übersee geht, während sein Fahrer in Europa bleiben muss. Als die beiden zum letzten Mal die Zieldurchfahrt der Nordschleife passieren, weht der Fahrtwind hier am höchsten Punkt der Strecke mit 620 Metern über dem Meeresspiegel doch einen leisen Hauch von Wehmut durchs historische Fahrerlager.

„Wenn wir jetzt im Rennbetrieb wären, würden wir den Wagen ganz genau auf den Nürburgring abstimmen,“ erklärt Hans Herrmann. „Das Auto ist exzellent, wir würden heute nur die straffe Lenkung ein wenig lockern, das wärs“, fasst der erfahrene Pilot die Auslegung und den Zustand des Wagens zusammen. „Dear John“, grüßt Hans Herrmann den neuen Besitzer in den USA, „congratulations to this car. Drive safe and have fun“ und dann klopft er beim Weggehen noch zweimal auf den Kotflügel des Porsche 550 Spyder RS – so, als wolle er sagen: „Machs gut, alter Freund.“

Fakten – Porsche 550 Spyder, Baujahr 1955

Typ: Porsche 550 Spyder RS / Baujahr 1955
Karosserie: Spyder, zweitürig, Aluminium gefertigt bei Wendler,
Länge: 3,60 m
Höhe: 1,015 m
Radstand: 2,10 m
Spur vorne: 1,29 m
Spur hinten: 1,25 m
Motor: Luft gekühlter 4-Zylinder-Boxermotor, Typ 547/1, Königswelle, vier oben liegende Nockenwellen, Zwei Solex-Doppelvergaser Fallstrom, Trockensumpfschmierung, Verdichtung: 9,5:1
Hubraum: 1.498 ccm
Motorleistung: 110 PS bei 6.200 U/min
Drehmoment: 129 Nm bei 5300 U/min
Kraftübertragung: mechanisches 4-Gang-Schaltgetriebe,
ZF-Sperrdifferential, Hinterradantrieb
Fahrwerk: hydraulische Trommelbremsen
Räder Vorne: 3,50 D x 16 mit 5,00-16
Räder Hinten: 3,50 D x 16 mit 5,50-16
Interieur: Leder schwarz
Leergewicht: 550 kg
Höchstgeschwindigkeit: 220 km/h
Beschleunigung: je nach Übersetzung ca. 10,0 Sek. bis 100 km/h
Neupreis 1955: ca. 25.000 DM (entspricht ca. 12.500 Euro)
Produzierte Stückzahl: (variiert je nach Quelle) 82 / 90

Fakten – Nürburgring (Stand 2008)

Strecke: 20,8 km
Kurven: 73, davon 33 Linkskurven und 40 Rechtskurven
Maximale Steigung: 17 Prozent
Maximales Gefälle: 11 Prozent
Höchste Stelle: Start-Ziel 620m ü.M.
Tiefste Stelle: Breidscheid 320m ü.M.
Erbaut: 1925-1927
Eröffnung der Nordschleife: 18. / 19. Juni 1927

Text: Frank Wiesner
Fotos: Stephan Heimann www.selkirk-heimann.com


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