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Jaguar C-X75 Prototyp: Air Force Run

Exklusive Fahrgelegenheiten sollte man nicht ausschlagen. Schon gar nicht, wenn ein Prototyp auf abgesperrtes Terrain lockt. Der Ritt über die Runway im Jaguar C-X75 gleicht einem startenden Lear-Jet, dem man die Flügel gestutzt hat, meint Classic-Driver-Autor Mathias Paulokat.

Erinnern Sie sich? Im Jahr 2010 präsentierte Jaguar mit dem C-X75 die expressive Vision eines Hybrid-Supersportwagens – mit Gas-Turbinen im Heck und einem atemberaubenden Wow-Effekt in punkto Design. Konzipiert als Konzeptfahrzeug („C“), rein experimenteller Art („X“), welches stolz dem 75-jährigen Jubiläum („75“) der legendären Marke aus Coventry huldigte. Obwohl das Design von Fachleuten und Presse rund um den Globus gefeiert wurde, verschwand der Super-Jag nach dem Jubiläumsjahr wieder im medialen Unterholz. Auch um dem Jungsportler Jaguar F-Type die Wildbahn und volle Aufmerksamkeit zu überlassen. Ende letzten Jahres meldete Jaguar dann das endgültige Aus für eine Serienproduktion des C-X75.

Doch ist die Geschichte damit zu Ende? Ha, von wegen! Denn unterdessen heckte der Vorstand ganz diskret eine geradezu perfide Aufgabe für die hauseigenen Ingenieure aus. Und die lautete im Sommer 2012 ungefähr so: „Baut einen Supersportwagen, der so atemberaubend aussieht wie der C-X75!“ Okay! „Der die Fahrwerte und Leistung eines Bugatti Veyron mobilisiert!“ Ohlala. „Der aber nur so viel verbraucht wie ein Toyota Prius!“ Sorry, wie bitte? „Und der mit einem Elektroantrieb die Reichweite eines Chevrolet Volt besitzt!“ Ja, natürlich – vielleicht noch etwas? Unbedingt: „Ihr habt für dieses Projekt ein Jahr Zeit, Jungs. Also legt los!“

To make a long story short: Ein Jahr später steht das Auto tatsächlich da. Und es gibt an, alle Vorgaben zu erfüllen. Die erste Feststellung geschieht beinahe intuitiv: Der Prototyp des Super-Jags sieht verdammt gut aus. Herausforderung 1 ist erkennbar gemeistert. Bravo. Wer das Maßband auspackt, stellt fest, dass der Prototyp praktisch die identischen Dimensionen des Konzeptfahrzeugs aufweist. Nur wo die Funktionalität Änderungen erforderte, wurden diese vorgenommen: an Lufteinlässen, Lampen, Spiegeln, Rädern beispielsweise. Ansonsten: das perfekte Abbild der Studie. Und die Leistungswerte? Können sich mehr als sehen lassen: In der Spitze bringt es der nur 1,16 Meter flache Jaguar auf 862 PS Leistung mit über 1.000 Newtonmeter Drehmoment. Über 350 km/h Top-Speed sollen so möglich sein und eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in unter 3,0 Sekunden zur Selbstverständlichkeit gehören. Hoppla, das ist ordentlich!

Aber was ist mit Prius und Volt? Auch die Vorgaben sind laut Jaguar erfüllt. Denn der C-X75 Prototyp fährt als Plug-In Hybrid mit einem von der Formel 1 inspirierten aufgeladenen 1,6-Liter-Reihen-Vierzylindermotor mit einer Kombination aus Abgas-Turbolader und Kompresser mit Ladeluftkühlung und zwei Synchron-Elektromotoren vor, die wiederum von zwei Hochleistungsbatterien gespeist werden. Das System ist dabei weitaus komplexer als der vorangehende Satz. Nur ein ausgeklügeltes Ineinandergreifen von E-Motoren, Verbrennungsmotor, Elektro- und Thermomanagement machen das Effiziens-Wunder möglich. Alleine der kleine Verbrennungsmotor – man kann es nicht oft genug sagen: Mit nur 1,6 Liter Hubraum bringt er es auf 509 PS bei 10.000 Umdrehungen/min. Mit einer Leistung von 300 kW erlaubt die Batterie eine rein elektrische Reichweite von 60 Kilometern. Der Verbrauch von 3,8 Liter auf 100 Kilometer und ein C02-Ausstoß von weniger als 89 Gramm/km setzen reihenweise Ausrufezeichen. Das klingt spektakulär. Und - noch besser: Es fährt sich auch so.

Das Cockpit ist bereits mit klar erkennbaren Jaguar-Serieninstrumenten und einem F-Type-Lenkrad ausgestattet. Es ist eng und doch keine klaustrophobische Höhle. Ich passe auch noch mit Rennhelm kommod hinein. Und sitze gut 20 Zentimeter über dem Asphalt. Im E-Modus rollt der Jaguar an, flink klingt sich der Verbrennungsmotor dazu und dann geht es nur noch vorwärts. Brutal schnell. Irrwitzig schnell. Mittels Paddel-Schaltung schnippe ich die Gänge in das Siebenganggetriebe. Klack und Vrrooomm. Der Sound: turbinenhaft. Der Anschub: besser. Die Drehzahl schnellt immer wieder auf 10.000 Touren hoch. Und trotzdem schlägt der nächsthöhere Gang noch einen knackigen Punch ins Kreuz. Dabei ist der Boden-Jet auch ein Handling-Meister. Denn alle Komponenten, die Gewicht bringen, sind innerhalb des Radstandes untergebracht. Darüber spannt sich eine steife aber ultraleichte Karosserie aus Carbon-Fasern. Der Schwerpunkt liegt tief und die bewegten Massen sind reduziert. So befindet sich der Tank in der Fahrzeugmitte im Tunnel, der keine Kardanwelle führt, da Vorder- und Hinterachse elektrisch miteinander verbunden sind. Clever ist das Teil also auch noch.

Intermezzo auf der Runway. Der digitale Tacho zeigt 180mph – vor mir geht der Asphalt aus. Ich muss in die Bremsen steigen. Der C-X75 verzögert so heftig, wie er beschleunigt. 354 km/h entsprechend 220mph sollen maximal drin sein. Und man möchte es gerne glauben, obwohl das Auto erst zu 50% fertig ist, wie die Ingenieure betonen. Es gäbe noch ordentlich Potenzial zum Optimieren. Und das obwohl das Pflichtenheft sauber erfüllt ist. Übrigens: Wer bei der Zahl 220 an den ehemaligen Supersportwagen Jaguar XJ220 der 90er Jahre denkt, wird beim C-X75 eines entscheidenden Vorteils belehrt: Dieser Jaguar fährt. Ach was, er rennt. Und wie! Porsche, McLaren, Ferrari & Co. – nehmt Euch in Acht. Der nächste Jaguar-Supersportwagen wird bissig wie nie! Sofern er denn jemals in Serie geht. Alleine das scheint momentan die einzige Unbekannte in dem genialen Gesamtkonzept.

Fotos: Jaguar