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Ist das die Mutter aller Vorkriegs-Bentleys?

In der Zwischenkriegszeit war „Old Mother Gun” einer der schnellsten Rennwagen auf europäischen Rennstrecken. Nun könnte dieser historisch bedeutsame und 1928 in Le Mans siegreiche Bentley dank Thiesen Hamburg Ihrer sein…


Die automobilen Feinschmecker von Thiesen Hamburg sind keine Neulinge, wenn es um die etwas kurioseren Kapitel der Automobilwelt geht. Als Beispiele aus jüngerer Vergangenheit seien nur so wunderbar verrückte Modelle wie ein sechsrädriger Mini Moke und der ungeheuerliche Bell Aurens Longnose genannt. Nun haben die Hanseaten den Classic Driver Markt mit einem weiteren bemerkenswerten Exemplar bereichert: dem Bentley Jackson Special von 1927, besser bekannt unter seinem Kosenamen „Old Mother Gun“.

„Old Mother Gun“ — Chassisnummer „ST3001“ — war der erste im Bentley-Werk Cricklewood vom Band gerollte Bentley 4½-Litre und als Einsatzfahrzeug für das Bentley Motors Rennteam bestimmt. Ausgeliefert an Captain Woolf Barnato, erlebte es einen unglücklichen Start in seine Motorsportkarriere. Mit den Piloten Frank Clement und Leslie Callingham wurde er bei den 24 Stunden von Le Mans 1927 in Führung liegend Opfer des Massenunfalls beim Weißen Haus (Maison Blanche), bei dem sieben Autos ineinander krachten – Ausfall damit schon in der sechsten Stunde.


Unbeeindruckt kehrte Barnato – nun selbst zusammen mir Bernard Rubin am Steuer – 1928 an die Sarthe zurück. Zwar lief auch diesmal nicht alles glatt – Barnato schlich in der Schlussphase wegen eines angebrochenen Hilfsrahmens und eines überhitzenden Motors (Kühlwasserverlust) mit 50 km/h um den Kurs – doch rettete er sich mit einer halben Runde Vorsprung auf einen Stutz als Sieger ins Ziel – für die „Bentley-Boys“ war es der bereits dritte Triumph in Le Mans. Im nächsten Jahr war Old Mother Gun bei seinem letzten Le-Mans-Einsatz fast genauso erfolgreich – musste mit Platz zwei und den Piloten Jack Dunfee/Glen Kidston nur dem neuen und schnelleren Bentley Speed Six „Old Number One“ mit größerem 6 1/2-litre-Motor den Vortritt lassen.

Nach seiner Karriere in Le Mans ging Old Mother Gun 1932 in den Besitz von Richard Marker über, der seine Neuerwerbung zusammen mit Margaret Allen bei Rennen in Brooklands einsetzen wollte. Bekannterweise war die erste weltweit nur für Test-und Rennfahrten errichtete und schon 1907 in Weybridge (Surrey) eröffnete Strecke speziell wegen ihrer holprigen Hochgeschwindigkeitsbahn, dem „outer ring“, berühmt-berüchtigt. Am 22. September 1934 scherte während des 500-Meilen-Rennens die am Ende der Kurbelwelle angebrachte Schwundscheibe ab, was den originalen 4½-litre-Motor von Old Mother Gun schredderte. Er wich einem modifizierten 6½-Litre aus einem Speed Six, was nochmals für einen mächtigen Kraftzuwachs sorgte. Zeugnis davon legte ein Foto von einem Brooklands-Rennen im Jahr 1935 ab, bei dem das Monstermobil mit allen vier Rädern vom Boden abhebt.


Schon im Vorjahr hatte Marker die begehrte 120-mph-Plakette erhalten, doch am 14. März 1936 umrundete er mit Old Mother Gun den äußeren Brooklands Ring mit einem Schnitt von über 130 Meilen pro Stunde (zirka 210 km/h). Mit der Überreichung der extrem seltenen 130-mph-Plakette war sein „need for speed” jedoch noch längst nicht befriedigt.  Vielmehr suchte er die Hilfe von Robin Jackson, selbst ein Rennfahrer und bekannt für den Bau von Brooklands „Specials“.


Während der frostigen Wintermonate zum Jahreswechsel 1936/37 begann Jackson im Geheimen mit dem Umbau des verdienstvollen Schlachtrosses zum Einsitzer. Darauf setzte eine aus poliertem Aluminium gefertigte Karosserie, die sich nach hinten verjüngte und zum Heck hin stark abfiel. Nach Abschluss der Arbeiten ergänzte Jackson „RRJ1“ zur Fahrgestellnummer „ST3001“ – der Bentley Jackson Special war geboren. 1937 wurde dieser britische Silberpfeil schon mit 217 km/h in Brooklands gestoppt.

Am 7. August 1939, dem letzten Brooklands-Meeting vor Ausbruch des Krieges und der – wie sich zeugen sollten – unwiderruflichen Schließung der Strecke sicherte sich auch George P Harvey Noble am Steuer des Jackson Special auch die die 130-mph-Plakette. Es war die letzte von nur 17 dieser Auszeichnungen, von denen drei an Fahrer des Old Mother Gun/Jackson Special gingen. Wie schnell das Auto am Ende seiner Entwicklung wirklich war, belegte aber auch noch ein anderer offiziell erfasster Messwert: Ebenfalls 1939 durcheilte es die „Railway-Straight” mit 148 mph (238 km/h). Heute ist dieses historisch bedeutende Prunkstück britischer Motorsportgeschichte, das lange Jahre im Technikmuseum Sinsheim beheimatet war, bereit für neue Einsätze. Und mit seinem inzwischen auf 8 Liter upgegradeten Triebwerk wild entschlossen, Ihren Mut auf den Prüfstand zu stellen. Sind Sie der nächste Custodian von Old Mother Gun? 

 

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