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Der Mercedes-Benz E 500 Limited war ein Schäferhund im Schafspelz

In den neunziger Jahren galt er als Wolf im Schafspelz. Denn unter dem seriösen Blechkleid der Mercedes-Benz-Mittelklasse lauerte eine Art Supersport-Limousine mit Porsche-Genen, die über 300 PS entfesseln konnte und sich immer wieder als Autobahn-Schreck entpuppte.

Wer Anfang der neunziger Jahre auf deutschen Autobahnen unterwegs war, mag sich noch an diese eigentlich unscheinbar wirkende Limousine erinnern. Man hätte ihn für einen ganz normalen, eckigen Mercedes-Benz der Mittelklasse aus der W124-Baureihe halten können  - wenn da nicht diese geblähten Nüstern der Kotflügel und die Frontschürze gewesen wären. Und natürlich die Rasanz, die auch so manchen Porschefahrer verblüffte. Spätestens dann wusste man, dass gerade ein 500 E vorbeigerauscht war. 

Im Jahr 1990 präsentierte Mercedes-Benz den 500 E auf dem Pariser Automobilsalon, der zusammen mit Porsche entwickelt worden war und der auch in Zuffenhausen gefertigt wurde. Aus dem 500 SL hatte man den Achtzylinder mit 5,0 Litern Hubraum sowie dessen Viergangautomatik eingepasst. Zu den Merkmalen der 326 PS starken Limousine gehörte zum Beispiel auch die Premiere der elektronisch gesteuerten Einspritzanlage von Bosch und eine serienmäßige Antriebsschlupfregelung. Eine Limousine, die eher als Geschäftswagen oder Taxi eingesetzt wurde, in einen Athleten zu verwandeln, war zu dieser Zeit noch ein Experiment. Aber sicherlich hatte man in Stuttgart überlegt, dem BMW M5 mit einem eigenen sportlichen Widersacher im Businessanzug entgegenzutreten. Obwohl der 500 E mit seinem damaligen Grundpreis von gut 135.000 D-Mark eher in die Region der S-Klasse enteilt war, konnten bis zum Ende der Produktion Mitte der neunziger Jahre weit über 10.000 Exemplare des verkleideten Wolfs gebaut werden. 

Als Mercedes-Benz 1993 aus der alten Mittelklasse die E-Klasse entwickelte, sprang das „E” des 500 an den Anfang, um damit seine neue Familienzugehörigkeit zu signalisieren. Zum krönenden Abschluss seiner dynamischen Laufbahn wurde dann die E 500 Limited-Sonderserie aufgelegt. Als Feuer und Seide beschrieb Mercedes die Sportlimousine - ein betörender Mix, dem auch der Besitzer unseres Fotoautos erlag. Für sein Unternehmen ist Klaus in einem Mercedes-Benz E 220, dem Brot-und-Butter-Auto der Vielfahrer, unterwegs, aber in seiner Garage steht einer der letzten E 500 aus der Limited-Serie. Seit Jahren hatte der Mann, der als Junge noch von einer Corvette träumte, sich diesen betont unbetonten Sportler gewünscht. Dieser Limited in der charakteristischen Farbe Saphirschwarz, den man auf unseren Fotos sieht, kam über einen glücklichen Zufall in seinen Besitz. Zunächst hatte er über einen Re-Import aus den USA nachgedacht, dann bei seinen Recherchen gehofft, in Japan fündig zu werden. „Aber er wurde tatsächlich quasi in meiner Nachbarschaft zum Verkauf angeboten!" Ein Freund hatte ihn gesehen. Klaus fuhr hin und wurde schnell mit dem Verkäufer einig. 

Obwohl dieser E 500 von 1994 einen japanischen Vorbesitzer hatte, ist er linksgelenkt - „das erhöhte wohl dort zusätzlichen seinen Status”. Als er zum ersten Mal einstieg, bekam er weiche Knie, wie er lachend erzählt. „Es ist das Glück des Besitzens”, wobei der Limited, der zu den letzten 500 Stück seiner Art gehört, seine Tage nicht ausschließlich geparkt fristet. „Wir machen am Wochenende Ausflüge ins Umland und dann genieße ich auf kurvenreichen Nebenstraßen das Potenzial der Leistung und dieses tiefe, satte Grollen des Motors.” Das ist der Feuer-Anteil des alten Werbeslogans. Die Seide liegt für Klaus in der entspannten Fahrkultur. Sein Exemplar zählt bereits zur Serie mit 320 PS, eine Reduktion, um damals neu eingeführten Abgasnormen zu entsprechen. „Obwohl er ein Ausnahmemodell ist, steigt man ein und ist wieder in der vertrauten Mercedes-Welt daheim”. Der Einstieg ist allerdings ein Ausflug in die Designermode der neunziger Jahre: Ledersitze in markanter Airbrush-Optik und Vogelaugenahorn - ein auffälliges Holz, das damals seinen Siegeszug begann. Ein Interieur, an dem sich damals schon die Geister schieden.

Zu den äußeren Highlights zählen die glanzgedrehten EVO-II-Felgen. Sie werden auch bewundert, wenn Klaus zu Klassikertreffen fährt, mit dem W124-Club über Ersatzteile fachsimpelt oder auf dem Stand bei der Retro Classica in Stuttgart mit Gleichgesinnten über die Vorzüge der klassischen Sternautos redet. „Aber das Schönste bleibt, im E 500 zu Cruisen und das Lebensgefühl in einer schönen Landschaft in so einem Auto genießen zu können. Und manchmal wird der Limited erkannt und die Leute machen Fotos.”

Fotos: Frederik Dulay-Winkler / Postproduction: Manuel Wagner